So hastig, wie ich heute Morgen einfach irgendetwas übergeworfen habe, so sorgfältig wähle ich jetzt meine Kleidung für den Abend. Ich will schön sein; einmal, damit ich meinen Chef nicht blamiere, und dann für Robert. Nicht dass ich nun ernsthaft vorhätte, etwas mit ihm anzufangen … Erstens ist er ja nur kurz da, zweitens ist er ein richtig netter Kerl, aber er hat kein Interesse an mir, wenigstens kein erotisches. Trotzdem wäre es mir lieber, er hält mich für hübsch.
Ganz aufgetakelt will ich nun aber auch nicht antanzen auf dieser Begrüßungsfeier meines Chefs für seinen Freund, den Afroamerikaner, den ich morgens vom Flughafen abgeholt habe. Attraktiv und dezent zugleich sein – das ist gar nicht so einfach zu erreichen. Am Ende denke ich an die Worte meiner Mutter und ziehe mein „schlichtes Schwarzes“ an; ein etwas über knielanges, ganz simpel geschnittenes schwarzes Kleid, denn das passt immer, so hat es mir meine Mutter beigebracht. Dazu kommen noch schwarze Pumps, mit halbhohem Absatz. Ich mag hohe Absätze nicht, in denen muss ich immer so staksen. Das sieht weder elegant noch verführerisch aus, sondern einfach nur lächerlich. Hoffentlich steht Robert nicht auf High Heels, sonst ist er von mir schwer enttäuscht. Beim Make-up versuche ich dasselbe – gut, aber dezent.
Hoffentlich gelingt es mir; ich bin total nervös vor der Feier. Mittlerweile ertappe ich mich auch bei all den Gedanken, die ich eigentlich schon morgens hätte haben müssen. Ist dieser Robert, dieser Schwarze, eigentlich verheiratet? Warum kommt er allein nach Deutschland? Und warum kommt er überhaupt? Was findet ein so netter Mensch an einem solchen Ekel wie meinem Chef? Wie lange wird er bleiben? Wird sich außer heute Abend bei der Begrüßungsfeier noch einmal eine Gelegenheit ergeben, ihn zu sehen? Darf ich ihn wieder zum Flughafen bringen, wenn er zurückfliegt? Oh nein, lieber nicht; obwohl ich ihn nur so kurz kenne weiß ich doch, es wird ein schwerer Abschied. Ja, ich kann es ruhig zugeben. Er gefällt mir einfach. Und das hat nichts mit seiner schwarzen Haut zu tun. Auch wenn die mir ebenfalls sehr gefällt.
Robert scheint sich zu freuen, mich wiederzusehen; seine dunklen Augen strahlen regelrecht. Das nimmt mir schlagartig die Unsicherheit. Weil ich die einzige bin, die wenigstens einigermaßen gut Englisch spricht, genieße ich auch das Privileg, mich lange mit ihm unterhalten zu können. Sein Deutsch ist nicht ganz so gut, wie ich es nach seinem ersten Satz dachte; den er wohl vorher geübt hat. Verständigen kann er sich, aber es fällt ihm schwer. Er wirkt linkisch in der fremden Sprache, blüht erst auf, wenn er zu Englisch zurückkehren kann. Mein Chef hat noch ein paar andere Leute eingeladen. Zwei Kollegen aus der Kanzlei, Anwälte, und ein paar Freunde. Na ja, was Leute wie er halt Freunde nennen, die mehr auf Einfluss, Macht und Geld schauen als auf menschliche Qualitäten. Mich wundert, was er an Robert findet; er ist zwar immerhin Polizist, mit einer nicht gerade unwichtigen Position, aber bisher habe ich nichts finden können, was ihn nun zu etwas so Besonderem macht, dass er für meinen Chef interessant sein könnte. Für mich ist er interessant; oh ja, und wie sehr, aber ich schaue ja auch auf andere Dinge.
Immerhin weiß ich auch ohne lange Erklärung, wie die beiden sich kennengelernt haben; mein Chef war fast ein Jahr in Amerika, nach dem Studium und bevor er sich entschlossen hat, eine eigene Anwaltskanzlei aufzumachen. Es wundert mich nur, wie er da mit seinem schlechten Englisch durchgekommen ist … Und wieso es sich dabei nicht verbessert hat. Warum ist mir das nicht passiert, dass ein Verwandter in Amerika mich einlädt, ein paar Monate bei seiner Familie zu verbringen? Aber egal – die Party gefällt mir, wegen Robert. Ausschließlich wegen Robert. Er hat so eine Art, wenn er auftaut, wenn er richtig lebhaft wird beim Sprechen, mal da mit den Fingerspitzen über meinen Arm zu streichen, mal dort den Arm um meine Schulter zu legen. Es prickelt immer, wenn er mich berührt, und dieses Prickeln hält an. Ich wünschte mir, er würde mich noch öfter berühren, als es ohnehin schon der Fall ist.