Es war alles ganz genau so, wie sie es mir vorher gesagt hatte. Ich war fast eine Stunde lang draußen in der Kälte herumgelaufen, und dann war ich zurückgekehrt. Zu unserer Wohnung. Ja, wohlgemerkt, wir wohnten beide bereits seit einiger Zeit zusammen. Wir waren eigentlich auch recht glücklich miteinander. Nur was den Sex anging, da hatte mehr und mehr gefehlt. Wir hatten noch Sex; oh ja. Sogar regelmäßig. Aber er war einfach nicht mehr so aufregend wie am Anfang, vor zwei Jahren, als wir uns ineinander verliebt hatten. Das ist normal; wir sagten es uns selbst und wir versicherten es uns auch gegenseitig, dass so etwas ganz natürlich ist und einfach nicht ausbleiben kann. Allerdings waren wir beide nicht bereit, das zu akzeptieren. Nur hatten wir nicht die geringste Ahnung, wie wir es anstellen sollten, unser reichlich eingeschlafenes Liebesleben wieder so anzustoßen, dass der Schwung vom Anfang zurückkommen konnte.
Wir hatten uns haufenweise Sexbücher gekauft und auch im Internet Ausschau gehalten nach interessanten Sexspielen, die angeblich dazu beitragen konnten, die Erotik wiederzubeleben, wenn man längere Zeit zusammen war und die Langeweile drohte auszubrechen. Es hatte alles nichts geholfen. Gut, manches davon war ziemlich erregend, und wir hatten es auch genossen. Aber das Problem war, selbst die faszinierendsten Sexspiele werden ab einer gewissen Wiederholung selbst ebenfalls gleich wieder zur Routine; und genau dagegen kämpften wir ja an, gegen die Routine. Nun hätte man natürlich auch immer so weitermachen können, ständig neue erotische Spiele suchen, aber irgendwie war das nach einer Weile doch reichlich anstrengend. Unser Sexleben war dann zwar keine Routine mehr, aber dafür entwickelte es sich zu einem sportlichen und recht anstrengenden Wettkampf auf der Suche nach immer neuen Möglichkeiten, und das war nicht besser, sondern sogar eher schlechter als Langeweile. Zu wissen, dass ich jeden Abend mit einer neuen erotischen Fantasie aufzuwarten hatte, schreckte mich total ab, und Vanessa ging es nicht anders. Da hatte man dann schon überhaupt keine Lust mehr, miteinander ins Bett zu steigen … Ich meine, wenn ich Sex will, dann will ich Sex – und nicht Höchstleistungen bringen oder mich in allen möglichen Sexstellungen verrenken oder immer daran denken, meine Freundin nur ja nie zweimal an demselben Ort zu poppen …
Ja, und dann war Vanessa ein Buch in die Finger geraten, mit dem sie sehr geheimnisvoll getan hatte. Alle anderen Erotikratgeber hatten wir gemeinsam angeschaut, aber diesen behielt sie für sich. Ich fand das seltsam, aber andererseits hatte ich auch echt die Schnauze voll davon, jedes Vögeln vorzubereiten und zu inszenieren wie irgendwelche Bayreuther Festspiele oder wie die heißen. Von daher war ich eigentlich sogar ganz froh, dass sie sich da offensichtlich alleine Gedanken machte, was wir vielleicht noch ausprobieren konnten. Obwohl, ein bisschen neugierig war ich ja nun auch schon, was sie denn da entdeckt hatte. Vor allem, weil sie wahnsinnig fasziniert zu sein schien von diesem Büchlein. Es war nicht sehr dick, und sie schien es gleich mehrmals hintereinander zu lesen, machte sich sogar Notizen, die ich aber ebenfalls nicht zu sehen bekam. Sie hätte sie mir allerdings ruhig auch zeigen können; ihre Schrift ist so krakelig, dass ich sie ohnehin nicht lesen kann. Das Buch allerdings, das hätte ich mir irgendwann schon gerne einmal angeschaut. Und irgendwann gelang es mir tatsächlich, es kurz in die Finger zu bekommen, als sie auf der Toilette war. Sich als dominante Frau selbst verwirklichen, so ähnlich lautete der Titel. Ich war geplättet. Meine Vanessa, eine dominante Frau? Da musste irgendwo ein Irrtum vorliegen. Vanessa ist im Alltag alles andere als dominant. Sie ist extrem nachgiebig, sehr auf Harmonie bedacht, und überlässt es am liebsten mir, sich um alles zu kümmern, was so anliegt. Nein, also Vanessa ist ganz bestimmt keine dominante Frau, dachte ich bei mir. Aber irgendetwas beschäftigte sie an dem Thema Dominanz; dann sollte sie sich halt damit beschäftigen. Mich störte das nicht. Es vergingen etliche Tage. Irgendwann empfing mich Vanessa abends in einer ganz anderen Stimmung als sonst. „Wir werden jetzt in der Erotik etwas völlig Neues ausprobieren„, verkündete sie. Nun, das taten wir ja schon eine ganze Weile, aber ich wollte sie nicht korrigieren. Sie erklärte mir nicht, was es war, was sie jetzt vorhatte, sie fragte mich nicht, ob ich damit denn auch einverstanden sei – sie bestimmte das einfach. Nun denn – mir war das ganz recht, dass sie sich endlich auch einmal ein bisschen Mühe gab und aktiv dazu beitragen wollte, unser Sexleben wieder aufregend zu machen; bisher hatte sie das weit gehend mir überlassen. Aber warum sollen immer die Männer die ganze Arbeit machen, wenn doch schließlich die Frauen am Vergnügen ebenso teilhaben? Also nickte ich nur. Sie erklärte mir, dass unser neues Spiel noch an diesem Abend beginnen würde. Das kam mir ja nun doch etwas überraschend schnell. Außerdem war ich mir gar nicht sicher, dass ich an diesem Abend überhaupt Lust auf Sex hatte. Aber es konnte ja nichts schaden, bei ihrem Spiel einmal mitzumachen. Wenn das nicht ausreichte, um mich geil werden zu lassen, würde sie das schon merken und davon Abstand nehmen.