Ich war jahrelang angestellte Anwältin und hatte es einfach nur noch satt, von meinem Chef ständig durch die Gegend gescheucht zu werden. Immer bekam ich die unangenehmsten Fälle, Gerichtstermine und Mandanten, ohne Rücksicht auf mein Spezialgebiet, Arzthaftung, denn obwohl es davon wirklich genügend Akten gab – deshalb war ich ja ursprünglich auch in diese Kanzlei gegangen – übernahm er die meisten lieber selbst. Erst wenn dann etwas hoffnungslos verfahren war oder es sich herausstellte, unser Mandant hatte uns belogen, dann durfte ich ran. Es war ein unangenehmes Arbeiten, und nach mehr als zehn Jahren hatte ich genug davon. Normalerweise hätte ich längst Partner sein müssen, aber mein Chef, mittlerweile 65 und ohne die Intention, so bald auch nur kürzer zu treten mit seinem Arbeitspensum, hatte mir nach fünf Jahren erklärt, er wolle es lieber so machen, dass ich Angestellte bliebe und irgendwann einmal seine Kanzlei vollständig übernehme. Damals war ich dumme Gans noch damit einverstanden gewesen und es schien mir als die perfekte Lösung. Hätte ich gewusst, dass er wahrscheinlich voll weiterarbeitet, bis er 75 ist, ich hätte mich nie darauf eingelassen.
Ich bin jetzt über 40, denn ich habe mit dem Jurastudium erst spät angefangen. Ich habe ein paar Jahre zwischendurch in der Arztpraxis meines Vaters ausgeholfen und eine Zusatzausbildung als Arzthelferin gemacht. Daher ja auch mein Spezialgebiet. Wahrscheinlich werde ich über 50 sein, bevor ich in dieser Kanzlei etwas zu sagen habe, so habe ich mir vor ein paar Monaten überlegt. Über 40, noch immer Angestellte, die in erster Linie die Wünsche ihres Chefs zu erfüllen hat, mit Arbeitszeiten, die es verhindert haben, dass ich jemals ans Heiraten und Kinderkriegen denken konnte – und zumindest für Letzteres ist es jetzt, mit über 40, ganz eindeutig zu spät -, und das Ganze auch noch für ein Angestelltengehalt, das nicht einmal für die Anschaffung einer Eigentumswohnung reichte. Wenn einen ein mieser Job mit guter Bezahlung entschädigt, ist das noch eine Sache – aber so kam ich mir vor, als hätte ich wirklich das schlechteste denkbare Los gezogen. Als mein Chef deshalb an seinem 65. Geburtstag, statt zu verkünden, dass er sich zurückziehen und mir mehr und mehr die Leitung überlassen würde, noch mindestens fünf, wenn nicht gar zehn Jahre voll arbeiten würde, begann ich, mich nach einem anderen Job umzusehen.
Mein Freund Robert war es, der mir etwas in der Firma vermitteln konnte, für die er schon jahrelang gearbeitet hatte. Sie macht Fortbildung für Anwälte; Seminare, Workshops und so weiter. Wir waren zusammen zur Schule gegangen, hatten dann zwar dasselbe studiert, aber in unterschiedlichen Unistädten, uns lange aus den Augen verloren und nur zufällig wiedergetroffen. Seitdem allerdings waren wir unzertrennlich. Nein, Robert ist wirklich nicht mehr als ein Freund; wir hatten nie Sex miteinander, und wir werden auch nie Sex miteinander haben. Ich finde Robert, mit seiner zierlichen Figur, seinen blauen Augen und seinen blonden Locken, die langsam grau werden, nur sieht man es bei Blond nicht so, einfach nur knuddelig und süß, aber seine erotische Anziehungskraft auf mich ist gleich null. Und er ist mir auch zu sehr ein Luftikus, der meistens immer gleich zwei oder drei Freundinnen hat. Nur eine unter vielen zu sein, dazu wäre ich nie bereit gewesen; ich wollte immer die Nummer 1 sein. Und so sonderlich gut aussehend fand ich Robert auch nicht, obwohl viele Frauen anderer Meinung waren. Da hatte ich ganz andere Männer kennengelernt im Laufe meines Lebens; wenn auch keine der Beziehungen gehalten hatte. So langsam begann ich mich schon damit abzufinden, denn schließlich war ich ja längst eine reife Frau, dass ich trotz meiner wirklich reichhaltigen Sexerfahrung als alte Jungfer enden würde. Dann lernte ich Markus kennen, einen Kollegen von Robert und entsprechend auch von mir als neuer Mitarbeiterin bei der Firma.
