Ich bin nicht nur von Beruf Altenpflegerin – ich bin auch selbst schon reichlich alt mit 43. Nun ja, vornehm sagt man wohl reife Frauen dazu und nicht alte Weiber, aber gemeint ist damit eigentlich in beiden Fällen dasselbe. Und ob reife Frauen oder alte Weiber – ich gehöre jedenfalls zu dieser Gruppe Frauen dazu. Und reife Frauen, das sind die Frauen, die von jungen Männern meistens schon überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden. Da muss man manchmal ganz schön was anstellen, damit es überhaupt noch zu einem Flirt kommt. Und das gilt leider nicht nur für junge Männer, sondern auch für reife Männer, die exakt in unserem Alter sind. Oder sogar noch ein Stück älter.
Reife Männer und reife Frauen – trotz aller Ähnlichkeiten ist beides noch lange nicht dasselbe. Das liegt wohl daran, dass in unserer Gesellschaft reife Männer eben einfach als potent, erfolgreich und vital gelten, während reife Weiber schon fast abgeschrieben und für nichts mehr gut sind. So wird uns das ja auch regelmäßig von der Werbung oder in Filmen erzählt. Alte Männer sind einfach begehrt, und zwar auch bei den ganz jungen Girls. Alte Frauen hingegen stehen überall am Rand und sind besonders aus der Welt der Erotik eigentlich schon beinahe herausgefallen. So habe ich das schon oft erlebt. Persönlich, und in meinem Freundeskreis. Auch meine Freundinnen, die alle in meinem Alter sind, alles reife Frauen oder alte Weiber berichten die ähnliche Erfahrungen, und eine Freundin, die ist sogar schon über 50, bestätigt ist mir, dass eine reife Frau nicht mehr so einfach Erfolg damit hat, einen Mann zum Flirten zu bewegen. Natürlich, wir reife Frauen haben einen großen Vorteil, wir sagen einfach, was wir denken, denn wir haben längst gemerkt, das Leben ist viel zu kurz, um bei etwas zu zögern, was wir unbedingt haben wollen. Da muss man sich dann schon mal auf die Hinterbeine setzten und es sich holen; oder zumindest ganz klar sagen, dass man es will. Dass wir das dann auch wirklich bekommen, ist aber keineswegs selbstverständlich.
Da muss man schon auch ein wenig Glück haben. Soviel Glück, wie ich es neulich gehabt habe. Da ist nämlich in unser Altenheim ein neuer Zivi gekommen, also ein neuer Zivildienstleistender. Das heißt eigentlich ist er gar nicht richtig zu uns gekommen. Er ist nur zur Aushilfe da, weil bei uns einer der Zivildienstleistenden im letzten Moment abgesprungen ist und sich doch für den Dienst bei der Bundeswehr entschieden hat. Der andere hatte zwei Wochen bei uns gearbeitet und ist dann schwer erkrankt. Er kann insgesamt acht Wochen lang nicht kommen; mindestens. Da mittlerweile das Sozialwesen in der Bundesrepublik Deutschland nur noch mit Hilfe der jungen Menschen funktioniert, die Zivildienstleistende sind oder ein freiwilliges soziales Jahr machen, so wie das ja auch allgemein bekannt ist, waren wir ganz schön aufgeschmissen, so ohne auch nur einen einzigen Zivildienstleistenden, wo wir eigentlich mit zwei Zivis gerechnet hatten.
In dieser schwierigen Situation hatte sich das örtliche Krankenhaus, dessen Gebäude direkt neben unserem liegt, dazu bereit erklärt, uns vorübergehend für ein paar Wochen einen ihrer Zivildienstleistenden „auszuleihen“. Das war riesig nett von denen; aber fragt mich nicht, was das für ein elender Verwaltungsaufwand war, bevor wir das Kunststück vollbracht hatten! Allein für den Papierkram hätte man eine Aushilfe anstellen können … Jedenfalls, wir waren gerettet. Bis unser kranker Zivildienstleistender zurückkehren würde, würde uns einer der Zivis aus dem Krankenhaus aushelfen. Als er den ersten Tag da war, war ich überrascht. Er kam mir sehr viel älter vor, als es sonst die Zivildienstleistenden sind. Später erfuhr ich dann, dass er zuerst sein Studium beendet und erst dann den Zivildienst angetreten hatte. Das erklärte, warum er bereits Mitte 20 war, als er bei uns auftauchte, und nicht etwa 18,19 oder 20. Er wirkte überhaupt relativ reif. So im Vergleich, meine nicht; und zwar nicht im vergleich zu reifen Weibern wie mir. Da er halt auch schon einmal im sozialen Bereich gearbeitet hatte, wenn auch in einem Krankenhaus und nicht auf einer Altenpflegestation, kannte er sich zumindest ein wenig aus. Es dauerte nur zwei Tage, und er war bei uns voll integriert. Bei mir war er es sogar von der ersten Minute an … Ich habe ihn nur angesehen und wusste, verdammt, der Junge wird dir gefährlich werden!
Das heißt nicht unbedingt nun, dass er ein echter „Schönling“ gewesen wäre. Im herkömmlichen Sinn sah er sicherlich nicht schlecht aus, jedoch auch nicht besonders gut. Er hatte aber genau das, was ich an Männern schon immer, auch in meiner Jugend und erst recht als reife Frau, so ungeheuer anziehend gefunden habe. Er war körperlich sportlich, durchtrainiert und muskulös, und sein Gesicht wirkte einfach offen und ansprechend. Das schien aber zu täuschen; es vergingen mehrere Stunden, bevor wir beide auch nur ein einziges Wort miteinander gewechselt hatten, an seinem ersten Tag, nachdem unsere Leiterin ihn auf unser Montags Meeting gebracht und ihn allen vorgestellt hatte. Ich hatte ihn sehr freundlich begrüßt. Ebenso wie alle anderen natürlich auch. Nur dass wir alle kaum eine Reaktion von ihm erhielten. Er nickte nur und setzte sich. Da hörte ich bereits meine Kolleginnen zum ersten Mal darüber tuscheln, dass er wohl ein ziemlicher Stiesel sei. Auch ich fand es unmöglich, wie wenig er unsere herzliche Begrüßung erwiderte, doch erstens hielt ihm seine Jugend zugute, und zweitens vermutete ich, dass er einfach nur unsicher war und nicht unhöflich.