Karl stand, schon im Mantel, bei seiner Sekretärin, klärte noch etwas ab, als ich in seiner Firma auftauchte; hochrot und abgehetzt, damit ich auch ja nicht zu spät kam. Er freute sich sichtlich, mich zu sehen, strahlte mich an. Mir wurde ganz warm. Vor allem, wenn ich daran dachte, wohin wir gleich gehen würden – in einen Sexshop, um uns ein paar Spielzeuge zu besorgen … Er kam zu mir, fasste mich um die Schulter und zog mich an sich. Eng genug, dass ich seine Härte spüren konnte. Auch ihn schien die Aussicht auf den Einkauf zu erregen.
„Wir müssen los„, murmelte er, „sonst falle ich vor der gesamten Belegschaft über dich her!“ Sofort kam ich mir noch eine ganze Ecke schöner und begehrenswerter vor. Ich war in bester Stimmung. Und wusste nicht, wie schnell das umschlagen sollte. Der Laden, zu dem Karl mich führte, ist ziemlich weit außerhalb der Stadt. Kein 08/15-Shop, natürlich, mit Billigsexartikeln nach dem Motto schlechte Qualität für immer noch zu viel Geld. Sondern eine regelrechte Werkstatt, in der viele Sachen aus Leder und Latex handgefertigt werden. In mehreren Vitrinen kann man einige Teile bewundern, sich auch für Sonderanfertigungen inspirieren lassen. Ansonsten gibt es nur das Edelste vom Edelsten. So ganz wohl fühlte ich mich dort nicht; irgendwie kam ich mir fehl am Platz vor. Ich war noch nie ein Luxusweibchen. In dem Shop hätte mein Zweiteiler aus Leder, Hose und Bolero, sicher mehr als das Doppelte gekostet, ohne wirklich besser zu sein. „Wo hast du eigentlich den Anzug her?„, fragte mich Karl und strich dabei über meine geschnürte Rückseite. „Genau so etwas habe ich mir für dich nämlich auch schon vorgestellt und wollte eigentlich gleich heute noch mit dir losziehen, um danach zu suchen.“ Mist – jetzt hatte ich ihm mit meiner Überraschung die seine versaut!
„Jedenfalls gefällt er mir sehr gut„, murmelte Karl und fummelte mit seinen Händen in meinem Schritt herum. Genau in diesem Moment erschien eine elegante, dezent geschminkte Verkäuferin. Die in mir sofort den Eindruck weckte, ich sei hässlich; obwohl ich mich gerade eben noch fantastisch gefühlt hatte. Sie begrüßte Karl mit Namen. Das machte mich schon stutzig. Aber statt misstrauisch zu werden, dachte ich mir einfach, dass er einfach schon einmal da gewesen war, um das Terrain für unseren gemeinsamen Besuch zu sondieren, ich blöde, naive Gans. „Soll es heute etwas für ihre kleine Freundin sein?„, fragte die Dame. Ich hätte der blöden Kuh die Augen auskratzen können! Nicht nur die Wahl des Ausdrucks „kleine Freundin„, so herablassend, so boshaft – ich bin immerhin Karls Frau! – sondern vor allem ihre überheblichen Blicke weckten eine rasende Wut in mir. Vor allem, weil ihre Blicke zu Karl ganz anders waren; da lag eindeutig Begehren in ihren Augen. Die Schnepfe war scharf auf Jan! Nun, das erklärte ihr verhalten mir gegenüber. Nicht dass es meine Wut besänftigt hätte. Demonstrativ legte Karl mir den Arm um die Schultern. „Katja, darf ich dir meine Frau vorstellen?“ Einen winzigen Augenblick lang empfand ich seine Geste als beschützend. Doch irgendetwas störte dieses Bild. Mein Unterbewusstsein hatte zu arbeiten begonnen; und es sagte mir, zwischen diesen beiden war weit mehr, als dass er nur einmal hier in diesem Shop war, um sich alles anzusehen, damit er wusste, er konnte mich hierher führen.
