23. Juli 2008

Fetisch Roman – Kapitel 30 – Kummer – Sichtweise Antje

Schon im Hausflur höre ich Susannes Lachen aus der Wohnung dringen. Das hat mir gerade noch gefehlt. Ich bin völlig erledigt, will nichts mehr sehen und hören außer David – und muß mich jetzt aller Voraussicht nach etliche Stunden mit Susanne herumschlagen. Sie ist wirklich eine sehr gute Freundin; aber auch Freunde gehen sich halt ab und zu auf die Nerven. Was mich freut ist nur, daß sie heute sichtlich mit David prima auszukommen scheint; bei unserem letzten Treffen zu dritt hat das nicht so unbedingt zufriedenstellend funktioniert.

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Ich wollte mich nur erkundigen, was du denn jetzt an deinem Geburtstag machst,“ erkundigt sich Susanne zur Begrüßung. „Das ist doch noch drei Wochen hin,“ wehre ich ab. Damit will ich mich in diesem Augenblick nicht beschäftigen. David hat angeregt, daß wir wenigstens eine kleine Feier machen. Die Arbeit dafür wird jedoch wahrscheinlich an mir hängenbleiben. Und in dem momentanen Streß weigere ich mich, mich damit zu beschäftigen.

David rekelt sich in einem Sessel und steht nicht einmal auf, um mich zu umarmen. Ob er wohl glaubt, ich laufe jetzt zu ihm hin? Darauf kann er lange warten; ich komme gut auch ohne Willkommenskuß aus!

Die Kanne Tee, die auf dem Tisch steht, ist leer. Außerdem gibt es ohnehin nur zwei Tassen – also werde ich mich wohl selbst darum kümmern müssen, daß ich etwas zu trinken bekomme. Mißmutig verschwinde ich in der Küche. Etwas mehr Fürsorglichkeit hätte ich von David schon erwartet; schließlich weiß er, daß ich gerade ein Gespräch hinter mir habe, das mir einen ziemlichen Bammel eingeflößt hat. Aber ihn scheint nicht einmal das Ergebnis zu interessieren.

Stell dir vor,“ bemerkt David zu mir, als ich zurückkomme, „wir haben gerade festgestellt, daß Susanne Birte kennt. Die beiden haben ein paar Semester lang zusammen studiert. Es gibt doch wirklich seltsame Zufälle im Leben!“ „Schön,“ bemerke ich sarkastisch. Das interessiert mich natürlich ganz besonders, ob Susanne diese Nervensäge kennt, die der Meinung ist, David müßte ihr Tag und Nacht zur Verfügung stehen, wenn es ihr wieder einmal ach, so schlecht geht.

Eine besonders enge Freundin von Susanne kann Birte nicht gewesen sein, sonst hätte sie mir bestimmt von ihr erzählt. Von den meisten ihrer knapp 100 Mitstudenten habe ich nämlich mehr als genug gehört. Und ich kenne auch nur zur Genüge die ganzen Anekdoten aus ihrer Zeit an der Uni, die sie jetzt für David zum besten gibt.

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Mühsam halte ich mich davon ab, ungeduldig mit den Fingern auf die Sessellehne zu trommeln. Für den Anruf, der mich ans Telefon holt, bin ich deshalb sogar fast dankbar. Bis der Gesprächspartner seinen Namen genannt hat. Es ist von Delten, mein und Davids Chef.

Er braucht mich sofort in der Firma, sagt er.

Das darf ja wohl nicht wahr sein!

Natürlich kann ich es ablehnen zu kommen. Um den Preis, daß von Delten mir tagelang die Hölle heiß machen wird. Also gilt es zu entscheiden zwischen ein, zwei unangenehmen Stunden jetzt – oder weit mehr unangenehmen Stunden in nächster Zukunft.

Ich greife mir den Autoschlüssel. „Mußt du noch einmal weg?“ fragt David ohne viel Neugier. „Überstunden,“ antworte ich lakonisch. „Bis nachher,“ verabschiedet er mich freundlich.

Wahrscheinlich war es auch zuviel verlangt, ein wenig Mitgefühl von ihm zu erwarten.

In der 30er-Zone überrascht mich an der altbekannten Stelle der unauffällige Blitz. Scheiße, ich bin mindestens 45 gefahren! Das wird teuer. Und ich bin noch dazu selbst schuld daran.

Ziemlich genervt erscheine ich an meinem Arbeitsplatz. Von Delten möchte, daß ich etliche Unterlagen paßgerecht für einen möglichen neuen Auftraggeber umschreibe. Es ist eines der größten Unternehmen hier, und nun verstehe ich auch von Deltens Ungeduld. Die Jakara AG ist für Firmen wie unsere ein absoluter Traumkunde. Regelmäßige Aufträge, selten das übliche Gezackere und Gezerre wegen der Bezahlung – die Jakara alleine könnte das Überleben einer Firma fast sichern. Kein Wunder, daß er sich so engagiert darum bemüht, hier den Durchbruch zu schaffen. Er hat, wie er mir ganz stolz erzählt, einen der Geschäftsführer an diesem Abend bei einer Veranstaltung getroffen und es geschafft, gleich für morgen einen Termin zur Vorstellung unserer Produkt- und Leistungspalette zu bekommen.

