Eigentlich fand ich die Mutter meiner Freundin immer schrecklich. Nicht dass sie nun so eine typische Schwiegermutter gewesen wäre, die sich in alles einmischt, den jungen Leuten ständig erklärt, was sie zu tun und zu lassen haben und konstant präsent ist. Das nun nicht. Erika, die Mutter meiner Freundin Lore, hielt sich sehr bedeckt und weitgehend von uns fern. Wenn sie dann allerdings mal auftauchte, kam ich mir regelmäßig vor wie ein Pennäler, der vor einer Lehrerin steht. Nicht dass Erika mich jetzt heruntergeputzt oder gemaßregelt hätte; oh nein. Dazu war sie viel zu vornehm. Aber es war alleine schon ihre Ausstrahlung, die mich in die Defensive versetzte.
Sie war immer perfekt zurechtgemacht und tadellos gekleidet – ganz anders als ihre Tochter, die zuhause und manchmal sogar draußen auch schon mal ziemlich schlampig gekleidet, ungeschminkt und ungekämmt herumlief, richtig ungepflegt. Dadurch alleine fragte ich mich immer automatisch innerlich, ob ich auch wirklich gut genug wäre, ihr zu begegnen. Außerdem wusste ich, dass Erika, die ihre Tochter alleine großgezogen hatte, ein Unternehmen aus eigener Kraft aufgebaut hatte. Erst als sie 50 geworden war, vor zwei Jahren, hat sie die Firma mit einem hohen Gewinn verkauft – sie hat es gerade noch so vor der allgemeinen Wirtschaftskrise hinbekommen -, und lebt jetzt von den Zinsen ihres Vermögens. Diese Frau hat in ihrem Leben also wirklich einiges auf die Beine gestellt – was nicht nur Respekt weckt, sondern auch gewisse Minderwertigkeitsgefühle. In ihren beruflichen Erfolgen ist sie wiederum ganz anders als ihre Tochter. Lore hat wie ich studiert, aber während ich längst meinen Abschluss habe und im ersehnten Beruf arbeite (der natürlich bei weitem nicht so toll ist, wie ich mir das vorgestellt hatte …), studiert sie noch immer.
Sie hat zweimal das Studienfach gewechselt und kommt nie über die Zwischenprüfung hinaus. Irgendwie kann sie Dinge nie zu Ende führen. Sie trägt auch nur sehr unregelmäßig zu den Ausgaben unseres gemeinsamen Haushalts bei. Manchmal arbeitet sie irgendwo, aber nie sehr lange – und meistens arbeitet sie eben nicht. Es gibt wirklich keinen größeren Gegensatz als Mutter und Tochter in diesem Fall. Lore genießt das Leben, sie lebt in den Tag hinein, und Pflichten sind für sie ein Fremdwort. Nun könnte ich das ja noch verstehen, wenn sie 18 wäre; aber Lore ist 28 und damit längst in einem Alter, indem sie ihren festen Platz im Leben gefunden haben sollte – und wie alle anderen in dem Alter auch ihre Arbeit machen. Würde ich nicht so gut verdienen, könnte sie sich ihr Herumtreiben gar nicht leisten – aber so unterstütze ich quasi noch ihre Disziplinlosigkeit. Was nicht etwa heißen soll, dass die mich nicht stören würde!
Was mich allerdings noch viel mehr stört, das ist, dass Lore mir nun keineswegs dankbar dafür ist, dass ich ihr dieses sorgenfreie Leben ermögliche. Sie ist auch nicht tolerant genug, mir ebenfalls mal ein paar kleine Schwächen durchgehen zu lassen, so wie ich ihre große Schwäche toleriere. Stattdessen gehört Lore zu den Frauen, die mit nichts zufrieden sind, was ihre Partner machen – und sie das auch ständig spüren lassen. Würde ihre Mutter mir so begegnen wie sie, könnte ich das noch verstehen; denn Erika hat bewiesen, dass sie selbst Leistung bringen kann. Deshalb fühle ich mich ihr gegenüber ja auch immer so minderwertig, so unzureichend und unvollkommen. Ihre Mutter jedoch hat mich, seit ich sie kenne, noch nicht einmal kritisiert. Umso mehr ärgert es mich, wenn Lore dauernd an mir herum nörgelt. Und ihre aktuelle Motz-Kampagne setzt dem Ganzen nun wirklich die Krone auf. Auf einmal behauptet sie, ich sei beim Sex viel zu egoistisch, würde immer nur an mich denken und sie käme ständig zu kurz dabei. Na toll! Also wenn sie mir nicht wirklich die ganze Zeit etwas vorgemacht hat – und wir sind immerhin schon über ein Jahr zusammen! -, dann ist sie, wenn wir Sex hatten, regelmäßig ebenfalls gekommen.
Sollte sie mir tatsächlich einen Orgasmus nur vorgemacht haben – man hört ja so viel davon, dass Frauen den Höhepunkt perfekt faken können -, nun, dann ist sie doch selbst schuld, dass es nicht besser läuft oder? Ich meine, sollen die Weiber doch einfach mal den Mund aufmachen und sagen, was sie von uns wollen, statt dass sie stumm leiden. Oder eben ja gerade nicht stumm; denn in Vorwürfen sind sie dann ja wieder ganz groß – nur nicht in Vorschlägen, was wir anders und besser machen könnten. Auch Lore hat mir nicht etwa gesagt, wie sie es gerne von mir besorgt bekommen würde; sie hat einfach nur gesagt, dass ich ein schlechter Liebhaber bin, und damit war für sie die Sache erledigt. Wahrscheinlich hatte sie insgeheim erwartet, dass ich mich jetzt wochenlang abstrampeln und alles Mögliche ausprobieren würde, um sie endlich wirklich zu befriedigen. Doch da hatte sie sich getäuscht. Stattdessen habe ich ihr kategorisch erklärt, dass ich die Nase nun endgültig voll hätte von ihrem bequemen Leben auf meine Koste und ihrem ewigen Gemecker ohne Verbesserungsvorschläge. Ich hatte sie vorher noch einmal darum gebeten, mir zu sagen, was sie beim Sex von mir erwartet. Als dann nur ein gedehntes „Ja, ich weiß ja auch nicht …“ kam, ist mir der Kragen geplatzt. Und nach meinem Vortrag über IHREN Egoismus habe ich ein paar Klamotten gepackt und bin zu einem Freund. Ich wollte noch keine endgültige Trennung – aber ich konnte auch nicht bleiben, dazu war ich zu wütend auf Lore. Ich wollte ihr einfach nur Gelegenheit geben, sich alles noch einmal in aller Ruhe zu überlegen, und dann einzulenken, damit wir gemeinsam einen Kompromiss im Bett finden konnten.