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01. Februar 2010

Der Gefangene im Kerker

Als ich die Tür öffnen wollte, fiel mir der „Dietrich“ aus der Hand, und ich musste ihn mühsam mit der Taschenlampe auf dem Boden suchen, so aufgeregt war ich. Schließlich war es das erste Mal, dass ich in ein fremdes Haus eindringen würde, um denjenigen, der sich darinnen versteckt hielt, zu überfallen, zu fassen, festzunehmen und anschließend zu verhören. Natürlich war der Dietrich kein echter Dietrich; es war der Zweitschlüssel zu diesem Haus, und ich brach auch nicht wirklich in dieses Haus ein, sondern ich kam mit vollem Wissen und Wollen des Eigentümers. Das alles war nichts als ein Rollenspiel, und es war alles vorher genauestens abgesprochen worden. Trotzdem fühlte es sich irgendwie vollkommen real an.

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Das ist das Schöne an Rollenspielen – sie gewinnen rasch eine Eigendynamik, und schon hat man nicht mehr das Gefühl, dass man „ja nur spielt„, sondern es ist alles wirklich wahr. Ich kam mir tatsächlich vor wie eine Abgesandte eines Gangstersyndikats, die einen abtrünnigen Gefolgsmann zur Vernunft bringen sollte. Denn genau das war unsere Rahmenhandlung. So hatten wir es abgesprochen, Manuel und ich. Wir kannten uns nicht sehr gut, was unserem Rollenspiel noch eine zusätzliche Schärfe und Realität verlieh. Wir waren uns nur auf dem Stammtisch der hiesigen Sadomasos ein paar Male über den Weg gelaufen. Bei unseren Unterhaltungen vorher und nachher hatten wir festgestellt, dass wir beide ähnliche erotische Fantasien hatten. Manuel träumte davon, von einer schönen, gefährlichen Frau gefangen genommen und gefoltert zu werden – und ich träumte davon, in einem strengen Verhör einen Gefangenen zum Reden zu bringen. Es passte bei uns beiden alles so wunderbar, dass wir uns entschlossen, es einmal miteinander zu versuchen. Ich kann es nicht genau sagen, ob wir uns eigentlich ineinander verliebt hatten. Das ist bei Rollenspielen auch ohne Bedeutung. Ganz im Gegenteil können fehlende tiefere Gefühle gerade bei Verhören, bei Gefangenen und Kerkermeistern eigentlich noch das Gefühl der Echtheit für beide Beteiligten erhöhen. Je fremder man sich ist, desto wahrhaftiger wirkt alles. Das ist ja gerade das Faszinierende daran. Man kann seine geheimsten Fantasien offen ausleben, ohne dass man selbst etwas riskiert oder ohne dass man irgendeinem anderen damit schadet, und trotzdem ist alles so intensiv, als würde man es im Alltag mitmachen.

In Gedanken hatte ich mich ganz in meine Rolle hineinversetzt. Weil wir beide, Manuel und ich, allerdings keine Ahnung hatten, wie wohl die Kleidung aussieht, die eine echte Abgesandte eines echten Gangstersyndikats trägt, wenn sie sich auf eine so gefährliche Mission begibt, hatten wir ein wenig bei Tomb Raider und Catwoman geklaut und ansonsten unsere eigene Fantasie spielen lassen. Ich trug Leggins aus einem schwarzen Stoff, der wie Leder wirkte und sich auch so ähnlich anfühlte, dazu Bikerstiefel – ich war bei einem meiner Ex-Freunde mal regelmäßig als Sozia mitgefahren und hatte diese Stiefel auch später noch auf Sadomaso Partys und bei anderen Gelegenheiten sehr gut verwenden können -, eine sehr enge, taillierte Lederjacke, und auf dem Kopf eine Art Balaclava. Diese Haube, die meinen Kopf komplett abdeckte, inklusive meines Gesichtes, und lediglich die Augen frei ließ, war allerdings nicht aus Leder, sondern aus normalem Fleece. Sie stammte ebenfalls aus meiner Zeit als Bikerbraut; so etwas braucht man unter dem Helm, wenn es windig und kalt wird. Auf meinem Rücken trug ich einen Rucksack mit diversen Werkzeugen, die ich für das Verhör benötigen würde. Kalt war es an dem späten Abend übrigens auch, als ich in Manuels Haus „einbrach“; kalt genug, dass ich meine Kleidung zu schätzen wusste. Die Jahreszeit war zwar nicht in Sachen Temperatur auf meiner Seite, aber dafür in den Lichtverhältnissen. Im Winter wird es eben sehr früh dunkel, und jetzt, gegen neun Uhr, fühlte es sich beinahe schon an wie die tiefste Nacht. Eine Gangsterbraut würde ihr Opfer natürlich nicht abends überfallen, sondern mitten in der Nacht – und genauso fühlte es sich an, als ob es mitten in der Nacht wäre.

