Als „extrem undersexed“ hat mich mal mein Ex-Ehemann bezeichnet, von dem ich mittlerweile schon viele Jahre geschieden bin. Ob die Ursache für meine Trennung darin zu suchen war, dass ich undersexed war, oder eher darin, dass er sich so extrem oversexed benommen hat, dass er seinen Schwanz aus keiner Frau lassen konnte, die auch nur einigermaßen hübsch war, das sei jetzt einmal dahingestellt. Es ist auch heute völlig müßig, darüber zu diskutieren, denn das gehört alles der Vergangenheit an. Klar ist jedenfalls, ein Mann, der oversexed ist, also sexuell extrem aktiv und kaum zu bremsen, und eine Frau, die undersexed ist, also nur sehr wenig Interesse an Sex hat, geradezu keines, die passen einfach nicht zusammen.
Anfangs ziehen solche Gegensätze noch an, aber am Ende bringen sie einen einfach nur auseinander, weil man zu verschieden ist. Es war nun nicht etwa so, dass ich frigide gewesen wäre. Mein Ex-Mann, ein ausgesprochen erfahrener und guter Liebhaber, hatte keine Schwierigkeiten damit, mich zum Höhepunkt zu bringen, den ich dann auch immer ganz angenehm fand. Es fehlte mir also nicht am Lustempfinden als solchem, wie das bei frigiden Frauen der Fall ist. Es fehlte mir lediglich der Drang danach, diese Lust öfter mal zu erleben. Wäre es nach mir gegangen, wäre ich in der Erotik immer bloß passiv geblieben. Und das keineswegs, weil ich zu bequem war, um selbst aktiv zu werden, sondern weil es mich überhaupt nicht reizte, all das, was mit Sex und Erotik zu tun hatte. Das war schon vor meiner Ehe so – insofern wusste mein Ex-Mann also ganz genau, worauf er sich eingelassen hat -, und es ist auch nachher so geblieben. Natürlich haben sich viele Männer vorgestellt, sie könnten der schöne Prinz sein, der das Dornröschen endgültig aus seinem erotischen Schlaf erweckt, aber das hat nie funktioniert. Es hat immer nur für ein momentanes Blinzeln und verschlafenes Räkeln sorgen können, aber nicht fürs Aufwachen. Wahrscheinlich hätte ich auf diese Weise mein ganzes Leben verschlafen und wüsste heute noch nicht, was die meisten Menschen an Sex und Erotik so herrlich finden. Wer nicht weiß, was er versäumt, der hat ja auch keinerlei Antrieb, an seiner Lebenssituation etwas zu ändern. Aber dann bin ich einer Frau begegnet, die sozusagen mein gesamtes Leben umgekrempelt hat. Und nicht dass ihr jetzt denkt, ich wäre die ganze Zeit nur undersexed gewesen, weil ich heimlich eine geile Lesbe war; dass mich der Hetero Sex deshalb nicht vom Hocker riss, weil ich auf den Sex unter Frauen stand. Nein, das war es nicht. Ich hatte kein Verhältnis mit dieser Frau. Sie hat mir nur einen Rat gegeben; und ein bisschen mehr – nämlich eine Pille. Eine Sexpille für die Frau, sowas wie Viagra für Männer.
Dorothee ist eine junge Ärztin, die sich in einer wissenschaftlichen Arbeit mit dem sexuellen Empfinden der Frauen beschäftigt hat. Die Ergebnisse, zu denen sie dabei gekommen ist, haben das Interesse eines Pharmakonzerns geweckt, und sie wurde von Anfang an einbezogen in die Entwicklung von etwas, was ich jetzt mal so ganz kodderschnäuzig eine Sexpille für die Frau nennen will. Es ist ein Hormonpräparat, gedacht dazu, in Frauen die Lust zu wecken; sei es nun, dass sie verborgen irgendwo ruht und psychologische Hemmschwellen sie zurückhalten, oder sei es, dass der Hormonhaushalt die Lust auf physische Weise einschränkt. Nachdem das Präparat entwickelt war, ging es darum, es zu testen, bevor man es vermarkten konnte und das Geld wieder einspielen, was die ganze Forschung gekostet hatte. Die Vorschriften sind da in Deutschland ja sehr streng, was neue Pharmaprodukte angeht. Wobei mir Dorothee versichert hat, dass Nebenwirkungen bei diesen Sexpillen für die Frau fast keine zu befürchten sind; und außerdem, einen Tod muss man sterben, und wenn man eine Sache nur bekommt, indem man bei anderen Abstriche hinnimmt, und ein aktives, erfülltes Sexleben ist ja nun etwas, wofür man bestimmt einiges in Kauf nimmt, dann hilft es eben alles