„Clara, das ist Katja„, sagte er nun. „Wir haben uns über das Internet kennengelernt. Ich habe auf ihre Kontaktanzeige geantwortet.“ Ich war sprachlos. Wie vor den Kopf geschlagen. Schockiert. Gelähmt. Kontaktanzeigen? Sexkontakte? Sie hatte eine aufgegeben? Okay, das war ja ihre Sache. Aber Karl hatte darauf geantwortet??? Mit anderen Worten, Karl war unterwegs gewesen auf der Suche nach einer Affäre. Und er hatte keine taktvollere Möglichkeit gefunden, mich darüber in Kenntnis zu setzen als die, mich zu ausgerechnet der Lady zu führen, die er sich für den Seitensprung – einen zukünftigen? Oder war er schon längst fremdgegangen? – ausgesucht hatte. Und ich Riesen-Rindvieh hatte bis zu diesem Moment geglaubt, der Aufschwung in unserem Sexleben sei so eine Art zweiter Frühling gewesen. Das war es ja auch – bloß nicht für uns. Es war einfach nur das passiert, wovon ich schon öfter gehört hatte. Mit dem Fremdgehen oder dem Wunsch zum Fremdgehen war auch Karls Lust auf mich, seine Frau, wieder erwacht. Und spielte es nun wirklich eine Rolle, ob er mich bereits betrogen hatte, oder das erst plante? Klar war, er war nicht frisch in mich verliebt, sondern nur sozusagen als Abfallprodukt seiner anderweitigen Erotikkontakte wieder neu an mir interessiert. Ich riss mich ruckartig von ihm los und stürzte aus dem Laden. Zum Glück waren wir mit meinem Auto gefahren; seines hatte er in der Tiefgarage seiner Firma stehen lassen. Nun, sollte er sehen, wie er dorthin zurück kam. Vielleicht konnte ja Katja ihn fahren – nachdem er sie gevögelt hatte. Ich jedenfalls war jetzt weg. Bye-bye.
Etwa 20 Minuten später war ich wieder in Peters Laden, neben dem er auch seine private Wohnung hat. Ich wollte mich aussprechen, ausheulen, ich wollte toben und schreien und schimpfen und in Gedanken einen Mord begehen, mir eine Voodoo Puppe von Karl machen, dann gleich noch eine von Katja mit dazu, und dann konnten sie sich mit Hilfe von pieksigen Nadeln vereinigen … Mein bester Freund Peter war der einzige, von dem ich in dieser Situation Hilfe und Trost erwarten konnte. Ich konnte nur hoffen, dass er und Conrad nicht ausgegangen waren. Oder vielmehr, am liebsten wäre es mir gewesen, wenn Conrad unterwegs wäre und nur Peter da. Statt dessen war es genau umgekehrt. Peters Leder Laden hatte schon geschlossen, aber als ich bei ihm privat klingelte, wurde mir geöffnet. Nur dass mich an der Wohnungstür nicht Peter empfing, sondern Conrad. Mit den letzten Resten meiner Selbstbeherrschung – ja, bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich es geschafft, die Tränen zu unterdrücken, die in mir aufsteigen wollten – fragte ich nach Peter, brach aber bereits in Tränen aus, bevor ich den Satz vollenden konnte. Einen Moment lang betrachtete Conrad mich skeptisch. Ich war bereit, meine ganze Wut über Karl und Katja – wie passend, bei diesem Fremdgehen gab es sogar eine Alliteration … – an ihm auszulassen, wenn er jetzt eine blöde Bemerkung machte. Doch er verzichtete darauf, und anders als sonst meistens schien er mich auf einmal auch richtig wahrzunehmen, statt mich wie üblich zu übersehen. „Komm rein„, sagte er. „Peter ist nicht da, aber so lasse ich dich nicht wieder weg.“ Oho, welche Besorgnis um eine bloße Frau, dachte ich sarkastisch und heulte schon wieder.