Endlich hatte ich es geschafft; die Tür war offen. Ich trat ein, schloss sie hinter mir, lauschte und versuchte mich zu orientieren. Die Balaclava nahm ich gleich ab; der Gefangene konnte mich ruhig sehen; er würde keine Gelegenheit erhalten, sich an mir zu rächen, und der Fleece-Stoff war im Haus viel zu warm. Das Gangstersyndikat – oder vielmehr Manuel selbst – hatte mir einen genauen Plan der Wohnung verschafft. Es war dunkel, aber sobald meine Augen sich daran gewöhnt hatten, gaben die Straßenlaternen von draußen genügend Licht, dass ich mich zurechtfinden konnte. Ganz leise schlich ich durch den Flur, auf die Schlafzimmertür zu. Es war vollkommen ruhig überall, nur draußen konnte ich Autos und vereinzelt auch Stimmen hören. Ich hörte nicht einmal Manuels regelmäßige Atemzüge. Kein Wunder; er schlief ja nicht wirklich, sondern wartete auf mich und war wahrscheinlich ebenso aufgeregt wie ich, unsere gemeinsame Fantasie in die Tat umsetzen zu können. Wobei sich meine Aufmerksamkeit mehr und mehr legte; ich war nun ganz in meine Rolle geschlüpft. Ich war die gefährliche Gangsterin, die die Aufgabe hatte, dem Mann im Schlafzimmer das Geheimnis zu entlocken, wo er das unterschlagene Geld versteckt hatte, das die Gangsterbosse dringend zurückhaben wollten. Und spätestens jetzt war ohnehin der Zeitpunkt gekommen, wo ich aufhören musste, an das Ganze als ein Rollenspiel zu denken; ich musste mich voll und ganz auf meine Aufgabe konzentrieren. Geräuschlos holte ich den Rucksack von meinem Rücken, zog dabei gleich die ebenfalls hier drinnen viel zu warme Lederjacke aus, öffnete den Reißverschluss am Backpack, den ich vorher mit Seife leise gemacht hatte, und holte zwei Seile und zwei Tücher hervor. Die beiden Tücher stopfte ich mir in die Hosentaschen, das zweite Seil hängte ich mir um die Schultern, und das erste nahm ich in die Hand. Den Rucksack ließ ich im Flur stehen, neben meiner Jacke, unter der ich übrigens einen figurbetonten schwarzen Rollkragenpullover trug. Und keinen BH … Ganz leise – was mit Bikerstiefeln gar nicht so einfach ist – schlich ich mich die letzten Meter ins Zimmer hinein, bis neben das Bett. Eine zusammengerollte Erhebung unter der Bettdecke, das war mein Ziel. Das war mein Gefangener. Wenigstens würde er das in Kürze sein.

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Ich hatte die Bewegungen zu Hause mehrfach geübt, und jetzt, als ich sie einsetzen musste, lief alles wie am Schnürchen. Schnell wie der Blitz hatte ich meinem Opfer die Decke weggezogen, seine Hände gegriffen, auf den Rücken gebogen, und sie mithilfe des Seils fest verschnürt. Zuerst war er erschrocken, wenn auch noch schlaftrunken. Manuel spielte gut. Oder war er vielleicht tatsächlich beim Warten eingepennt? Um alles spannender zu machen, hatte ich ihm meine genaue Ankunftszeit nicht mitgeteilt. Doch wie auch immer – er erholte sich sehr schnell und leistete heftige Gegenwehr. Ich hatte meine liebe Mühe damit, ihm auch die Füße zu fesseln. Dann allerdings, als ich beide Seile fest in der Hand hielt und ihm auf diese Weise die Unterschenkel und Füße nach hinten bog, wo ich sie an dem Seil um die Handgelenke fixieren konnte, war ich endgültig Herr der Lage. Oder vielmehr Herrin der Lage … Weglaufen konnte er mir nicht mehr, und er konnte sich auch nicht mehr wehren. Doch seine Stimme hatte er mittlerweile wiedergefunden und beschimpfte mich auf das Übelste. Das kann sich eine Gangsterbraut natürlich nicht gefallen lassen.

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27. Januar 2010

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Es war alles ganz genau so, wie sie es mir vorher gesagt hatte. Ich war fast eine Stunde lang draußen in der Kälte herumgelaufen, und dann war ich zurückgekehrt. Zu unserer Wohnung. Ja, wohlgemerkt, wir wohnten beide bereits seit einiger Zeit zusammen. Wir waren eigentlich auch recht glücklich miteinander. Nur was den Sex anging, da hatte mehr und mehr gefehlt. Wir hatten noch Sex; oh ja. Sogar regelmäßig. Aber er war einfach nicht mehr so aufregend wie am Anfang, vor zwei Jahren, als wir uns ineinander verliebt hatten. Das ist normal; wir sagten es uns selbst und wir versicherten es uns auch gegenseitig, dass so etwas ganz natürlich ist und einfach nicht ausbleiben kann. Allerdings waren wir beide nicht bereit, das zu akzeptieren. Nur hatten wir nicht die geringste Ahnung, wie wir es anstellen sollten, unser reichlich eingeschlafenes Liebesleben wieder so anzustoßen, dass der Schwung vom Anfang zurückkommen konnte.

