Man flirtet nicht mit seinem Zahnarzt. Das weiß ich sehr gut. Aber ich konnte mich trotzdem einfach nicht zurückhalten, mein Zahnarzt ist so ein netter Kerl! Christian heißt er, und inzwischen nenne ich ihn auch so, obwohl ich am Anfang immer Herr Doktor zu ihm gesagt habe, das versteht sich ja. Seine Profession verdient Respekt, wenn er auch erheblich jünger ist als ich. Ich stehe als Geschäftsfrau mit meinen 53 Jahren mitten im Leben und auf dem Gipfel meines Erfolgs, er steht mit seinen 32 Jahren und seiner neu eröffneten Praxis erst am absoluten Anfang. Aber trotzdem – auch für reife Frauen fällt kein Zacken aus der Krone, wenn sie einem anderen zeigen, dass sie seine beruflichen Leistungen anerkennen, sogar wenn diese einstweilen lediglich darin bestehen, ein Studium erfolgreich abgeschlossen zu haben. Das ist ja auch schon mal nicht schlecht. Außerdem beherrscht Christian seinen Beruf wirklich perfekt. Ich hatte von meiner alten Zahnärztin irgendwann einfach die Nase voll. Ich weiß ja, dass die Krankenkassen immer weniger an Zahnarztkosten übernehmen, auch von den notwendigen Behandlungen, und mir ist es durchaus bewusst, dass ich immer mehr dazuzahlen muss. Wenn ich dann aber noch an so einen geldgierigen Arzt gerate, der jede Gelegenheit nutzt, um mich zu Behandlungen zu überreden, die die Kasse zu Recht nicht übernimmt, weil sie weder notwendig sind, noch viel helfen, dann werde ich irgendwann sauer. Vor allem, wenn ich vorher auf das Entstehen von Extra-Kosten gar nicht hingewiesen werde, sondern irgendwann einfach eine happige Rechnung über ein paar hundert Euro im Briefkasten finde. Und wenn ich für den Fall, dass ich nach den Kosten einer Behandlung frage, die die Kasse nicht übernimmt, die ich also privat zahlen muss, nur zu hören bekomme, das ginge nach Aufwand, ohne nähere Angaben. Ich bin zwar recht gut gestellt – aber reich genug, dass ich mein Geld einem Arzt oder Zahnarzt in den Rachen werfen kann und will, der Dinge mit mir macht, die nichts bringen, oder noch nicht einmal das kann, was jeder Handwerker zustande bringt, nämlich einen korrekten Kostenvoranschlag machen, bin ich nun auch wieder nicht. Und selbst wenn ich es wäre – das würde ich mit meinem Geld ganz gewiss nicht machen!
Also hatte ich mich schon einmal vorsichtig erkundigt, ob es in unserer Stadt nicht noch einen weiteren guten Zahnarzt gab. Eine Freundin hat mir dann von einem neuen Zahnarzt im Gewerbegebiet, also von Christian berichtet, und zwar mit einem absolut verzückten Gesicht. Ich dachte mir gleich, dass sie da wohl den Mann attraktiver findet als den Zahnarzt. Unter meinen Freundinnen sind natürlich auch viele reife Frauen über 40 oder sogar über 50, und viele reife Damen sind ja heutzutage Single, allerdings meistens nicht in aller selbstbestimmten Abgeschiedenheit, sondern schon auf der Suche nach Sexkontakte. Für einen heißen Flirt tun viele meiner reifen Freundinnen alles. Deshalb war ich in diesem Fall auch erst einmal skeptisch, ob diese Empfehlung für Christian sich denn auch auf die zahnärztliche Behandlung bezog, oder nur aufs Flirten vor und nach der Behandlung. Bei meinem ersten Besuch bestand ich deshalb bewusst nur auf einer Zahnsteinbehandlung, wie die Kasse sie vorschreibt – und bezahlt. Wenn ich das hinter mir und den neuen Zahnarzt kennengelernt hatte, dann wusste ich mehr und konnte fundiert entscheiden, ob ich bei ihm blieb oder weitersuchte. Von den Arzthelferinnen her hatte ich zunächst noch keinen so guten Eindruck. Die jungen Dinger – für reife Frauen ist alles jung, was jünger als 30 ist, aber die waren auch noch jünger als 20 und damit ganz eindeutig wirklich junge Dinger – wirkten mir zum Teil etwas unsicher, nicht wirklich kompetent. Das konnte aber natürlich auch daran liegen, dass die Praxis noch ganz neu war. Außerdem war ich eher bereit, unfähige Zahnarzthelferinnen zu akzeptieren als einen unfähigen Zahnarzt. Und immerhin hatte ich nicht das Gefühl, dass die Mädels auf mich herabschauten, weil ich mich auf eine Kassenleistung beschränken wollte. Dann lernte ich Christian kennen, und zwar pünktlich um die Uhrzeit meines vereinbarten Termins. Das war schon mal ein Pluspunkt – pünktlich kommt man sonst beim Zahnarzt eigentlich nie dran. Nun konnte das auch noch daran liegen, dass er bislang noch nicht so viel zu tun hatte, das musste man weiter verfolgen, aber angenehm war es dennoch.