Ich wußte gar nicht, daß das Lied „Bright Eyes“ so wunderbar endlos lange dauert. Wir bewegen uns kaum noch auf der Tanzfläche, David und ich, und beide atmen wir heftig. Meine Eifersucht zieht sich in ihre geheime Höhle zurück und tut, als sei sie nie dagewesen.
Schließlich nehme ich meine Arme von seinem Hals, lege sie um seinen Hintern und presse meinen Unterkörper gegen seinen, bis ich die vermutete Härte spüre. Er stöhnt leise auf. Und ich bin so verrückt nach ihm, daß ich ihm beinahe hier vor allen Leuten die Hose herunterziehe.
Aber auch der schönste Song findet einmal ein Ende, und rings um uns herum lösen sich die Paare voneinander, die sich wie wir unter dem Vorwand der Musik umeinander drapiert haben.
Hand in Hand begeben wir uns zu dem Tisch zurück, an dem die Abgesandten des Managements der Schweizer Partnergesellschaft unseres Arbeitgebers auf uns warten. Um die wir den Auftrag haben, uns zu kümmern.
Wir holen uns zwei zusätzliche Stühle – nachdem die Keiser, die vorhin mit David an einem anderen Tisch gesessen hat, sich zu ihren Kollegen begeben hat, müssen wir wohl oder übel dazu; wir können uns kaum zu zweit absondern und die Delegation allein ihrem Schicksal überlassen.
„Sie schulden mir noch einen Tanz,“ begrüßt die Keiser David herrisch. Ich befürchte, sie ist ziemlich sauer, weil er sie vorhin für mich einfach hat stehen lassen. David zögert. „Nun mach schon,“ dränge ich leise. Unser Chef hat David nun einmal den Auftrag gegeben, die Keiser ganz besonders charmant zu betreuen; wenn sie sich morgen beschwert, daß er unhöflich zu ihr war, bedeutet das ziemlichen Ärger für ihn.
Gehorsam erhebt sich David, verbeugt sich vor der Keiser, und die beiden verschwinden. Jedoch nicht bevor sie mir einen kleinen triumphierenden Augenblitz zugeworfen hat. Nun, soll sie – für den Moment hat meine Eifersucht sich schmollend zurückgezogen, und ganz so leicht ist sie auch nicht wieder hervorzulocken.
Fast eine halbe Stunde muß ich die männlichen Mitglieder der Abordnung allein unterhalten. Die Keiser kostet ihren – vermeintlichen – Sieg voll aus, und als die beiden zurückkommen, hat sie sich demonstrativ an Davids Arm gehängt.
Es ist kurz vor Mitternacht. Langsam werde ich müde; schließlich war die letzte Nacht eine zwar unglaublich aufregende, aber keine sehr erholsame, und seit heute vormittag sind wir nun schon mit den Schweizern unterwegs. David sieht ebenfalls ziemlich erschöpft aus. Schließlich war er gestern krank, und an den Aufregungen der Nacht nicht ganz unbeteiligt …
Zum Glück gähnt einer der Herren nun vernehmlich und verkündet nach einem Blick auf seine Uhr, daß es Zeit wird aufzubrechen.
Mit dem extra für den Tag gemieteten Kleinbus geht es in das Hotel, in dem die Dame und die Herren übernachten werden. Die Verabschiedung ist schon beinahe beendet, als die Keiser David vorschlägt, mit ihr noch einen kleinen Nachttrunk einzunehmen. Er kann unmöglich ablehnen, ohne sie erneut zu brüskieren. Auf mich bezog die Einladung sich ganz eindeutig nicht. Außerdem muß ich ohnehin den Bus zurück zur Firma bringen und mein Auto abholen.
Bloß, wie soll nun David nach Hause kommen, der heute morgen mit mir zusammen in die Firma gefahren ist? Ich überlege einen Augenblick lang, dann erkläre ich: „Ich hole dich in etwa einer Stunde wieder hier ab, David.“ Die Keiser bedenkt mich mit einem wütenden Blick.
Sofort vermute ich, daß sie es darauf anlegen wird, mich warten zu lassen. Und so ist es auch. Ich habe bereits sämtliche Zeitschriften in der Warteecke des Hotelfoyers durchgeblättert, da kommen die beiden endlich aus der Bar. Nach einer für eine flüchtige Bekanntschaft viel zu langen Umarmung und einem Kuß mitten auf den Mund macht die Keiser sich auf in Richtung Aufzug.
David hat mich entdeckt. Er bewegt sich so langsam auf mich zu, daß ich mit einem kleinen Übelkeitsgefühl in der Magengegend sofort befürchte, wir werden diese Nacht nicht zusammen verbringen. Auf der Fahrt zu ihm nach Hause sind wir beide stumm. Als er den Sicherheitsgurt löst, fragt er: „Macht es dir etwas aus, nicht mehr mit hochzukommen? Ich brauche jetzt dringend absolute Ruhe, ich bin völlig erledigt.“
„Aber natürlich macht es mir nichts aus,“ entgegne ich spitz und brause davon, kaum daß er ausgestiegen ist, ohne Abschied und ohne einen Blick zurück. Ist es dieser dämlichen aufgetakelten Ziege also doch gelungen, einen kleinen Keil zwischen David und mich zu treiben. Na warte, denke ich. Noch sind wir beide nicht fertig miteinander. Ich werde diesen Keil nehmen und ihn ihr in den Hals stopfen, daß sie daran erstickt!
Aber dazu muß ich ihn erst einmal von der Stelle entfernen, an der er sich im Moment befindet. Ich nehme die nächste Seitenstraße, drehe dort und fahre entschlossen zurück.
Mir ist ziemlich mulmig zumute. Ich setze einiges aufs Spiel, denn wenn David wirklich alleine sein will und nicht nur wegen irgend etwas verstimmt ist, was die Keiser gesagt oder getan hat, steht mir eine ziemlich unangenehme Szene bevor. Mit laut klopfendem Herzen und zitternden Fingern stehe ich vor der Sprechanlage, treffe nach mehreren Ansätzen Davids Klingel.
Es kommt nicht die erwartete Frage, wer dort ist; der Summer geht sofort. Und oben erwartet mich David in der Tür, bekleidet nur mit einem Slip, und sein Gesichtsausdruck schwankt zwischen Zerknirschung und Strahlen.
„Doch, es macht mir etwas aus,“ bringe ich hervor; atemlos, denn ich bin die Treppen zum vierten Stock hochgelaufen. „Sehr viel sogar!“
Und auf einmal packt mich die Wut, der ich vorhin nur die paar spitzen Worte erlaubt habe. Lange betrachte ich Davids so ungeheuer anziehenden unangezogenen Körper. Dann hole ich aus, und schon hat er seine Ohrfeige weg.
Es ist ein absolut kritischer Augenblick. Eigentlich ist es noch viel zu früh für solche Strafmaßnahmen. Außerdem ist David ja diese ganze Welt noch ungewohnt und neu.
Er zuckt zusammen bei dem Schlag, aber er er wehrt ihn nicht ab, weicht nicht aus. Kurz schließt er die Augen. Ganz weich sagt er dann: „Das habe ich verdient. Bitte entschuldige, ich habe mich vorhin wie ein arroganter Trottel benommen.“
Während ein silbriges Glücksgefühl wie eine warme Flüssigkeit meine Gedanken füllt, ziehe ich ihn an mich und küsse die roten Spuren, die meine Hand hinterlassen hat.