Ich gebe zu, die Engländer haben recht, wenn sie sagen: „Two wrongs don’t make a right.“ Also zweimal Unrecht ergibt noch lange kein Recht, anders als minus mal minus immer plus ergibt. Ethik gehorcht nun einmal nicht mathematischen Regeln. Trotzdem, wir Menschen sind nun einmal so gestrickt, dass wir uns für das erlittene Unrecht gerne rächen. Und auch wenn das die Welt nicht wieder so macht wie vorher, so kann es doch erstens das eigene Ego befriedigen, und zweitens wenigstens manchmal zu einem Ergebnis führen, das eigentlich noch viel besser ist als der Status Quo vor dem ersten Unrecht. Für diejenigen, denen das jetzt alles viel zu kompliziert klingt, erzähle ich einfach die Geschichte, um die es mir geht. Dann wird das schon deutlich, was ich meine. In der Geschichte geht es um Sex und Seitensprung; besser gesagt, um zweimal Fremdgehen. Oder viermal, wenn man es ganz genau nimmt. Es ist also eine Sexgeschichte. Sie beginnt mit Sex für meinen Mann, der mich vor jetzt ziemlich genau sechs Monaten das erste Mal betrogen hat. Für sein Fremdgehen habe ich mich mit einem eigenen Seitensprung gerächt, und der hat mir gleich in doppelter Hinsicht mein Glück gebracht. Aber widmen wir uns erst einmal der Vorgeschichte zu diesem doppelten Seitensprung.
Wir vier, mein Mann Torben, ich, Angelika und ihr Mann Johannes, wir waren schon immer Freunde, seit wir uns im ersten Semester Jura an der Universität Mannheim getroffen haben. Vorher kannten wir uns überhaupt nicht, aber Studenten und Studentinnen schließen ja rasch feste Freundschaften. Wenn man jung ist, ist das so; später, wenn man älter wird, geht es nicht mehr ganz schnell mit den neuen Freundschaften. Deshalb sind die alten Freundschaften ja auch so wertvoll. Wir vier frisch gebackenen Studenten bildeten noch im ersten Semester eine feste Lerngruppe und segelten gemeinsam zwar nicht hervorragend, aber doch recht gut durch Klausuren, Zwischenprüfung, erstes und zweites Staatsexamen. In Sachen Lernen und Freundschaft waren wir eine Vierergruppe, in Sachen Liebe jedoch sehr schnell zwei Paare. Schon im zweiten Semester oder vielmehr in den Semesterferien hatten sich Angelika und Johannes sowie Torben und ich zusammengefunden, und nie hatte einer von uns vieren einen Zweifel daran gehabt, dass wir mit dieser Konstellation genau die richtigen Paare gebildet hatten. Zwischen erstem und zweitem Staatsexamen feierten wir eine Doppelhochzeit. Danach, also nach der Referendarzeit und dem zweiten Staatsexamen, trennten sich unsere Wege insofern, als mein Mann sich mit einer eigenen Anwaltskanzlei selbstständig machte und ich bei ihm mit einstieg, während Johannes die Kanzlei seines Vaters übernahm und Angelika als Hausjuristin zu einer Versicherung ging. Noch immer trafen wir uns aber oft zu viert und unternahmen viel zusammen, abends und an den Wochenenden. Wir machten nicht den Fehler, den viele Ehepaare machen, dass sie eigentlich täglich fast nur noch den Ehepartner sehen und mit ihm gemeinsam Aktivitäten ausüben.
Die Jahre vergingen, wir feierten unsere sechsten Hochzeitstage – ein Jahr vor dem verflixten siebten Jahr. Kinder gab es bei uns keine; sowohl Angelika als auch ich wollten damit noch etwas warten. Wir waren ja schließlich auch erst Anfang 30 und wollten zuerst unsere Karriere in die richtigen Bahnen lenken. Dann kam der Frühling in diesem Jahr. Johannes und Angelika hatten eine Reise in den Süden gebucht, doch im letzten Moment wurde Johannes‘ Vater krank und er konnte nicht mitfliegen, bestand aber darauf, dass Angelika sich trotzdem auf den Weg machte, weil sie Erholung dringend nötig hatte. Ebenso wie Torben, den der Stress des Aufbaus einer Kanzlei arg mitgenommen hatte und der im Frühjahr mehr als urlaubsreif war. Johannes schlug dann vor, dass wir doch beide Angelika begleiten sollten. Für eine dritte Person noch schnell nachzubuchen, hätte sich bestimmt machen lassen. Allerdings meinte Torben, wir könnten unsere Kanzlei nicht einfach für drei Wochen dicht machen, und da hatte er natürlich absolut recht. Also blieb ich zu Hause, und Torben begleitete Angelika. Es war eine wahnsinnig hektische Zeit, denn auf einmal hatte ich die Arbeit von zwei Anwälten zu erledigen. Auch Johannes war voll im Stress, mit der Kanzlei und den Besuchen bei seinem Vater, dem es aber zum Glück wenigstens langsam besser ging. Wir sahen uns nicht ein einziges Mal in diesen drei Wochen, telefonierten nur regelmäßig miteinander und trafen uns erst am Flughafen wieder, um unsere Ehepartner vom Flugzeug abzuholen. Die sich ersichtlich gut genug amüsiert hatten, sich nur sporadisch bei uns beiden Daheimgebliebenen zu melden, was mich mächtig ärgerte und Johannes ebenfalls nicht kalt gelassen hatte.
