Ich bin jetzt schon so lange solo, ich weiß schon gar nicht mehr, wie das geht; einfach mit einem Mann flirten. Und natürlich sollte der Flirt ja auch noch weitergehen und in einem Sexabenteuer enden, denn ich brauche unbedingt mal wieder Sex. Ja, ich weiß, das klingt jetzt wirklich ziemlich lächerlich – schließlich bin ich schon eine reife Frau. 49 Jahre werde ich in einem Monat alt, und ich lebe schon viele Jahre ohne Sex. Eigentlich seit der Trennung von meinem Mann, und die ist jetzt schon fast drei Jahre her.
Seitdem habe ich es aber nicht gewagt, aus meinem Schneckenhaus zu kommen und private erotische Kontakte zu suchen. Ich habe es einfach verlernt. Für Teenager Girls mag es ja noch angehen. Die müssen einfach nur irgendwo auftauchen, und schon können sie gleich ein Dutzend Verehrer haben und gehen bestimmt anschließend ohne Sex nach hause. Aber für reife Frauen wie mich? Noch dazu bin ich keine erfolgreiche Geschäftsfrau. Ich habe nicht einmal einen Beruf. Ich bin einfach nur eine reife Hausfrau. Ich hatte zwar einen Beruf, als ich geheiratet habe. Aber den habe ich dann für meinen Mann und für die Kinder aufgegeben, die jetzt allerdings schon lange groß und aus dem Haus sind. Da ist man doch wirklich eine Witzfigur – als reife Hausfrau ohne Ehemann und ohne Kinder. So ein Haushalt einer Solo Dame ist auch wirklich nicht viel Arbeit. Ich mache morgens ein bisschen was, und schon ist meine Arbeit als Hausfrau erledigt. Den Rest des Tages sitze ich herum und sehne mich nach dem erotischen Prickeln, das ich schon so lange nicht erlebt habe. Und wo sollte ich es auch erleben? Reife Hausfrauen kommen ja schließlich kaum unter Leute. Höchstens zum Einkaufen; und was muss man als Single schon groß einkaufen? Natürlich habe ich ein paar Freundinnen; aber das sind eben auch alles Frauen, da ist kein einziger Mann darunter. Immerhin kann ich meine Freundinnen fragen, wie man das denn nun als reife Hausfrau anstellt, Männer kennenlernen. Endlich mal wieder Sex haben. Meine Freundinnen sind reife Hausfrauen wie ich, und mit Sex sieht es bei ihnen auch nicht viel besser aus als bei mir. Die sind zwar alle noch verheiratet, aber alleine die Tatsache, dass da ein Ehemann ist, garantiert ja noch keinen Sex. Das weiß ich aus eigener leidvoller Erfahrung, und bei meinen Freundinnen ist es nicht anders.
Melina, eine meiner Freundinnen, meinte neulich noch scherzhaft, ich sollte mir den Sex doch genau da holen, wo reife Hausfrauen ihn angeblich immer herbekommen; vom Postboten oder von einem Handwerker. Ja, vielen Dank – die einzigen Handwerker, die hier ab und zu mal in meine kleine Wohnung kommen, das sind knurrige alte Männer, von denen ich nicht einmal dann gevögelt werden wollte, wenn sie Lust auf Sex hätten, und das haben sie ganz eindeutig nicht. Und bei den verschiedenen Postboten gibt es zwar einen jungen Mann, der mir sogar richtig gut gefallen würde, und der ist auch immer sehr nett, aber der ist mindestens 20 Jahre jünger ich und kommt deshalb als Sexabenteuer für reife Hausfrauen ja wohl nicht in Betracht. Eine andere Freundin, Katrin, hat mir gesagt, ich soll doch einfach in irgendeinen Verein gehen oder einen Volkshochschulkurs besuchen. Aber wetten, bei der VHS treffe ich nur andere reife Hausfrauen und keine interessanten Männer? Denn die haben doch für Volkshochschulkurse überhaupt keine Zeit. Und Vereine mochte ich noch nie.
