Verdammt. Verdammt, verdammt! Welcher Vollidiot ruft hier schon morgens vor sieben an? Ich taste auf dem Nachttisch, finde endlich die Quelle des grausamen Lärms, melde mich unwillig. „Hier ist Bernd,“ höre ich. Einen Moment lang bin ich sprachlos über so viel Frechheit. Dann vereint sich meine hilflose Wut über seinen andauernden Telefonterror mit der schlechten Laune über die unpassende Zeit.
„Wenn du mich nicht ab sofort in Ruhe läßt, Bernd,“ zische ich, „dann werde ich dafür sorgen, daß genau das eintrifft, wovor du eine solche Angst hast – daß all deine Kollegen von deinen speziellen Neigungen erfahren!“
Ich schäme mich, noch bevor ich ausgesprochen habe. Zu solchen Mitteln sollte man in SM-Kreisen nicht greifen. Andererseits sollte man sich als Sklave einer dominanten Frau auch nicht derart unangenehm aufdrängen. Sie gegen ihren Willen so massiv zu belästigen, und sei es auch in der allerdemütigsten Form, ist ja ein Widerspruch an sich zur devoten Grundhaltung, die angeblich genau zu einem solchen Verhalten treibt. Trotzdem – ich hätte ein anderes Mittel finden müssen, um ihn abzuschrecken.
Bernd legt auf, ohne ein weiteres Wort.
Mit dem fürchterlichsten Chaos im Kopfe lasse ich mich noch einmal in die Kissen zurücksinken. Fingerspitzen streicheln sanft meine Schulter. „War das schon wieder dieser Bernd?“ fragt David. „Allerdings,“ antworte ich. „Und diesmal hat er mich wirklich völlig auf dem falschen Fuß erwischt. Ich habe ihm gedroht, daß …“ „Ich weiß,“ unterbricht mich David. „Ich habe es gehört. Und ich finde, du hast das Recht dazu, dich auf diese Weise zu wehren.“
„Nein,“ widerspreche ich vehement, „auf diese Weise darf ich mich auf keinen Fall wehren!“
David stützt sich auf einen Ellenbogen. „Du bist also der Meinung, du mußt dir das einfach gefallen lassen, daß er dich jeden Tag mehrfach anruft, zu den unmöglichsten Stunden, und dir mit seinem Wunsch auf die Nerven geht, daß du dich mit ihm treffen sollst? Obwohl du ihm klipp und klar gesagt hast, daß du nichts mit ihm zu tun haben willst?“
„Nein,“ gebe ich zu. „Aber es muß eine andere Möglichkeit geben, ihn loszuwerden.“
„Vielleicht hast du ja Glück und du bist ihn jetzt bereits los,“ bemerkt David. „Ja, und was ist die Konsequenz meiner Drohung?“ ereifere ich mich. „Was glaubst du, was er mit mir macht, wenn wir uns das nächste Mal bei einem Meeting treffen? Ich muß das wieder in Ordnung bringen!“
„Willst du dich vielleicht bei ihm entschuldigen?“ protestiert David.
Nein, das natürlich auch nicht. Aber was sonst soll ich, kann ich tun?
Wir diskutieren noch eine Weile, bis es Zeit wird aufzustehen. Irgendein undefinierbares Gefühl von seelischer Übelkeit macht sich in mir breit, setzt sich fest, verschwindet den ganzen Tag nicht.
Kurz vor Feierabend teilt mir mein Chef mit, daß für den nächsten Tag weitere Verhandlungen mit den Managern der Solvis GmbH geplant sind. Also auch mit Bernd.
Aus Angst vor diesem Zusammentreffen kann ich nachts kaum schlafen.
Und ausgerechnet heute ist auch David nicht da. Er ist früher aus der Firma weg und zum 65sten Geburtstag seines Vaters gefahren. Über Nacht bleibt er bei seinen Eltern und kommt erst morgen gegen Mittag zurück. Eigentlich wollte er mich mitnehmen, aber erstens hat mein Chef es rundweg abgelehnt, mir ein paar Stunden frei zu geben. Und zweitens bin ich momentan nicht in der Verfassung, seiner Familie zu begegnen.
