Meine Finger zittern ganz schön, als ich Antjes Nummer wähle.
„Was soll das, verdammt nochmal?“ keift sie. Himmel – der perfekte Anfang für dieses Gespräch. Nachdem ich mich gemeldet habe, kommt der Satz: „Ach, sieh an, ich dachte schon, dich gibt’s gar nicht mehr.“
Wenn sie ihren ironischen hat, ist es am besten, ich sage ihr nur schnell gut Nacht und lege wieder auf. Doch nein, stop – wer weiß, ob ich je wieder den Mut finde, ihr alles zu erzählen.
„Antje, ich muß Dir etwas beichten,“ sage ich; ziemlich kleinlaut.
„Hat das nicht bis morgen Zeit?“ ist ihre Antwort.
Gut, okay, also dann nicht. „Wenn du meinst. Ich melde mich dann ein andermal.“
Ich merke, daß meine Augen brennen. Scheiße, warum ist mir diese Frau bloß so wichtig? „Halt,“ sagt sie auf einmal. „Bitte entschuldige, David. Was ist denn los?“
Ich könnte sie küssen. Ja, genau deshalb ist sie mir so wichtig, weil sie solche Dinge tut; so plötzlich einlenken kann. Und jetzt tief Luft holen und los. „Ich habe mit Susanne geschlafen.“
Sie schweigt lange. Es kommt mir vor, als seien es mehrere Minuten. Endlos jedenfalls. Mir wird ganz anders. „Antje, bist du noch da?“ frage ich irgendwann leise.
„Hoffentlich hat’s dir wenigstens Spaß gemacht,“ giftet sie. Himmel, nein! Verdient habe ich es ja, daß sie mich anfaucht; aber mit solchen Gedanken quält sie sich nur selbst. „Antje, bitte!“
Jetzt ist sie in Fahrt. „Bitte was? Bitte mach mir keine Szene? Bitte sei lieb und akzeptiere es einfach? Du teilst mir mit, du hast mit meiner Freundin geschlafen, und ich soll dann einfach die Klappe halten, oder wie hattest du dir das gedacht?“
„Nein – du hast jedes Recht der Welt auf mich sauer zu sein,“ gebe ich zu.
Sie lacht bitter. „So, habe ich das. Nett von dir, daß du das einsiehst! Und was gedenkst du, jetzt zu tun? Und was erwartest du, das ich tun soll? Dir großzügig verzeihen und so tun, als sei nichts gewesen?“
„Antje, laß uns morgen weiter darüber reden,“ bitte ich sie.
Das war der falsche Knopf. „Ich denke nicht daran,“ kreischt sie. „Entweder wir reden jetzt darüber, oder es gibt zwischen uns beiden überhaupt nichts mehr zu bereden!“
In Ordnung, meine Liebe. Aber dann nicht so, wie du es dir vorstellst – nicht am Telefon! Ich knalle den Hörer auf, schmeiße mich in meine Lederjacke, brause los. Klingele.
Eine Weile herrscht Stille in der Wohnung. Gerade will ich noch einmal klingeln, da reißt sie die Tür auf. In einem knallroten Riesen-T-Shirt, das ihre endlos langen Beine sehen läßt. Hmmmm! Nur die dicken grauen Socken stören etwas. Sehen aber auch irgendwie süß aus.
Sie sieht mich an wie ein Stück Dreck, das sich zufällig an ihre Wohnungstür verirrt hat. „Du bist gekommen, um dich persönlich zu entschuldigen. Schön – dann tue es.“
Was meint sie denn jetzt damit? Ich bin etwas durcheinander, weiß nicht, worauf sie hinauswill. Sie richtet sich auf, ist noch größer, so kerzengerade, und sieht mich so richtig von oben herab an; obwohl sie doch ein Stückchen kleiner ist als ich.
Endlich kapiere ich. Das meint sie also – wir machen ein Spiel daraus! Was also erwartet sie jetzt? Nun, ein demütiger Sklave würde erst einmal niederknien.
Ich tue es. Senke den Kopf. Und sage, laut und deutlich: „Ich bitte um Vergebung Herrin, obwohl ich weiß, daß meine Tat keine Vergebung verdient. Ich bin bereit, dafür jede Strafe auf mich zu nehmen, die Sie verhängen.“
Ganz leicht kommen sie mir von den Lippen, diese Worte, und auf einmal fühle ich mich wirklich ganz demütig.