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Wir hatten uns haufenweise Sexbücher gekauft und auch im Internet Ausschau gehalten nach interessanten Sexspielen, die angeblich dazu beitragen konnten, die Erotik wiederzubeleben, wenn man längere Zeit zusammen war und die Langeweile drohte auszubrechen. Es hatte alles nichts geholfen. Gut, manches davon war ziemlich erregend, und wir hatten es auch genossen. Aber das Problem war, selbst die faszinierendsten Sexspiele werden ab einer gewissen Wiederholung selbst ebenfalls gleich wieder zur Routine; und genau dagegen kämpften wir ja an, gegen die Routine. Nun hätte man natürlich auch immer so weitermachen können, ständig neue erotische Spiele suchen, aber irgendwie war das nach einer Weile doch reichlich anstrengend. Unser Sexleben war dann zwar keine Routine mehr, aber dafür entwickelte es sich zu einem sportlichen und recht anstrengenden Wettkampf auf der Suche nach immer neuen Möglichkeiten, und das war nicht besser, sondern sogar eher schlechter als Langeweile. Zu wissen, dass ich jeden Abend mit einer neuen erotischen Fantasie aufzuwarten hatte, schreckte mich total ab, und Vanessa ging es nicht anders. Da hatte man dann schon überhaupt keine Lust mehr, miteinander ins Bett zu steigen … Ich meine, wenn ich Sex will, dann will ich Sex – und nicht Höchstleistungen bringen oder mich in allen möglichen Sexstellungen verrenken oder immer daran denken, meine Freundin nur ja nie zweimal an demselben Ort zu poppen

Ja, und dann war Vanessa ein Buch in die Finger geraten, mit dem sie sehr geheimnisvoll getan hatte. Alle anderen Erotikratgeber hatten wir gemeinsam angeschaut, aber diesen behielt sie für sich. Ich fand das seltsam, aber andererseits hatte ich auch echt die Schnauze voll davon, jedes Vögeln vorzubereiten und zu inszenieren wie irgendwelche Bayreuther Festspiele oder wie die heißen. Von daher war ich eigentlich sogar ganz froh, dass sie sich da offensichtlich alleine Gedanken machte, was wir vielleicht noch ausprobieren konnten. Obwohl, ein bisschen neugierig war ich ja nun auch schon, was sie denn da entdeckt hatte. Vor allem, weil sie wahnsinnig fasziniert zu sein schien von diesem Büchlein. Es war nicht sehr dick, und sie schien es gleich mehrmals hintereinander zu lesen, machte sich sogar Notizen, die ich aber ebenfalls nicht zu sehen bekam. Sie hätte sie mir allerdings ruhig auch zeigen können; ihre Schrift ist so krakelig, dass ich sie ohnehin nicht lesen kann. Das Buch allerdings, das hätte ich mir irgendwann schon gerne einmal angeschaut. Und irgendwann gelang es mir tatsächlich, es kurz in die Finger zu bekommen, als sie auf der Toilette war. Sich als dominante Frau selbst verwirklichen, so ähnlich lautete der Titel. Ich war geplättet. Meine Vanessa, eine dominante Frau? Da musste irgendwo ein Irrtum vorliegen. Vanessa ist im Alltag alles andere als dominant. Sie ist extrem nachgiebig, sehr auf Harmonie bedacht, und überlässt es am liebsten mir, sich um alles zu kümmern, was so anliegt. Nein, also Vanessa ist ganz bestimmt keine dominante Frau, dachte ich bei mir. Aber irgendetwas beschäftigte sie an dem Thema Dominanz; dann sollte sie sich halt damit beschäftigen. Mich störte das nicht. Es vergingen etliche Tage. Irgendwann empfing mich Vanessa abends in einer ganz anderen Stimmung als sonst. „Wir werden jetzt in der Erotik etwas völlig Neues ausprobieren„, verkündete sie. Nun, das taten wir ja schon eine ganze Weile, aber ich wollte sie nicht korrigieren. Sie erklärte mir nicht, was es war, was sie jetzt vorhatte, sie fragte mich nicht, ob ich damit denn auch einverstanden sei – sie bestimmte das einfach. Nun denn – mir war das ganz recht, dass sie sich endlich auch einmal ein bisschen Mühe gab und aktiv dazu beitragen wollte, unser Sexleben wieder aufregend zu machen; bisher hatte sie das weit gehend mir überlassen. Aber warum sollen immer die Männer die ganze Arbeit machen, wenn doch schließlich die Frauen am Vergnügen ebenso teilhaben? Also nickte ich nur. Sie erklärte mir, dass unser neues Spiel noch an diesem Abend beginnen würde. Das kam mir ja nun doch etwas überraschend schnell. Außerdem war ich mir gar nicht sicher, dass ich an diesem Abend überhaupt Lust auf Sex hatte. Aber es konnte ja nichts schaden, bei ihrem Spiel einmal mitzumachen. Wenn das nicht ausreichte, um mich geil werden zu lassen, würde sie das schon merken und davon Abstand nehmen.

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