Eigentlich hätte ich mich in der Firma total zurückhalten müssen, denn ich war da nur vorübergehend, und das auch noch als Freiberufler, also nicht eingegliedert in den Betrieb. Trotzdem konnte ich den Mund nur schwer halten, als ich mir angeschaut hatte, was da so alles abging. Die Mitarbeiter tanzten dem Chef einfach nur so auf der Nase herum. Besonders schlimm war eine der Frauen. Mir war anfangs gar nicht so recht klar, welche Funktion sie eigentlich in der Firma hatte, in die ich nur gekommen war, um die Umstellung auf eine neue Software durchzuführen, deren Performance zu überwachen und die Mitarbeiter zu schulen.
Wobei mir das eigentlich ja auch egal sein konnte, wie doll es die Angestellten dort trieben – nur soweit es mich selbst und meine Arbeit in der Firma betraf, gestand ich mir selbst das Recht zu, alles mit Argusaugen zu überwachen. Und diese betreffende Lady, mit dem Namen Emily, war ebenfalls auf der neuen Software zu schulen. Ich hatte also recht oft mit ihr zu tun. Zumal sie es verstand, mir immer wieder den Unterricht total zu zerschießen, also weit mehr Schulungsstunden brauchte als alle anderen. Entweder passte sie nicht auf, oder sie vergaß Dinge, die ich ihr gerade erst beigebracht hatte, sofort wieder. Manchmal spielte sie auch einfach auf der Tastatur herum, dass es mir ganz schlecht wurde bei dem Gedanken daran, was das möglicherweise bei Hardware oder Software auslösen konnte. Und dann wieder versuchte sie, mich in ein Gespräch über ganz andere Dinge als Computer und Software zu verwickeln. Auf jeden Fall war sie meine schlechteste Schülerin im ganzen Betrieb. Dabei war Emily gewiss nicht dumm; ich war mir ziemlich sicher, wenn sie sich mehr Mühe damit gegeben hätte, sich auf die Schulung zu konzentrieren, hätte sie sich recht schnell in die neue Software hineingefunden. Vielleicht sogar schneller als die meisten anderen. So aber war sie das Schlusslicht der ganzen Truppe, und als ich nach drei Wochen die Schulung der anderen für weitgehend beendet erklären konnte – im Notfall konnte man mich immer noch über eine bestimmte Hotline erreichen, falls es doch noch Fragen gab oder Schwierigkeiten auftraten -, war sie durch ihre eigene Schuld hoffnungslos zurück und noch lange nicht einsetzbar. Genau das erklärte ich ihrem Chef auch bei der geplanten Abschlussbesprechung klipp und klar. Ich sah keinen Grund, Emily zu schonen. Vor allem war ich nicht bereit, für sie zu lügen. Und es war nun einmal eine Tatsache, dass sie es ganz und allein sich selbst zuzuschreiben hatte, dass sie den Umgang mit der neuen Software noch immer nicht beherrschte.
Der Chef machte ein langes Gesicht, als ich ihm das berichtete. Ich verstand es wirklich nicht, welche Probleme er mit dieser Frau hatte; bei mir wäre die schon längst rausgeflogen! Sie machte ihre Arbeit oft nicht dann und nicht so, wie sie es sollte, sie gab ständig Widerworte, und sie hielt vor allem die anderen ebenfalls von ihrer Arbeit ab, indem sie sie in ein Schwätzchen während der Arbeitszeit verwickelte und so weiter. Sie war als Mitarbeiterin wirklich eine echte Katastrophe. Nach kurzem Schweigen erklärte ihr Chef mir, es sei aber unbedingt erforderlich, dass auch Emily diese Software beherrsche. Warum, das verstand ich zwar nicht, und er konnte es mir auch nicht erklären, aber es war nun offensichtlich eben einfach so. Was man denn da machen könnte, fragte er mich. Ich machte ihm widerstrebend einen Vorschlag, von dem ich ganz sicher war, dass ich ihn sehr schnell bereuen würde. Ich bot ihm an, gegen eine entsprechende zusätzliche Bezahlung – denn damit ging ich ja schließlich weit über das hinaus, was laut Vertrag von mir verlangt war – Emily abends nach Feierabend noch ein paar private Nachhilfestunden in der Bedienung der neuen Software zu geben. Ich fügte aber gleich hinzu, dass es erstens ganz alleine sein Problem war, wie er Emily, die mal mühsam ihre normale Arbeitszeit durchhielt, auch