Zuerst konnte ich ihn nicht ausstehen. Das lag nicht an den Gegensätzen zwischen uns; und davon gibt es viele. Zu viele, um sie aufzuzählen; also nehmen wir nur einmal die Wichtigsten. Er ist jung, Anfang 20, ich bin schon eine reife Dame von Mitte 40. Er hat lange Haare, wie eine Frau, ich habe einen Ultra-Kurzhaarschnitt. Seine Stimme ist für einen Mann erstaunlich hell; am Telefon könnte man ihn beinahe für eine Frau halten. Und meine Stimme ist für eine Frau sehr dunkel. Sie ist um Etliches dunkler als seine. Das Einzige, wo wir uns ähnlich sind, ist die Größe. Wir sind in etwa gleich groß. Er heißt Hakim und ist der Jungspund bei dem Friseur, wo ich immer hingehe.
Der Salon liegt ganz bequem gleich um die Ecke von der Firma, wo ich arbeite; da kann ich dann auch schnell mal in der Mittagspause hingehen. Nein, mit Jungspund meine ich jetzt nicht Azubi; seine Ausbildung hat er schon eine Weile hinter sich. Trotzdem wird er von den anderen nicht viel anders behandelt als ein Auszubildender. Meistens muss er nur Haare waschen, den Kundinnen und Kunden Kaffee bringen, fegen und allgemeine Hilfsdienste leisten. Nur manchmal darf er auch selbst einen Haarschnitt machen. Und wenn, steht er dabei oft auch noch unter Aufsicht. Mein erster Eindruck von ihm war kein guter. Ich hatte schon morgens festgestellt, dass meine Haare einfach nicht mehr sitzen. Bei einem Kurzhaarschnitt ist es halt irgendwann soweit, dass er herausgewachsen ist. Alle paar Wochen muss man wieder zum Nachschneiden gehen. Manchmal mache ich einen Termin aus, aber in aller Regel komme ich auch dran, wenn ich keinen Termin habe.
An dem Tag war allerdings der Friseur, der mir immer die Haare schneidet, und mich wirklich bevorzugt behandelt (was vielleicht auch an dem hohen Trinkgeld liegt, was ich immer gebe …) nicht da. Alle anderen, die nicht gerade ebenfalls Mittagspause hatten, waren beschäftigt, und Hakim rannte zwischen dem einen und dem anderen hin und her, Handtücher bringen, Farben mischen, eine Färbung überprüfen und so weiter. Fast fünf Minuten stand ich vorne an der Kasse und wartete darauf, dass endlich jemand kam, der mir sagen konnte, ob es Sinn hatte zu warten, oder ob ich den Haarschnitt besser auf einen anderen Tag verschieben sollte. Das machte mich schon sauer. Endlich kam er, und war alles andere als höflich zu mir – obwohl ich ja nun schon seit langer Zeit Stammkundin war. Auch wenn ich mit ihm direkt noch nie etwas zu tun gehabt hatte – ich hatte ihn immer nur flüchtig wahrgenommen – er musste mich eigentlich kennen. Ziemlich verärgert zog ich wieder ab. Seine Art kam mir ausgesprochen arrogant vor; dabei war er wahrscheinlich einfach nur gehetzt und im Stress.
Aus lauter Trotz ging ich am nächsten Tag zu einem anderen Friseur. Vier Wochen später war es wieder soweit; und diesmal, so beschloss ich, wollte ich mich nicht wieder von einem Jungspund vertreiben lassen. Eine sehr nette Dame sagte mir dann, wenn ich eine Viertelstunde warten wolle, käme ich dann sofort dran. So war es auch. Mein Stamm-Friseur begrüßte mich sehr überschwänglich – und nun sollte das erste Mal Hakim mir die Haare waschen. Der mir zuerst noch einen Kaffee brachte und mich dabei sehr gewinnend anlächelte. Ich war etwas verkrampft beim Haare Waschen, aber er machte das sehr gut. Nicht so flüchtig wie viele Azubis; es war schon eine richtige Haarwäsche. Seine Finger waren kräftig, so dass es auch gut tat, er fragte regelmäßig, ob alles recht sei, hatte aber automatisch schon selbst eine angenehme Wassertemperatur gewählt und so weiter. Ich war so zufrieden mit ihm, dass er diesmal von mir ein extra Trinkgeld bekam, obwohl ich sonst nur einmal Trinkgeld gebe und es meinem Friseur überlasse, ob er das mit dem Azubi teilt, der die Haare gewaschen hat. Als Dank dafür bekam ich noch ein Lächeln. Wieder etwa vier Wochen später kam ich das nächste Mal. Erneut wusch Hakim mir die Haare. Als ich wieder da so lag, den Kopf zurückgelegt im Porzellanbecken, sagte er auf einmal zu mir: „Sie sind völlig verkrampft. Versuchen Sie einfach, sich zu entspannen.“ Nun ja, dass ich nicht gerade locker war, lag an dem Stress im Büro, dem ich kurz hatte entfliehen wollen, doch er war mir bis in den Friseursalon nachgelaufen; in Gedanken war ich schon wieder bei meiner nächsten Akte. Dann jedoch begann Hakim damit, mir nicht nur die Haare zu waschen, sondern mir die Kopfhaut zu massieren. Es gibt nichts, was effektiver von gehetzten Gedanken ablenkt und für Entspannung sorgt, habe ich dabei gemerkt. Ich habe einfach die Augen geschlossen und es genossen.
Anschließend, als ich schon mit gewaschenen Haaren und einem Handtuch um den Kopf wieder vor dem Spiegel saß, stellte er sich hinter mich und begann ungefragt damit, die Massage fortzuführen; aber diesmal nicht als Kopfmassage, sondern als Nackenmassage. Er massierte mir den Nacken und die Schultern und ich hätte vor Wonne stöhnen können. Allerdings weckten seine starken Finger auf meinen Schultern nicht nur Gefühle der Entspannung, sondern auch andere. Unwillkürlich stellte ich mir vor, wie es wohl wäre, diese Finger anderswo an meinem Körper zu spüren; am besten sogar an meinem nackten Körper. Heimlich betrachtete ich mir blinzelnd, mit immer noch weit gehend geschlossenen Lidern, was ich von ihm im Spiegel zu sehen bekam. Er hatte große, dunkle Augen, einen sehr schön geschwungenen Mund mit vollen Lippen, wie geschaffen zum Küssen, eine gute Figur, lange, dunkle Haare, mit blonden und roten Strähnen geschmückt, muskulöse Arme – und eben starke Hände. Ja, der könnte mir auch als Liebhaber gefallen, dachte ich damals – und lachte innerlich über mich selbst.