Nach einem Seitensprung hat man ja oft ein schlechtes Gewissen. Wobei ich das jetzt vollkommen überflüssig finde. Das Fremdgehen ist in unserer Gesellschaft ja so sehr gang und gäbe, dass man sich eigentlich keinen Kopf mehr machen müsste, wenn man selbst eine Affäre hat. Was ist das für eine Moral, die etwas von uns verlangt, was offensichtlich so schwer ist, dass die Hälfte aller Leute sich nicht daran halten kann? Wäre es da nicht viel einfacher, wenn man die Sache einfach umdreht, also statt mit einer längst überholten Moral gegen den Seitensprung Sex vorzugehen, einfach die Moral den Realitäten anzupassen und das Fremdgehen, vielleicht mit gewissen Einschränkungen und unter bestimmten Voraussetzungen, für ganz normal und nichts Schlimmes zu erklären? So weit sind wir aber noch lange nicht. Und deshalb haben viele nach dem Seitensprung Sex ein schlechtes Gewissen. Auch ich habe ein ganz schlechtes Gewissen nach meiner Affaire. Das hängt aber jetzt nicht mit der Moral zusammen, dass man als Frau seinen Ehemann angeblich nicht betrügen darf; es hat ganz andere Gründe. Wäre es nur irgendein beliebiger Seitensprung gewesen, würde ich mir da überhaupt nichts draus machen. Aber das war es nicht. Ich habe meinen Mann nicht nur betrogen, ich habe ihn mit seinem Chef betrogen. Und das ist dann nun doch schon eine etwas andere Geschichte. Denn der Chef hat natürlich die berufliche Zukunft meines Mannes voll in der Hand. Damit habe ich ihn durch meinen Seitensprung einem Risiko ausgesetzt, das sich jederzeit verwirklichen kann. Hämische Bemerkungen wären da noch das harmloseste, was daraus entstehen kann. Und schon die würden mich nicht nur deshalb stören, weil mein Mann dann etwas von meinem Seitensprung erfahren würde. Aber es könnte ja noch viel schlimmer kommen – wenn mein Lover irgendwann einmal sauer auf mich ist, könnte er meinen Mann das ausbaden lassen, indem er ihm im Büro Ärger macht, eine Gehaltserhöhung und Urlaubsanträge ablehnt, Gründe für eine Abmahnung sucht oder so etwas.
So, und nun kommt von euch wahrscheinlich gleich die berechtigte Frage, wieso ich mich denn auf diese Affäre eingelassen habe, wenn sie solche Nachteile für meinen Mann haben könnte, was er ja nun wirklich nicht verdient hat? Und ich könnte nun antworten, ich bin regelrecht verführt worden und habe mich einfach nicht dagegen wehren können. Diese Antwort wäre auch gar nicht mal gelogen, und trotzdem wäre sie völlig verkehrt. Ich habe mich schon aus freien Stücken entschlossen, dem Chef meines Mannes – Bernd heißt er übrigens – hinzugeben. Ich hätte mich durchaus wehren und dem entziehen können. Wenn ich denn nüchtern nachgedacht hätte, dann hätte ich das auch getan. Aber genau das war das Problem – ich konnte nicht mehr nüchtern nachdenken, als ich Bernd begegnet bin. Unsere erste Begegnung war ein Zufall. Ich hatte meinem Mann ein paar Unterlagen bringen müssen, die er nach seinen Überstunden am heimischen PC zuhause vergessen hatte. Im Foyer der Firma stand ich vor dem Aufzug, als sich neben mich ein Mann stellte, den ich nicht kannte. Mein Mann ist noch nicht so lange bei dieser Firma, und da selbst bei Firmenfeiern die Angehörigen ganz ausdrücklich nicht teilnehmen, er auch noch keine engen Freunde im neuen Job gewonnen hat, kannte ich sozusagen überhaupt niemanden dort. Deshalb grüßte ich freundlich, aber unbeteiligt. Der Aufzug kam, die Tür ging auf – und ich hatte wohl zu sehr in der Mitte gestanden, jedenfalls prallte ein Mitarbeiter, ein großer, bulliger Mann, der viel zu schnell herausgeschossen kam, direkt gegen mich, rempelte mich mit voller Kraft an und schubste mich dabei voll gegen den Mann, der mit mir zusammen auf den Aufzug gewartet hatte. Der war immerhin geistesgegenwärtig genug, mich aufzufangen, aber der Wucht des überraschenden Aufpralls war er dann doch nicht gewachsen; er taumelte selbst, und so konnte er mich nicht retten, ich stürzte halb zu Boden. Dabei schlug ich mir das Knie auf. Der unverschämte Rüpel, der an allem schuld war, ging einfach seiner Wege, ohne sich auch nur umzusehen, aber der Mann war furchtbar erschrocken und entschuldigte sich mehrfach, dass er meinen Sturz nicht hatte verhindern können. Auch wenn ich ihm jedes Mal erklärte, er hätte nun wirklich keinen Grund, sich zu entschuldigen.