noch zu Überstunden überreden würde. Und dass ich es mir zweitens vorbehalten musste, diesen privaten Unterricht jederzeit abzubrechen, falls es sich herausstellen sollte, dass Emily nun gar nicht bei der Stange zu halten war. In diesem Fall würde sich der vereinbarte Aufpreis selbstverständlich entsprechend verringern. Damit erklärte mein Geschäftspartner einverstanden. Ich gab ihm noch den Hinweis, dass er Emily ja notfalls mit der Kündigung drohen könne, wenn sie keine Kooperationsbereitschaft zeige, und machte mich auf den Weg. Ehrlich gesagt war ich mir ziemlich sicher, dass er mich schon bald anrufen und mir mitteilen würde, dass es ihm nicht gelungen war, Emily zu Überstunden zu bewegen. Sein Anruf kam tatsächlich bereits am nächsten Tag – aber erstaunlicherweise hatte er sich diesmal doch einmal bei Emily durchsetzen können. Der erste private Nachhilfeunterricht – ich ging davon aus, dass wir mehrere Abende brauchen würden – sollte schon an diesem Abend stattfinden. Das passte mir eigentlich überhaupt nicht in den Kram, aber irgendwie hatte Emilys Widerspruchsgeist auch meinen Ehrgeiz und den Wunsch in mir geweckt, ihr endlich einmal zu zeigen, was eine Harke ist, und ihr Manieren beizubringen. Es wäre doch wirklich gelacht, wenn ich es nicht schaffen sollte, diesem rebellischen Weib die Bedienung der neuen Software beizubringen!
Ich sagte also die Verabredung mit einem Kumpel ab, die ich bereits für den Abend getroffen hatte, und richtete meine Unterlagen für die Schulung von Emily. Weil ich ihretwegen auf einen freien Abend verzichte musste, war ich schon reichlich sauer auf sie, bevor ich überhaupt in der Firma eintraf; und bevor sie sich das erste Mal daneben benommen hatte. Die anderen waren gerade am Aufbrechen in den Feierabend, und ich beneidete sie alle glühend. Emily zog einen Flunsch; sie schmollte ersichtlich. Schön – dann ging es ihr ja nicht besser als mir, denn ich wäre auch lieber woanders gewesen als in der Firma, mit ihr in einem Raum an einem Computer, dessen Bildschirm mir Eingabemasken zeigte, die ich mit den anderen hier und auch mit ihr selbst bereits bis zum Erbrechen durchgekaut hatte. Bevor wir anfingen, schaute der Chef noch einmal bei uns herein. Als er sich von uns verabschiedete, gab Emily ihm irgendetwas extrem Pampiges zurück; ich habe schon vergessen, was sie nun genau gesagt hat. Es war auch mehr der unbotmäßige Ton, der mich aufregte. Kaum war der Chef wieder draußen, sagte ich scharf zu ihr: „Das war absolut unnötig!“ Sie schaute mit blitzenden Augen zu mir hoch – sie saß vor dem Computer, und ich stand neben ihr – und entgegnete ebenso pampig, wie sie vorhin mit ihrem Chef geredet hatte: „Wer sagt das?“ Ich stellte mich der Herausforderung, die in diesen Worten lag. „Ich sage das!„, erklärte ich. „Du hast mir gar nichts zu sagen!„, pampte Emily weiter herum. Das ging mir dann doch über die Hutschnur. Der Tussi würde ich es geben, und zwar ordentlich! „Irgendeiner muss dir ja mal die Meinung sagen, so unmöglich, wie du dich benimmst!„, schalt ich. „Wenn ich dein Chef wäre, würdest du schon längst auf der Straße sitzen. Ich lasse mit mir nicht so umspringen wie er!“ Sie sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, stand auf, stellte sich vor mich, stemmte die Hände in die Seiten, und funkelte mich an. „Und was, mein Herr„, zischte sie, „willst du dagegen machen, wenn ich mit dir doch so umspringe?“ Im Grunde hatte sie ja recht. Ich hatte ihr gegenüber keinerlei Machtmittel in der Hand. Ich konnte sie ja gerade nicht hinauswerfen, denn ich war nicht ihr Chef, und ich konnte sie nicht einmal mit einer Abmahnung disziplinieren. Eigentlich war ich ihrer Aufsässigkeit hilflos ausgeliefert. Mit steigender Wut nahm ich es zur Kenntnis. Aber ich ließ mir das nicht anmerken. Lässig erwiderte ich: „Du weißt ja, wie die Lehrer den unartigen Schülerinnen früher beigebracht haben, wie sie sich benehmen sollen.“