Außerdem wird man ja nicht für private Erotikkontakte Mitglied eines Vereins. Da müsste mich schon auch das interessieren, worum es denn in diesem verein geht. Und da fällt mir auf Anhieb nichts ein. Sportliche Betätigungen sind nichts für reife Hausfrauen, die jahrelang zwar hart körperlich gearbeitet, aber bestimmt keinen Sport getrieben haben. Und ansonsten habe ich als einziges Hobby das Lesen – und das macht man nicht in einem Verein. Obwohl es da schon eine Möglichkeit gäbe – es hat jetzt gerade, das hat mir meine erwachsene Tochter erzählt, ein neuer Literaturkreis in der Stadt aufgemacht. Angeblich treffen sich dort die Menschen, die Bücher lieben, lesen gemeinsam, diskutieren über das Gelesene, fahren gemeinsam zu Lesungen von bekannten und weniger bekannten Autoren und solche Sachen. Das klingt schon sehr faszinierend. Trotzdem – ich kann doch da als reife Hausfrau nicht einfach auftauchen; das sind doch bestimmt alles Akademiker in guten Berufen und Intellektuelle, die reife Hausfrauen wie mich einfach nur belächeln. Das klingt schon danach. Würde es Lesekreis heißen statt Literaturkreis, würde ich mir das ja überlegen. Aber so? Nein, so sehr mich meine Tochter auch drängt, doch da einfach mal hinzugehen – sie hat mir sogar die Termine, wann dieser Literaturkreis sich trifft, aus der Zeitung ausgeschnitten und in meinem Kalender mit den traurig wenigen Eintragungen vermerkt – ich glaube nicht, dass das etwas für mich ist.
Trotzdem ertappe ich mich an dem Mittwoch Morgen, bevor sich abends der Literaturkreis wieder treffen soll, dabei, dass ich es zumindest als Gedankenspiel in Betracht ziehe, dort einfach auch aufzutauchen. Immerhin befasst man sich dort ja mit einem Thema, das mich interessiert. Auch wenn ich private erotische Kontakte dort sicherlich nicht finden kann. Andererseits – warum nicht? Und einen Vorteil hätte die Sache; wenn ich dort einen charmanten Mann in meinem Alter kennenlernen kann, dann weiß ich immerhin, wir teilen schon einmal wenigstens ein leidenschaftliches Interesse, nämlich das für Lesen und Bücher. Das hat mir bei meinem Mann immer gefehlt, der höchstens mal Fachzeitschriften liest oder die Tageszeitung. Ich schwanke hin und her, ich kann mich einfach nicht entscheiden. Gehe ich hin? Gehe ich nicht hin? Ich sollte vielleicht mal das alte Spielchen spielen, die Blütenblätter von einer Blume zupfen, so wie früher. Er liebt mich, er liebt mich nicht … Na, das hat mir viel gebracht! Bei meinem Mann hat die Blume steif und fest behauptet, er liebt mich. Vielleicht tat er das sogar. Aber man sieht ja, was es mir eingebracht hat – als reife Frau von (fast) 50 stehe ich nun alleine da. Nein, ich werde lieber nicht das Blumen Orakel befragen. Irgendwann am frühen Nachmittag kommt mir die Erleuchtung. Der Literaturkreis trifft sich in einer Schule, in der Schule, die meine Kinder früher besucht haben. Und ganz in der Nähe ist ein richtig gemütliches Café, in das ich oft mit meinen Freundinnen gehe. Männer trifft man dort zwar nur selten; obwohl es kein reines Frauen Café ist, scheint es doch reife Hausfrauen wie mich magisch anzuziehen. Aber dort könnte ich in Ruhe etwas trinken und es mir dann überlegen, ob ich anschließend in den Literaturkreis gehe oder doch lieber wieder nach Hause, in meine kleine, leere, trübsinnige Wohnung.