Nun, die stolzgeschwellte Brust trägt er zu Recht – unsere Sales-Abteilung bemüht sich seit Monaten vergeblich um die Jakara.

Dieser Erfolg läßt meinen sonst immer so schlechtgelaunten und unleidlichen Chef heute abend geradezu umgänglich werden. Zu meinem eigenen Erstaunen macht es fast Spaß, die Sachen mit ihm gemeinsam zusammenzustellen. Die Zeit verfliegt. Als das letzte Dokument ausgedruckt und geheftet ist, ist es bereits zwei Uhr in der Nacht, und ich habe es nicht einmal gemerkt. Von Delten bedankt sich überschwenglich bei mir, und todmüde, aber sehr zufrieden fahre ich zurück.

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In eine leere Wohnung.

David hat mir nicht einmal eine Nachricht hinterlassen.

Und wenn ich es mir recht überlege, kommt es mir sogar entgegen, daß ich mich jetzt nicht auf ihn einstellen, nicht auf ihn Rücksicht nehmen muß, sondern einfach so, wie ich bin, ins Bett fallen und einschlafen kann.

Am nächsten Tag bei der Arbeit tue ich gegenüber David so, als sei nichts gewesen. Das fällt mir nicht schwer, denn es ist alles hektisch wie in einem Ameisenstaat beim Stiefelgroßangriff. Die Spannung wegen der Chance bei der Jakara scheint alle erfaßt zu haben.

Das Meeting dort am Nachmittag dauert fünf Stunden. Nun wird man dort eine Weile beraten, ob wir als Auftragnehmer in Betracht kommen, und uns am nächsten Dienstag über das Ergebnis der Überlegungen informieren.

David ist bereits verschwunden, als ich an meinem Schreibtisch noch einiges aufarbeite. Er ruft nicht an, und natürlich wartet er auch nicht in meiner Wohnung auf mich.

Langsam reicht es mir. Was bildet dieser Typ sich eigentlich ein? Noch vor ein paar Tagen haben wir darüber gesprochen zusammenzuziehen, und zwar angeregt durch ihn. Und nun schafft er es nicht einmal, die normalen Höflichkeitsregeln einzuhalten. Wenn er denkt, ich laufe ihm nach, dann hat er sich getäuscht!

Zu gerne wüßte ich aber, was in seinem Kopf nun schon wieder vorgeht, daß er mich so einfach quasi sitzenläßt. Ob ich einmal Susanne frage, was gestern noch gewesen ist, nachdem ich zur Firma abgerauscht bin? Ich greife zum Telefon. Sie meldet sich sehr schnell. Aber sie ist verdammt verlegen und antwortet so offensichtlich ausweichend, daß ich Zustände kriege. Also weiß sie etwas. Wahrscheinlich verschweigt sie es mir aus purer Rücksichtnahme, denke ich böse. So sehr ich auch bohre, ich bekomme nichts aus ihr heraus.

Das stinkt zum Himmel. David tritt die Flucht an, und Susanne ist merkwürdig; und das, nachdem die beiden gestern sehr lange alleine miteinander waren.

Irgend jemand hat plötzlich Davids Nummer gewählt. Also, ich selbst kann das unmöglich gewesen sein! Aber ich vernehme ohnehin nur seinen Anrufbeantworter.

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Langsam wird mir schlecht vor Angst. Ob David sich schon länger bei mir unwohl gefühlt hat, und gestern bei Susanne dann den Mut hatte, endlich darüber zu sprechen? In diesem Gespräch gleich zu einer Entscheidung gekommen ist? Aber ich kann es mir kaum vorstellen, daß er mich über diese Entscheidung dann nicht wenigstens informieren würde. Oder ob Susanne in ihrer üblichen unschuldigen Art etwas über mich berichtet hat, was ihn so schockierte, daß er es nicht einmal sofort mir gegenüber erwähnen kann? Aber was sollte das sein?

Etwas, das diesen stummen Rückzug rechtfertigen würde, kann Susanne gar nicht aus Versehen oder absichtlich von sich gegeben haben, weil es so etwas in meiner Vergangenheit einfach nicht gibt.

Aber vielleicht ist David bloß so verkorkst, daß er nach zwei Schritten vor immer drei zurück machen muß. Schließlich ist das ja nicht seine erste Flucht in der kurzen Zeit, die wir jetzt zusammen sind.

Oh Gott, und ich sehne mich so nach ihm!

Noch einmal versuche ich, ihn anzurufen.

Ich hasse Anrufbeantworter!

Schon jetzt weiß ich, das wird wieder eine Nacht, in der ich jedenfalls nicht ruhig schlafen werde. Die ich-weiß-nicht-wievielte. Wenn David mir aus anderen Gründen den Schlaf rauben würde, hätte ich ja nichts dagegen. Aber immer diese ganzen Probleme und Mißverständnisse, ich glaube, das wird mir ein bißchen viel. So viel Kummer ist kein Mann wert!

Oder doch?

Ein paar Stunden schwanke ich noch zwischen ja und nein. Aber nach meinem ich glaube zwölften Anrufversuch bei David reicht es mir. Es ist, als habe dieses letzte Wählen der so vertrauten Ziffern einen geheimen Tresor geöffnet. In dem ich nichts finde außer einem Zettel.

Und auf diesem steht: Vergiß ihn!

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