Das hat man nun davon, wenn man sich als Ehefrau bemüht, immer nur seine Pflicht zu tun, brav zu sein und ordentlich, den Haushalt zu erledigen und nebenher noch stundenweise arbeiten zu gehen – und vor allem seinem Ehemann treu zu bleiben, dachte ich, als ich da in meinem Auto saß, auf dem Waldparkplatz, den Kopf aufs Lenkrad gelegt und mit ungehemmt fließenden Tränen. Anfangs, als ich eine halbe Stunde zuvor auf dem Parkplatz angekommen war, hatte ich geschrien und getobt und geschluchzt, jetzt konnte ich nur noch leise heulen. Flüchtig fragte ich mich, ob sich mein Mann wohl schon Sorgen um mich machte. Irgendwann hatte ich es zuhause einfach nicht mehr ausgehalten und war geflohen, hatte mich ins Auto gesetzt und war auf diesen Parkplatz im Wald gefahren, von dem ich wusste, er würde um diese Zeit einsam sein, hier würde ich meine Ruhe finden. Angefangen hatte alles mit einem ganz harmlosen Satz. Mein Mann hatte mir erklärt, er wolle an diesem Abend noch mit Freunden weggehen. Ich hatte extra das gekocht, was er mir morgens aufgetragen hatte, das Essen stand auf dem Tisch, und ich hatte einfach nur gefragt, ob er das Treffen mit den Freunden denn nicht einen Tag verschieben könnte. Er war sofort auf mich losgegangen, ich sei eine typische altbackene Hausfrau geworden, die nichts mehr kenne außer der eigenen kleinen Welt mit Kochen, Putzen und Waschen. Ich hätte keine Ahnung mehr, was draußen in der Welt vorgehe, und ich würde mich selbst auch komplett vernachlässigen. Ich solle doch bloß mal in den Spiegel schauen, ich hätte mich total gehen lassen, würde mich nicht mehr pflegen, hätte enorm zugenommen, und sei geradezu hässlich geworden. Jedes seiner Worte traf mich ganz tief ins Herz. Das galt umso mehr, als ich den wahren Kern daran spürte. Ja, ich hatte schon seit einer ganzen Weile nicht mehr darauf geachtet, wie ich aussah; ich hatte mich schon lange nicht mehr hübsch gemacht für ihn. Er hatte ja recht. Aber für ihn galt dasselbe. Die so ungeheuer starke körperliche Anziehung, die anfangs mal zwischen uns beiden existiert hatte, die hatte sich nach mehr als zehn Jahren Ehe einfach in Luft aufgelöst. Sie war nicht mehr da. Und es waren nicht nur die bösen Worte meines Mannes, die mich bis ins Mark erschütterten, sondern es war die Erkenntnis, dass ich mit meiner Ehe, ja, mit meinem ganzen Leben in eine Sackgasse hinein geraten war, die mich hatte fliehen lassen.
Ich wusste nicht so genau, was ich hier sollte. Davon, dass ich hier am frühen Abend im kühlen Schatten, umgeben von zwitschernden Vögeln, im Auto saß, würden meine Probleme sich lösen. Ich musste etwas tun; nur was? Es war Zeit, mein gesamtes Leben zu überdenken und Entscheidungen zu treffen. Nur kam mir das ganze so hoffnungslos vor, dass mir die dazu nötige Energie komplett fehlte. Und statt über meine gesamte Situation nachzudenken, kam ich über einen Satz nicht hinweg, den mein Mann mir an den Kopf geworfen hatte. „Du bist noch ganz stolz darauf, dass du mir treu bist, nicht wahr? Dabei würde dich sowieso kein Mann mehr anfassen!“ Wenn das wirklich so war, dann gab es auch nichts, was ich tun konnte. Ich konnte den Zustand vom Anfang nicht mehr zurückholen, als ich hübsch und sexy war und verliebt in meinen Mann, der ganz verrückt nach mir war. Ich versuchte eine Art Bilanz zu ziehen, mich selbst zu sehen, wie mich die anderen von außen sahen. Ich trug noch das, was ich für meinen Nebenjob getragen hatte; einen dunkelblauen Nylonkittel. Nach der Arbeit hatte mir die Zeit nicht mehr zum Umziehen gereicht, ich hatte gleich mit dem Kochen anfangen müssen, damit mein Mann das Essen auf dem Tisch vorfand, wenn er von seiner Arbeit kam. Der Kittel war wirklich hässlich. Und die weißen Nylons, die ich darunter trug, konnten da auch nichts mehr herausreißen, erst recht nicht meine Schuhe, flache Ballerinas, wie sie eher zu einem Teenager gepasst hätten als zu einer Frau Mitte 30. Geschminkt war ich nicht; unser Chef verlangte, dass wir uns nicht „anmalten“ bei der Arbeit, wie er es nannte, und die Haare hatte ich einfach nur zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Sie waren sehr lang inzwischen; aber nicht, weil ich das wollte, sondern weil ich so lange einen Friseurbesuch hinausgeschoben hatte. Und ein paar Kilo mehr als es hätten sein müssen hatte ich auch auf den Rippen. So gut es ging, versuchte ich mich objektiv zu sehen. Nein, direkt sexy wirkte ich ganz bestimmt nicht im Moment. Aber war ich wirklich so hässlich, wie mein Mann das behauptete? War es wirklich so, dass mich kein Mann mehr anziehend finden konnte? Ich wusste es nicht, und ich sah auch keine Möglichkeit, es herauszufinden, um dann an den Dingen, die wirklich nicht stimmten, etwas ändern zu können. Denn da sehen wir Frauen uns normalerweise wirklich nur im Spiegel der Augen der Männer; und da hatte ich nur einen Spiegel, meinen Mann. Wobei es ja durchaus sein konnte, das Bild, das der mir zurückwarf, war verzerrt.