Ausgerechnet ich sollte bei dem Stück, das unsere kleine Laienspieltruppe im Herbst aufführen sollte, die Rolle des Ödipus übernehmen; wo ich doch ausschließlich auf junge Girls stehe! Wenn die in meinem Alter sind, und ich bin gerade 26 geworden, sind die mir eigentlich schon zu alt. Ich mag sie am liebsten so richtig jung und knackig, von 18 bis höchstens 24. Für mich wäre es unvorstellbar, etwas mit einer Frau zu haben, die älter ist als ich. Womöglich gar mit einer Frau, die genauso alt ist wie meine Mutter, also einer Frau Ende 40, beinahe einer Frau mit 50. Dass es sich beim Sex mit meiner eigenen Mutter um Inzest handeln würde, das wäre für mich noch nicht einmal das Schlimmste daran. Ich mag nur einfach reife Frauen nicht, ich finde sie absolut nicht erotisch und verstehe auch gar nicht, was manchmal ausgerechnet ganz junge Männer an so alten Weibern für einen Narren gefressen haben.
Genau das ist es aber ja nun, was Ödipus gemäß der griechischen Sage auszeichnet, dass er eine wesentlich ältere Frau heiratet – von der er später erfährt, es ist in Wirklichkeit seine Mutter. Das Spiel, was wir aufführen wollten, hielt sich allerdings nicht streng an die griechische Sage. Es war eine sehr freie, moderne Adaption des Original-Stoffes. Es hatte auch mit Inzest nichts zu tun. Geschrieben hatte es unser Hobby-Autor, der manchmal auch kleine Rollen übernimmt, im Wesentlichen allerdings nur für neue Stücke sorgt. In seinem neuesten Stück ging es darum, dass ein junger Mann bei seinem ersten Job an eine wesentlich ältere Vorgesetzte gerät, die vom Alter her seine Mutter sein könnte. Zuerst schikaniert sie ihn bis aufs Blut. Was er nicht weiß – weil er den Job bekommen hat, wurde der Sohn einer Freundin der Chefin, ihr Patensohn, abgelehnt, und das nimmt sie ihm übel, obwohl er doch gar nichts dafür kann. Auf die Dauer schafft er es aber, seinen weiblichen Boss, die reife Dame, dadurch zu beeindrucken, dass er sich von all ihren Schikanen nicht unterkriegen lässt, sondern einfach ruhig – und gut – seinen Job macht, obwohl er unter den Schikanen wirklich schwer leidet. Er bricht nicht zusammen, er beklagt sich nicht, er petzt nicht bei der Geschäftsleitung, er erträgt es einfach. Irgendwann fragt sie ihn, warum er denn nicht gegen ihre strenge Herrschaft rebelliert. Sinngemäß antwortet er, er hätte an seinem ersten Tag in der neuen Firma gehört, dass er die Stelle ihrem Patenkind weggeschnappt hätte, und dann alles als verdiente Strafe auf sich genommen.
Das beeindruckt seine reife Vorgesetzte so sehr, dass sie sich in ihn verliebt und seit diesem Augenblick ihn nicht mehr schikaniert, sondern ihn zu verführen sucht, auch im Büro. Außerdem lädt sie ihn zu sich privat ein. Sie ist unverheiratet und kinderlos, also das, was man früher mal eine alte Jungfer nannte. Als er eine dieser Einladungen annimmt, gelingt es ihr tatsächlich, ihn ins Bett zu zerren. Dabei verliebt auch er sich unsterblich in sie. Allerdings erkennt sie, als die beiden es miteinander treiben, dass er doch viel zu jung für sie ist und wendet sich wieder von ihm ab, wird erneut zum Leuteschinder für ihn. Und wieder erträgt er alles brav und ohne Protest; nur diesmal nicht als verdiente Strafe, sondern aus Liebe. Welcher Sinn hinter diesem Stück steckt? Woher soll ich das wissen? Da müsst ihr schon den Autor fragen. Ich gebe euch gerne seine Mailadresse. Auf jeden Fall, ihr seht also, mit dem ursprünglichen Ödipus hatte das Stück nicht viel zu tun. Blieb aber immer noch die Tatsache, dass ich, der ich auserkoren worden war, diesen modernen Ödipus zu spielen, wenigstens auf der Bühne mit einer wesentlich älteren Frau zu tun haben sollte. Das wäre an sich nicht einmal so arg schlimm gewesen; mit Petra, die die Rolle der strengen Chefin des neuen Ödipus übernehmen sollte, hatte ich schon des Öfteren zusammengespielt. Das hatte auch immer hervorragend geklappt. Nur hatte unser Autor diverse Liebesszenen nicht nur angedeutet, sondern detailliert in das Stück eingebaut, und das ging mir schwer auf den Geist.
Ich hatte Petra zu umarmen, zu küssen, und an einer Stelle gab es sogar einen gemeinsamen Tanz im Mondschein, bei dem wir beide halb nackt sein sollten. Das mal ganz von der Bettszene abgesehen, wo die reife Lady und der junge Kerl miteinander Sex haben sollen. Glücklicherweise sollte der Vorhang schon fallen, wenn die beiden miteinander ins Bett gehüpft waren, aber auch das weckte nicht unbedingt Vorfreude bei mir; zumal ich oben herum nackt zu sein hatte, in dieser Szene des Stücks, und sie sollte in irgendwelche Reizwäsche gesteckt werden. Allein schon bei dem bloßen Gedanken daran drehte sich mir der Magen um. Aber ich würde den Teufel tun und wegen meiner Abneigung gegen reife Frauen meine Karriere als Laienschauspieler riskieren, gerade wo mein Stern so richtig am Steigen war. Deshalb hatte ich ja auch die Hauptrolle bekommen, und das schmeichelte mir natürlich ungeheuer. Deshalb kam es gar nicht in Frage, die Rolle abzulehnen.
Ja, und nachdem ihr jetzt mein ganzes Geschimpfe über reife Weiber gehört habt, wie es vor Beginn der Proben von mir hätte kommen können und gekommen war, dann müsst ihr es euch echt auf der Zunge zergehen lassen, was dann nachher passiert ist. Zuerst haben wir ein paar Male das Stück nur gelesen; das ging ja noch. Da konnte ich mich gerade noch so beherrschen. Übrigens, nicht dass ihr jetzt denkt, ich mag Petra nicht. Sie ist echt ein dufter Kumpel, und ich komme sehr gut mit ihr aus. Nur konnte ich mir eben keinerlei Erotik mit ihr vorstellen. Nein, wirklich beim besten Willen nicht. Dabei wurde mir sogar regelrecht übel. Welkes, weiches, schlaffes Fleisch, Rundungen an den falschen Stellen, Falten und so weiter – das macht mich eben einfach nicht an. Aber dann begannen die Proben im Ernst. Und ziemlich am Anfang übten wir schon eine Szene aus dem zweiten Akt, wo die Chefin schon in ihn verliebt ist, und wo sie den armen Ödipus sozusagen quer durchs halbe Büro jagt. Sie will ihm unbedingt einen Kuss rauben. Er aber versteht nicht, weshalb sie, nachdem sie ihn hereingerufen hat, unbedingt neben ihm stehen muss.