Es hat eindeutig etwas für sich, dieser ganze Ritualkram in dominant-devoten Beziehungen. Macht es viel einfacher, in solchen Situationen miteinander umzugehen. Man muß sich nicht krampfhaft überlegen, was man zu tun hat, sondern die Rollen sind vorgegeben.
Ich bin Antje so dankbar für diesen Ausweg, daß ich ihr ohne Zögern die Füße küssen würde. Selbst in den Wollsocken.
„Du wirst eine ganze Woche lang den Schmuckring tragen, den nur ich mit dem Imbus-Schlüssel öffnen kann,“ erklärt sie jetzt. „Zusätzlich gibt es jeden Abend ein paar Hiebe mit der Gerte; die Anzahl richtet sich allein nach meiner Stimmung. Und am Ende dieser Woche wird die Strafe in etwas ihren Abschluß finden, über das ich dich zu gegebener Zeit informieren werde.“
Natürlich, eine Strafe war ja zu erwarten. Das mit den Hieben, das geht ja noch. Aber eine Woche lang den Ring tragen, um Gotteswillen! Geht das überhaupt? Selbst wenn, das wird schwierig. Und peinlich auf dem Herrenklo. Und was sie sich wohl unter diesem ganz besonderen Abschluß vorstellt?
Aber beschweren sollte ich mich nicht. Das alles ist jedenfalls zehnmal einfacher als endlose Diskussionen mit Tränen und Vorwürfen. Wenn ihr das hilft, mir zu verzeihen, würde ich noch ganz andere Dinge auf mich nehmen. Und wenn es ihr noch zusätzlich Vergnügen macht – und das wird es, so wie ihre Augen blitzen! – nun, um so besser!
Unterwürfig bedanke ich mich bei meiner Herrin. Verdammt ungewohnt, sie so zu nennen. Ein ganz eigenartiger Schauer läuft mir dabei von der Kopfhaut bis herunter zu den Zehen und wieder zurück. Gar nicht einmal so unangenehm.
Von unten kommt jemand hoch. Unwillkürlich werde ich rot; bereite mich aber trotzdem darauf vor, in meiner Haltung zu verharren, bis sie mich erlöst. Sollen doch ruhig die anderen Mieter alle vorbeikommen und mich anstarren. Nicht, daß es mir nichts ausmacht; sehr viel macht es mir aus. Ich mag den Kopf einziehen, mich ganz klein machen, im Erdboden verschwinden. Aber ich werde es aushalten, wenn sie es so wünscht.
Die Stimmen kommen näher, sind jetzt im Stockwerk untendrunter. Und die Leute gehen weiter. Sie werden also unweigerlich an uns vorbeikommen. Aushalten, David, aushalten, sage ich mir selbst. Es ist verdammt schwer, den Impuls aufzuspringen zu unterdrücken. Aber ich schaffe es.
Auf einmal beugt sie sich herab, packt mich bei den Armen, zieht mich hoch. Was soll das denn jetzt? Ich dachte, ich müßte die beschämende Peinlichkeit der Blicke anderer über mich ergehen lassen?
Nein – sie drängt mich in die Wohnung, schließt die Tür.
In diesem Moment würde ich alles für sie tun, daß sie mir das erspart hat. Soll sie mich bestrafen nach Herzenslust und Laune, ich habe es verdient dafür, daß ich ihr wehgetan habe.
Alexander hat recht – für sie lohnt es sich, eine ganze Menge aufzugeben. Die Freiheit, die Ruhe des Alleinseins. Die Herumvögelei. Den Seelenfrieden.
Oh Gott, was wird mir mit diesem Ausbund an verrückten Launen noch alles bevorstehen! Fluchen werde ich, sehr oft ganz gottserbärmlich fluchen. Aber wie schlimm es auch werden mag manchmal, es ist großartig. Sie ist großartig. Und ich denke nicht daran, auf sie zu verzichten.
Wenn sie mich jetzt noch haben will. „Antje, es tut mir so leid,“ stammele ich.
Und dann ist es wie ein Augenblick in der Vorhölle, als sie mich ansieht, ganz ruhig und forschend. Bis sie dann lächelt, die Hand hebt und meine Wange berührt. Und da komme ich mir tatsächlich vor wie aus der ewigen Verdammnis gerettet und per Rakete umgehend auf Wolke 7 katapultiert.
Ich schmiege mich hinein in die Berührung, und es ist nicht nur meine Wange, die sie erwidert, sondern mein ganzer Körper.
Ach, wenn doch jetzt die Zeit still stehen würde …