Ich weiß – man darf seiner besten Freundin den Freund nicht klauen. Ich hatte es auch gar nicht vor. Normalerweise halte ich mich an diese Regel, dass die Partner der Freundinnen tabu sind. Ganz gewiss habe ich auch nichts getan, um diesen Seitensprung herbeizuführen. Ich bin sozusagen überwältigt worden … Und wenn man es ganz genau nimmt, ist meine Freundin selbst daran schuld, dass es passiert ist. Ihre Eifersucht hat nämlich die Ursache dafür gesetzt. Eine zunächst unbegründete Eifersucht, die anschließend dazu geführt hat, dass es sehr wohl einen Grund für sie gibt, eifersüchtig zu sein.
Es war nämlich so, meine Freundin und ich, wir sind in Köln aufgewachsen, oder vielmehr in einer kleinen Stadt bei Köln. Später habe ich dann eine Stelle in Frankfurt bekommen und bin umgezogen. Gesehen haben wir uns weiterhin, nur eben nicht mehr täglich. Per Mail und Telefon standen wir aber noch in gutem Kontakt. So habe ich auch mitbekommen, dass sie einen neuen Freund hatte. Sie hat mir stundenlang von ihm vorgeschwärmt. Gesehen hatte ich ihn allerdings noch nicht. Eines Tages rief sie mich dann an und meinte, ich müsse ihr ganz dringend einen Gefallen tun. Ihr Freund musste für einen Monat nach Frankfurt, wegen irgendeinem internen Austausch zwischen seiner Firma und einer, die in Frankfurt ansässig war, und sie hatte Angst, er würde während dieser Zeit fremdgehen. Ich weiß noch, dass ich ziemlich verwundert war und sie gefragt habe, wie sie denn auf die Idee kommt. Sie meinte nur, er würde halt ziemlich gut aussehen und sei so ein typischer Frauentyp, auf den alle Frauen fliegen. Innerlich habe ich in mich hinein gegrinst; ich hielt das für eine typische, aus Besitzerstolz geborene Übertreibung. So schön kann gar kein Mann sein, dass alle Frauen verrückt nach ihm sind …
Außerdem musste das ja auch noch lange nicht heißen, dass er sich darauf einließ! Aber Silke machte sich ernsthafte Sorgen, und sie bat mich, ein bisschen ein Auge auf Rainer zu haben – so heißt ihr Freund -, damit er keinen Unsinn anstellte. Das fand ich ziemlich albern. Ein Auge auf ihn haben – damit meinte sie doch, ich sollte ihm hinterher spionieren und schauen, dass er keine fremden Frauen anbaggert und mit ihnen kein Verhältnis hat. Einmal abgesehen davon, dass sich das sowieso nicht würde machen lassen – ich hatte ja meinen Job und höchstens abends und am Wochenende frei, ich konnte Rainer also gar nicht überwachen, selbst wenn ich es gewollt hätte – nahm ich es ihr übel, dass sie mich in so eine schiefe Position brachte. Sie schlug nämlich vor, ich sollte ihn, sobald er in Frankfurt war, einfach mal anrufen und ihm anbieten, ihm die Stadt zu zeigen. Aus reiner Sorge; so wie Bekannte sich eben untereinander helfen, selbst wenn die Bekanntschaft nur über einen Dritten zustande kommt. Ich sollte also die hilfsbereite Freundin der Freundin spielen – und in Wirklichkeit deren Wachhund sein. Das gefiel mir überhaupt nicht, diese Heuchelei.
