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28. Oktober 2008

Fremde Welten – Teil 1/3 Science Fiction

Natürlich brachte ich morgens keinen Bissen herunter. Meine widerspenstigen Haare erlebten mehrfach das Ereignis Schaumfestiger-Fönen-Zupfen-und wieder nass machen; mein Make-up, ohnehin nicht meine starke Seite, brachte mich diesmal vollends zur Verzweiflung, und erst die fünfte Auswahl an Klamotten blieb auf mir drauf. Allerdings nicht etwa, weil mir das Abbild besonders gefallen hätte, das mir dabei aus dem Spiegel linkisch entgegengrinste, sondern weil keine Zeit mehr war für ein erneutes Umziehen. Schließlich hatte ich meinen Cityglider auf acht Uhr bestellt. Er kam dann auch, relativ pünktlich, um zehn Minuten nach. Das entlockte mir ein zufriedenes Lächeln, als ich eingestiegen war. Ich hatte nämlich mit der üblichen Verspätung von etwa 20 Minuten gerechnet und das Ding deshalb eine halbe Stunde früher als nötig angefordert.

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Da konnte ich wieder einmal richtig stolz auf mich sein, dass ich so vorausschauend geplant hatte. Allerdings führte das natürlich auch dazu, dass ich fast eine halbe Stunde zu früh am Ziel war. Jetzt eine Zigarette, dachte ich. Aber das ließ ich doch lieber sein. Erstens war es sowieso verboten, und wenn man mich erwischt hätte, hätte ich mir den neuen Job gleich abschminken können. Außerdem war ich nicht sicher, ob mein Vanille-Parfüm und ein Pfefferminzbonbon gegen den Geruch ankommen würden. Und schließlich und endlich besaß ich bloß noch drei Zehner-Packungen, und die Aussichten auf Nachschub waren mau. Meinen Dealer hatten sie vorige Woche doch erwischt. Zum Glück gehört er noch zu den altmodischen Leuten, die ihre Kunden- und Lieferanten-Listen im Kopf haben statt im CPMWI, dem Cepi. Nicht ganz so vielseitig, das Gehirn, aber dafür immer noch etwas sicherer vor fremden Eingriffen. Es kommen zwar immer wieder Gerüchte auf, dass die Regierung mit neuen Wahrheitsdrogen experimentiert, aber irgendwie glaube ich nicht, dass sie das auch bei so kleinen Fischen tun. Hoffentlich habe ich recht damit!

Apropos Cepi, meine Mailbox hatte ich natürlich heute morgen vor lauter Aufregung auch noch nicht kontrolliert, obwohl mich der Incoming Mail Alert beim Weckruf darüber informiert hatte, dass neue Mails eingegangen waren. Ein langes Mail von meiner Freundin Sylvia – das musste leider warten bis nachher. Dann die Bestätigung des Termins für das Vorstellungsgespräch. Na, besser spät als nie. Zum Glück war es keine kurzfristige Absage. Langsam wurde es Zeit hineinzugehen. Angesichts der 60 Stockwerke musste ich damit rechnen, längere Zeit zu brauchen bis zur Ankunft bei meinen Gesprächspartnern. Es heißt zwar immer, dass es reicht, wenn man sich pünktlich beim Empfang meldet. Aber irgendwie glaube ich das nicht. Die Gesprächspartner in ihren Zimmern warten doch nicht geduldig die Minuten, die man danach noch braucht, und bleiben trotzdem gut gelaunt. Es klappte alles wie am Schnürchen, zwei Minuten vor der vereinbarten Zeit saß ich in einem kleinen Besprechungsraum in der vorletzten Etage, von der Sekretärin bereits mit Kräutertee und Vitola versorgt. Auf die Sekunde pünktlich – ich war gerade dabei, meinen Date Remind Alert auszustellen – erschien dann Uloglu, seines Zeichens Personalchef von Universal Computers (UC), zusammen mit Brandmeier, einem der zahlreichen Geschäftsführer, und kurz darauf erschien auch Haydon, der Ausbildungsleiter für das Projekt, für das ich mich beworben hatte. Ich war nicht gerade begeistert davon, erst einmal ein halbes Jahr Ausbildung hinter mich zu bringen, bevor es endlich richtig losging. Aber falls sie mich als völligen Neuling auf dem Gebiet der Raumfahrt überhaupt akzeptierten und mich auf ein Schiff ließen, musste ich froh sein. Die sechs Monate Vorbereitung waren dann ein kleiner Preis für die Erfüllung eines meiner größten Träume.

