Wenn ich über meine Ehe berichte, muss ich immer gleich erst mal klarstellen, dass wir eine wirklich sehr ungewöhnliche Beziehung führen. Vor allem unser eheliches Sexleben sieht wirklich nicht so aus wie das von Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher. Wir führen eine komplett offene Ehe, was den Sex betrifft. Es gibt für uns beide eine Gewissheit – wir beide gehören zusammen, wir lieben uns, und wir werden uns nicht trennen. Aber was den Sex betrifft, so sind wir nicht so heuchlerisch wie viele andere Paare. Es ist völlig klar, dass ein Mensch nicht alle Wünsche eines anderen erfüllen kann. Dabei spielt es nicht einmal eine Rolle, ob es um erotische Wünsche geht oder andere. Aber bei der Erotik kommt noch etwas Entscheidendes hinzu. Dem Sex ist es ja sozusagen immanent, dass er sich viel aus der prickelnden Aufregung speist, die lediglich eine gewisse unvertraute Fremdheit mit sich bringt. Was zu vertraut ist, das kann in der Erotik den Pulsschlag längst nicht so beschleunigen wie das Fremdartige, das Neue. Wer sich also auf das Versprechen einlässt, Sex auf Jahre hinaus, womöglich sogar bis zum Lebensende, mit nur einem einzigen Sexpartner zu haben, der beraubt sich selbst dieser sinnlichen Aufregung und legt sich auf eine Erotik fest, die nahezu unausweichlich im Laufe der Zeit immer schlechter wird.
Einander vertraut sein, sich gut kennen – diese Dinge spielen für die Liebe eine Rolle und dafür, wie sehr man sich aufeinander verlässt und aneinander bindet. Doch im Hinblick auf Sex und Erotik sind diese Dinge eher hinderlich, geradezu tödlich. Deshalb gibt auch die Hälfte aller Menschen zu, schon einmal an einen Seitensprung gedacht oder ihn erlebt zu haben. Rechnet man dazu noch die Dunkelziffer derer, die diese Frage nach solchen heißen Gedanken an andere Partner aus moralischer Scham negativ beantwortet haben, und deshalb nicht zwingend wahrheitsgemäß, ist das Ergebnis wirklich überwältigend. Folglich ist dies eine Tatsache, mit der man leben und irgendwie umgehen muss, dass fast jeder Partner irgendwann mal ans Fremdgehen denkt, ebenso wie man selbst. Man kann das auf zweierlei Arten tun, damit umgehen. Man kann einmal den Seitensprung Sex komplett verteufeln, wie es unsere Gesellschaft tut, während sie gleichzeitig munter weiter am Fremdgehen ist. Oder man akzeptiert diese Tatsache der sexuellen Wünsche, die sich auf Fremde beziehen, und geht offen damit um. Genau dazu haben mein Mann und ich uns entschlossen. Wir führen tatsächlich genau das, was man eine offene Ehe nennt, eine in sexueller Hinsicht nicht besitzergreifende und ausschließende Ehe, in der es jederzeit möglich ist, sexuelle Bedürfnisse auch mit Dritten zu erfüllen.