Ich war die erste, die bemerkte, dass irgendetwas anders war zwischen den beiden Urlaubern, zwischen uns allen vieren, als es vor dem Abflug gewesen war. Die Begrüßung war einfach zu gezwungen, zu gekünstelt, und in der Umarmung, die Torben mir schenkte, spürte ich ebenso wenig Wärme wie in der, die Johannes abbekam. Noch war dies allerdings nicht mehr als ein nebulöses Gefühl, und ich beschloss, weder Johannes damit zu beunruhigen, dass ich ihm davon erzählte, noch die Wiedersehensfreude zu stören, indem ich Torben oder Angelika darauf ansprach. Als allerdings abends Torben und ich miteinander im Bett lagen und ich mich an ihn kuschelte, in der Hoffnung, er sei zu etwas Sex zu überreden, nachdem ich ja nun drei Wochen ohne hatte auskommen müssen, da wurde es klar, es war wirklich etwas los. Er ließ sich zwar darauf ein, er vögelte mich; aber es war nicht mehr als das, als Vögeln. Es war mechanischer Sex, es war keine Liebe darin, und es war auch ebenso schnell wieder vorbei, wie es angefangen hatte. Nun hatte es mich an Torben schon immer gestört, dass der Sex mit ihm immer viel zu schnell wieder vorbei war, weil er nicht viel von Vorspiel und Nachspiel hielt, aber so kurz war ich es nun doch nicht gewohnt. In den nächsten Tagen beobachtete ich ihn aufmerksam und fand immer mehr Anzeichen dafür, dass er sich verändert hatte. Es musste im Urlaub etwas geschehen sein, das ihn mir entfremdete – und das konnte ja eigentlich nur ein Fremdgehen gewesen sein. Ein Urlaubsflirt – oder mehr.
Auf einmal ertappte ich Torben auch sehr häufig beim Telefonieren mit seinem Handy; wobei er das Telefongespräch jedes Mal hastig beendete, wenn ich ins Zimmer kam. Die Vermutung lag nahe, er hatte seine Geliebte aus dem Urlaub angerufen. Ob die beiden wohl Telefonsex miteinander machten, überlegte ich mir? Noch viel drängender war aber die Frage, wer denn die betreffende Unbekannte mit dem Seitensprung war. Einige Tage später hielt ich die Ungewissheit nicht mehr aus. Ich griff mir sein Handy, als Torben duschen war, und ging die Telefonliste ebenso wie die Anrufliste durch. Die Nummer, die in beiden Listen ständig auftauchte, war mir auf den ersten Blick nicht geläufig; in Zeiten des elektronischen Telefonbuchs merkt man sich ja keine Telefonnummern mehr. Vor allem nicht, wenn es eine Handynummer ist. Es gab nur eine Möglichkeit herauszufinden, welche Frau am anderen Ende steckte. Damit sie nicht die vertraute Nummer sah, ihn darauf ansprach und mein Hinterherschnüffeln am Ende aufflog, schrieb ich mir die Nummer auf, nahm mein eigenes Handy, unterdrückte die Nummern-Kennung und rief an. Das Wasser der Dusche rauschte zum Glück noch immer. Ein atemloses „Ja?“ war das erste, was ich zu hören bekam. Es traf mich bis ins Mark, denn diese weibliche Stimme kannte ich nur zu gut. Es hätte der ungeduldigen Nachfrage, wer denn da bitte dran sei, als ich natürlich kein Wort sagte, nicht bedurft, um mir zu verraten, es war Angelika.