Nach ein bisschen Höflichkeitsgeplänkel ging es voll zur Sache. Es war ein absolut typisches Vorstellungsgespräch. Zuerst verlor man auf der Seite der anderen ein paar Worte zur Firma (als ob ich das nicht alles schon wüsste, und es wurde natürlich auch erwartet, dass ich mich entsprechend vorbereitet hatte, so dass das alles eigentlich überflüssig war; aber wahrscheinlich ist es immer wieder schön, die klangvolle Zusammenfassung der History und der Erfolge von sich zu geben). Dann zu meinen Qualifikationen, meiner Berufserfahrung. Und natürlich fehlten auch nicht die Fragen „Wie stellen Sie sich denn so die Position vor, für die Sie sich beworben haben“, und „Was hat Sie denn bewogen, sich gerade für die Raumfahrt zu entscheiden“, und so weiter. Haydon schrieb meine Antworten eifrig mit und las auch immer wieder in meinem CV und den anderen Bewerbungsunterlagen nach, ob ich entweder die Wahrheit sagte, oder aber meine Lügen wenigstens gut genug beherrschte, um mir nicht zu widersprechen. Es lief eigentlich alles ganz gut, die Atmosphäre wurde immer entspannter, man lächelte und machte kleine Scherze, und alles sah schon nach einer Verabschiedung mit dem üblichen „Wir werden uns bei Ihnen melden“ aus. Aber plötzlich schien Haydon etwas einzufallen, und nach einem kurzen Getuschel zwischen den Herren griff er zu seinem CPMWI und telefonierte. Dann erklärte er mir mit einem strahlenden Gesicht, „Wir wollen Ihnen gerne noch Jonit vorstellen, den ersten Offizier auf dem Raumschiff, mit dem Sie dann mitfliegen werden, falls wir uns für Sie entscheiden sollten!“ So, wie er das sagte, hatte ich den Eindruck, sie hätten sich bereits für mich entschieden. Warum sonst hätten sie mich auch noch dem ersten Offizier vorführen sollen? Und das trotz der Masse anderer Bewerber. Aber noch ist nicht aller Tage Abend, sagte ich mir, und ich behielt recht damit. Plauder, plauder. Man unterhielt sich über belangloses Zeug, und ich machte mit, um zu zeigen, wie entspannt ich war. Jonit ließ sich Zeit. Aber plötzlich war er da und saß schneller neben Haydon, als ich den Kopf heben konnte. Seine Begrüßung bestand lediglich aus einem kurzen Kopfnicken.

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Ich war begeistert. War dieser Mann schön! Jonit war ein Ageloru; groß, schlank, aber muskulös, blauschwarzes Haar, intensiv-dunkle Augen, wahrhaft aristokratische Gesichtsform. Kurz: Zum Verlieben – wie fast alle Ageloru. Irgendwie scheinen sie auf diesem Planeten die Schönheit gepachtet zu haben. Und den Verstand noch dazu. Lauter Spitzenleute. Bloß mit den Gefühlen hapert es ein bisschen – in ihrer eigenen Sprache gibt es nicht einmal ein richtiges Wort dafür. Und in ihrem Gehirn keinen Platz – das Gefühlszentrum fehlt ihnen fast völlig. Alles reine Logiker, aber das in Reinkultur. Naja, man kann nicht alle haben. Sonst wäre es ja auch zu ungerecht den Bewohnern anderer Planeten gegenüber. Wann immer von einem Ageloru die Rede war, sprach man auch heute immer noch von einer Geschichte, die vor Jahrhunderten auf der Erde verbreitet worden war, damals noch über altmodische Geräte zur reinen einseitigen, non-interaktiven Bildbetrachtung, sogenannte Fernseher, die Geschichte des Raumschiffs Enterprise, Startrek, mit ihrem Mr. Spock, einem Vulkanier. Die Erfinder dieser Geschichte hätten es sich sicherlich nicht träumen lassen, dass es solche Menschen tatsächlich gibt, allerdings nicht auf dem Planeten Vulkan – ein solcher Planet existiert gar nicht-, sondern auf Agelor. Jonit warf einen schnellen Blick auf Haydons Unterlagen, musterte mich kurz und stellte dann die Frage, vor der ich mich die ganze Zeit gefürchtet hatte. „In Ihrer Referenzarbeit bei Abschluß des Studiums äußern Sie sich sehr kritisch zum Thema Raumfahrt. Heute streben Sie eine Stelle in genau diesem Bereich an. Woher der plötzliche Sinneswandel?“ Die anderen drei waren wie erschlagen. Ich hatte fest darauf vertraut, dass sie sich die Mühe nicht machen würden, meine Referenzarbeit zu lesen. Damit hatte ich ja auch richtig gelegen. Ohne Jonit hätten sie diesen Widerspruch nie bemerkt.