nichts, dann muss man notfalls auch Nebenwirkungen akzeptieren. Es ist ja nicht etwa so, dass ich es nicht zutiefst bedauert hätte, so extrem undersexed zu sein. Ich konnte es mir zwar nicht wirklich vorstellen, was erfüllte Erotik bedeuten sollte – aber so eine ganz tiefe, undefinierbare Sehnsucht war da schon in mir. Deshalb fühlte ich mich auch gleich wie elektrisiert, als ich beim Frauenarzt diese Flyer ausliegen sah. Sie waren Türkis, das weiß ich noch; deshalb sind sie mir neben all den nüchternen Prospekten mit ihrem Schwarz auf Weiß ja auch sofort ins Auge gestochen. Viel stand nicht auf dem Flyer, aber es war eine Internetseite angegeben, und eine Handynummer, wo man sich weitere Informationen verschaffen konnte. Klar war jedenfalls, dieser Flyer richtete sich an Frauen, die eben kein erfülltes Sexleben hatten, und genau diesen Frauen wurde Hoffnung versprochen. Es wurde zwar auch klargestellt, dass es sozusagen um Testreihen und Untersuchungen für ein Pharmaunternehmen gehen sollte, dass man also nichts fest versprechen konnte, aber das schreckte mich nun nicht. Alles Neue muss ja irgendwie auch getestet werden. Eine Möglichkeit war immerhin eine Möglichkeit, wenn auch keine Garantie. Außerdem wurde allen Frauen, die an den Versuchen teilnehmen wollten, ein gewisses Entgelt versprochen. Ich nehme an, das Geld war für viele ein Anreiz, sich mal auf der Internetseite umzusehen. Für mich war der Grund allerdings eher meine tiefe Sehnsucht, endlich auch einmal zu erleben, wie das ist, total scharf und geil zu sein.
Per Handy habe ich mich näher informiert. Ich hatte Dorothee dran, und die verwies mich auf einen Fragebogen auf der Internetseite. Dieser diente gleichzeitig sozusagen als Bewerbung dafür, an den Testreihen teilnehmen zu können. Nach dem Telefonat bin ich gleich ins Internet und habe den Fragebogen ausgefüllt. Es ging bei den Fragen natürlich vorwiegend um Sex. Wann ich das erste Mal Sex hatte, wie oft ich Sex habe, ob ich mich selbst befriedige, welche Sexspiele mir am besten gefallen, ob ich schon einen Orgasmus gehabt hatte, und wenn ja, klitoral oder vaginal oder beides, als wie intensiv ich meinen Orgasmus empfinde, wie intensiv meine Lust ist, wenn mir ein Mann gefällt, welche Rolle Sex in meinem Leben spielt, und so weiter. Am Ende sollte ich dann meinem Sexleben insgesamt eine Punktzahl zwischen 1 und 10 zuweisen, wobei 10 das Höchste und 1 das Niedrigste war. Ich vergab zwei Punkte; und das war eigentlich noch übertrieben. Ich zögerte kurz, bekam im letzten Augenblick Zweifel, ob ich den Fragebogen wirklich losschicken sollte, aber dann tat ich es doch. Postwendend bekam ich per Mail den Eingang bestätigt, dann hörte ich zwei Wochen nichts. Per normaler Post, also ganz beeindruckend und offiziell und seriös und nicht einfach nur per Mail, erreichte mich dann die Einladung zu einem Seminar, wo es um die Tests für die Sexpille gehen sollte. Ich bekam dabei mitgeteilt, dass ich unter den Bewerbern sei, die man auf jeden Fall gerne in die Forschung mit einbeziehen wolle. Auf dem Seminar sollten weitere Einzelheiten besprochen werden, und danach stand dann für mich die Entscheidung an, ob ich wirklich mitmachen wollte oder nicht. Für mich stand gleich fest, dass ich zu dem Seminar gehen würde; zumal damit noch keine endgültige Entscheidung getroffen war. Die hätte ich jetzt auch noch nicht treffen wollen, aber weitere Informationen wollte ich mir schon beschaffen. Es gefiel mir auch, dass das Seminar in einem echten Luxushotel in Berlin stattfinden sollte. Ich war schon lange nicht mehr in Berlin gewesen. Fahrt und Hotelzimmer wurden von dem Pharmakonzern bezahlt. Vielleicht konnte ich mein Zimmer einfach noch auf eigene Kosten ein paar Tage verlängern und so das Angenehme, einen Berlin-Besuch, mit dem Nützlichen verbinden, mit dem Seminar. Per Handy klärte ich das mit Dorothee, die mir immer besser gefiel, obwohl ich sie zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht kannte.