Sie aber bestand darauf, und ich wollte sie ja nun auch nicht enttäuschen. Außerdem war ich vor allem durch diese Schilderung, dass er einfach so ein gut aussehender Typ sei, so richtig neugierig auf Rainer geworden. Schließlich dachte ich mir, es könne ja nichts schaden, wenn ich diesen Rainer einfach mal anrufe und wir uns abends auf ein Bier oder ins Kino verabreden. Den Spion musste ich ja trotzdem nicht machen, aber dann konnte ich ihn kennenlernen, ihm vielleicht sogar tatsächlich den einen oder anderen Tipp geben, denn in Frankfurt fühlte ich mich ja inzwischen längst richtig zu Hause und kannte mich gut aus, und ganz nebenbei auch noch Silke beruhigen. Ich musste Rainer dann aber gar nicht mehr anrufen, denn er meldete sich selbst bei mir, da war er gerade angekommen in der Pension, wo die Firma ihn untergebracht hatte. Es war schon später Nachmittag, und er erklärte mir, Silke hätte ihm gesagt, er solle sich unbedingt bei mir melden, und ob ich nicht Lust hätte, mit ihm essen zu gehen. Am Telefon klang er sehr sympathisch, ich hatte sowieso keine Lust mehr zum Arbeiten, und deshalb sagte ich zu. Für Punkt sechs waren wir in einem Lokal bei ihm ganz in der Nähe verabredet, das ich kannte und zu dem ich ihm den Weg ohne große Schwierigkeiten beschreiben konnte. Erst als wir wieder aufgelegt hatten fiel mir ein, dass ich ja ganz vergessen hatte zu fragen, wie er denn jetzt aussieht. Er konnte ein schlanker Schwarzhaariger ebenso sein wie ein blonder Moppel; ich hatte keine Ahnung. Wenn Frauen über Männer reden, lassen sie sich zwar auch mal über seine muskulösen Beine oder seinen süßen knackigen Hintern aus, aber so eine richtige Personenbeschreibung bekommt man dabei meistens nicht. Ich konnte diesen Rainer ja schlecht bitten, sich mal eben die Hose herunterzuziehen und mir zu zeigen, ob er wirklich ein Grübchen über den Pobacken besaß, wie Silke es mir beschrieben hatte. Das war das einzige, was ich über seine physischen Merkmale hätte sagen können. Kurz überlegte ich, ob ich vielleicht Silke noch mal anrufen sollte, um mir eine Beschreibung von Rainer geben zu lassen. Das war mir dann aber doch zu blöde. Ich ging einfach davon aus, wir würden uns schon finden. Silke entging ich allerdings trotzdem nicht; sie rief mich noch im Büro an, weil Rainer ihr gesagt hatte, er würde sich später mit mir treffen. Sie gab mir noch einmal dutzendweise die Ratschläge, was ich ihn alles fragen und worauf ich achten sollte, und ganz nebenbei erhielt ich auch eine sehr ausführliche, von Schwärmerei angefüllte Beschreibung seiner Person. Etwa 1,80 groß, kurze, dunkle Haare, blaue Augen, einen Dreitagebart – etwas, was ich normalerweise überhaupt nicht ausstehen kann -, und insgesamt, so erklärte sie mir, wirke er wirklich wie ein kleiner Junge. Okay, dann war ich ja ausreichend vorbereitet.
Als ich mich dem Lokal mit Biergarten näherte, hielt ich schon von Weitem Ausschau nach den anderen Gästen. Da saß aber kein Solo Herr an einem Tisch, auf den Silkes Beschreibung gepasst hätte. Vor dem Eingang zum Lokal allerdings lehnte ein Typ an einem Straßenbaum, der meine Blicke wie magisch anzog. Rainer konnte der allerdings nicht sein, denn er hatte Haare, die ihm in der leichten Brise immer ins Gesicht flogen; was ich ja nun mal nicht kurze Haare nenne. Außerdem waren die nicht dunkel, sondern, wenn überhaupt, dann dunkelblond, ein ziemlich helles Braun. Ansonsten war er absolut glatt rasiert – was mir sehr gefiel; wie gesagt, ich mag keinen Dreitagebart – und darüber hinaus war er garantiert keine 1,80, sondern diverse Zentimeter darunter, so schätzte ich; und das bewahrheitete sich auch, als ich dann direkt neben ihm angekommen war. Ich selbst bin 1,78, also recht groß für eine Frau, und er war höchstens meine Größe. Höchstens; eher ein, zwei Zentimeter kleiner.