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14. Juli 2008

Womanizer

Philip ist ein sehr guter Freund von mir. Eigentlich ist er sogar mein bester Freund, obwohl er ein Mann ist und es immer heißt, zwischen Mann und Frau gibt es keine Freundschaft, sondern nur Sex oder gar nicht. Sex mit Philip kam für mich von Anfang an nicht in Frage, denn als ich vor etwas über einem neuen Jahr in die Firma gekommen bin, in der er schon viele Jahre war, war es mit das erste, was ich an Klatsch zu hören bekam: Philip ist das, was man auf Englisch einen „Womanizer“ nennt.

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Ein Schürzenjäger, ein Mann, der keinem Flirt und keinem Sexabenteuer aus dem Weg gehen kann. Der erste, der mir das berichtete, war sein Freund und Kollege Ronny; und zwar in seiner Gegenwart.

Philip hatte immerhin den Anstand, bei diesen Worten verlegen zu werden. Ich fand das absolut unfair von Ronny, so etwas zu sagen, und Philip tat mir beinahe leid in diesem Augenblick. So lächelte ich, gab ihm die Hand und sagte: „Freut mich, dich kennenzulernen, Philip. Und dass jemand, der so gut aussieht wie du, bei den Frauen beliebt ist, kann ich mir gut vorstellen.

Überrascht sah er mich an. Ich hatte die peinliche Situation gerettet – und die hämische Bemerkung von Ronny sehr geschickt in ein Kompliment für ihn verwandelt. Wahrscheinlich war es das, was für ihn die Basis unserer Freundschaft bildete. Für mich war es die Tatsache, dass er mich bei unserem Chef, einem Mann, für den das Wort „streng“ eine massive Untertreibung wäre, mehrfach in Schutz nahm, wenn der mich wieder einmal durchweg zu Unrecht zur Schnecke machte; und zwar auch öffentlich auf unseren Meetings.

Freundschaft hin oder her – mehr kam für mich nie in Frage, so gut Philip auch tatsächlich aussieht. Und so charmant er auch sein kann. Ich werde nie einen Mann lieben können, den ich mit anderen Frauen teilen muss. Und wenn es um puren Sex gegangen wäre – dafür war mir die sich so rasch entwickelnde sehr gute Freundschaft zwischen uns dann doch zu schade, sie für ein reines Sexabenteuer aufs Spiel zu setzen.

Philip akzeptierte dies, ohne dass wir je darüber geredet hätten; er spürte es einfach von selbst. Und nie versuchte er, mich irgendwie zu umgarnen, mich zu verführen oder so. Bei mir verzichtete er sogar auf die zweideutigen Komplimente, die alle anderen Frauen von ihm zu hören bekamen. In gewisser Weise war ich stolz auf diese Sonderbehandlung. Sie zeigte mir, dass ich für Philip eine Ausnahme war. Und da für ihn, wenn man es einmal so will, alle Frauen außer mir mehr oder weniger erotisches Freiwild sind beziehungsweise waren, ist das ein echtes und sehr tiefes Kompliment.

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Trotz meines eindeutigen Nein zu jeder Form sexueller Annäherung trafen wir uns aber oft auch privat; so wie Freunde sich halt treffen, mal nach Feierabend oder mal an einem Wochenende. Wir gingen miteinander essen, wir gingen miteinander ins Kino, wir trafen uns mit seinen Motorradfreunden, mit unseren Arbeitskollegen, mit meinen Freundinnen (die er alle im Sturm eroberte; allerdings besaß er den Anstand, sich keiner wirklich zu nähern) oder unternahmen andere Dinge.

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