Robert war es, der mich ihm vorstellte, und ich spürte von Anfang an, dass da zwischen den beiden etwas war. Die Atmosphäre knisterte regelrecht vor Spannung. Markus, groß, schlank, dunkelhaarig, mit so dunklen Augen, dass sie schwarz wirkten, fühlte sich ganz offensichtlich unbehaglich. Zuerst dachte ich, es sei meinetwegen. Dabei hatten seine dunklen Augen sogar kurz aufgeleuchtet, als er mich erblickt hatte – doch dann hatte er Robert gesehen, und es war, als ob eine Klappe gefallen wäre. Ein paar harmlose Bemerkungen der beiden, oder vielmehr für mein unbefangenes Ohr harmlose Sprüche verstärkten die Spannung noch, und irgendwann ging mir auf, es war Robert, der Markus in Verlegenheit brachte. Das fand ich sehr schade, weil es auf mich abfärbte und ich Markus eigentlich ganz reizvoll fand. Ich dachte zwar jetzt nicht gleich daran, etwas mit ihm anzufangen, aber ich hätte blind sein müssen, um nicht auf sein dunkles, sinnliches Aussehen zu reagieren. Doch er steckte mich nun in Gedanken in Roberts Lager, zumal der mir ja auch den Job verschafft hatte, und da er und Robert offensichtlich Rivalen waren, wenn ich auch noch nicht so ganz erkannte warum und worin, war ich für ihn sozusagen abgeschrieben, noch bevor er mich richtig kannte. Das merkte ich in der Folgezeit auch immer wieder; er war reichlich steif, geradezu ablehnend mir gegenüber.
Eine andere Kollegin war es, die mir schließlich die Geschichte erzählte. Markus war frisch verheiratet gewesen, als Robert neu in die Firma gekommen war. Seine Frau hatte ab und zu in der Firma ausgeholfen, als Sekretärin, und so hatte Robert sie kennengelernt. Sie und Robert hatten sich ineinander verliebt, sie hatte sich Roberts wegen von Markus getrennt. Robert allerdings hatte sie bald darauf schon wieder in die Wüste geschickt. Ziemlich verzweifelt war sie zu Markus zurückgegangen. Er hatte sie auch wieder aufgenommen – aber wie die Stimmung in seiner Ehe seitdem war, das kann man sich ja vorstellen. Mit anderen Worten hatte Robert diese Ehe durch seine leichtfertige Art zerstört. Kein Wunder, dass Markus ihm das nachtrug, wenn es auch schon Jahre her war. Und kein Wunder, dass ich, die er für Roberts Freundin hielt, für ihn abgemeldet war. Wahrscheinlich glaubte er sogar, Robert und ich, wir seien ein Liebespaar. Leider ließ es sich nicht vermeiden, dass man sich in einer relativ kleinen Firma öfter mal über den Weg lief. Die ständigen Feindseligkeiten zwischen den beiden Männern waren nur schwer zu verkraften. Wobei Markus eher kalt und abweisend war, während Robert ihn offen aufzog. Und ich stand ständig in der Mitte, obwohl beide mich als zu Roberts „Lager“ gehörend ansahen. Was Markus davon abhielt, auch nur ein privates Wort mit mir zu wechseln. Ich kam mir manchmal schon vor wie vom Regen in die Traufe geraten, so sehr belasteten mich diese Spannungen. Dann stand ich irgendwann in der Küche, um für alle Kaffee zu kochen; eine Aufgabe, die reihum ging. Robert kam dazu, weil er gleich eine Tasse wollte, und dann kam auch Markus. Recht linkisch und steif bat er mich ebenfalls um Kaffee. So strahlend ich ihn auch anlächelte, als ich ihm eingoss, es zeigte keine Wirkung. „Markus, der ewige Frauenheld„, spottete Robert, der sich das Schauspiel betrachtete. „Du benimmst dich so wenig charmant, da nimmt selbst die Leidenschaftlichste Reißaus.“ Jetzt reichte es mir aber. Empört fuhr ich herum, kümmerte mich dabei gar nicht darum, dass ich unterwegs überall Kaffee vergoss, und fuhr Robert an: „Jetzt halt aber mal deine Klappe! Nach allem, was du gemacht hast, kannst du froh sein, dass Markus in deiner Gegenwart überhaupt noch redet!“