Noch mittags hat David mir angeboten, meinetwegen dazubleiben. Was ich jedoch geradezu empört abgelehnt habe, so sehr es auch meinem Wunsch entsprochen hätte. Manche Dinge gehen nun einmal einfach vor. Und ich kann es unmöglich zulassen, daß er einen so wichtigen Geburtstag seines Vaters versäumt, nur weil er sich mit einer hysterischen Kuh zusammengetan hat.
Deshalb muß ich mich jetzt alleine mit mir herumschlagen. Was mir andererseits auch wieder ganz recht ist, denn David hat in den letzten Tagen genug darunter leiden müssen, daß Bernds Telefonterror an meinen Nerven sägt und nagt. Deshalb habe ich ihm bei unserem Telefonat vorhin auch nichts von dem überraschenden Meeting morgen gesagt.
Quälend langsam vergehen die Stunden mit Grübeln, Zittern und ein klein wenig Schlaf.
Wie in Trance mache ich mich gegen sieben fertig, fahre in die Firma, erledige die anstehenden Arbeiten, richte das Konferenzzimmer, begrüße mit meinem Chef zusammen die Leute von Solvis.
Bernd beachtet mich nicht.
Nach ein wenig allgemeinem Geplauder geht es zur Sache. Die Verhandlungen sind anstrengend für alle.
Aber von Bernd kommt kein Wort gegen mich.
Immer mißtrauischer warte ich darauf, daß das Damoklesschwert endlich fällt. Aber der dünne Faden hält.
Man verabschiedet sich, die Weichen für alles weitere sind gestellt. Bernd gibt mir sogar die Hand.
Völlig erledigt sitze ich danach an meinem Schreibtisch. Ich kann es noch gar nicht glauben. Sollte sich das ganze Problem tatsächlich erledigt haben?
Nach einem Blick auf die Uhr stelle ich erschrocken fest, daß schon längst Mittagspause ist. Und ich bin doch mit David verabredet. Hastig werfe ich das Cape über und fliege geradezu in das vereinbarte Lokal, falle ihm stürmisch um den Hals.
Er freut sich mit mir darüber, daß alles so problemlos verlaufen ist. Macht mir aber bittere Vorwürfe, weil ich ihm gestern abend nichts von dem bevorstehenden Zusammentreffen erzählt habe. „Verdammt, Antje,“ brummt er, „wenn ich das gewußt hätte, ich wäre sofort zurückgefahren!“
„Genau deswegen habe ich nichts davon gesagt,“ erkläre ich mit einem strahlenden Lächeln.
So langsam dringt es in mein Bewußtsein, daß ich anscheinend von Bernd nichts mehr zu befürchten habe, und ich könnte vor Erleichterung einen kleinen Freudentanz hinlegen.
Ich habe mich zu früh gefreut.
Nachmittags, während ich dabei bin, all die Pläne und Konzepte für die Kooperation mit Solvis zusammenzufassen, erhalte ich einen Anruf von Alexander. Er ist sehr ernst, als er mir erklärt, daß Bernd ihn aufgefordert hat, mich in Zukunft vom SM-Stammtisch auszuschließen. Und mich bittet, heute abend kurz bei ihm vorbeizukommen, damit er sich meine Seite der Geschichte anhören kann. Ich will anfangen zu berichten, was alles geschehen ist, aber er unterbricht mich. „Nein, jetzt nicht, Antje. Wir reden heute abend darüber.“ Und schon hat er aufgelegt.
Das paßt mir nicht, das paßt mir ganz und gar nicht. Alexander mag zehnmal dominant sein; mein Meister ist er nicht. Und seine Eigenschaft als Initiator und Leiter des Stammtischs gibt ihm nicht das Recht, mich wie ein kleines, dummes Mädchen zu behandeln, das etwas angestellt hat.
Sehr wirksam verdecke ich mit meiner Empörung den schneidend scharfen Schmerz, den die hörbare Enttäuschung über mich in seiner Stimme in mir ausgelöst hat.
Verdammt. Verdammt, verdammt!