Das Osterferien beim Vater meines Freundes – das war nun nicht so unbedingt das, was ich mir unter einer netten Feier vorgestellt hatte. Ich kannte seine Vater zwar vorher nicht, aber irgendwie hatte ich halt gehofft, wir bleiben ein paar Tage gemütlich bei mir in meiner kleinen, aber feinen Studentenbude (die ich für mich hatte, weil die andere Studentin, meine Mitbewohnerin, über Ostern nachhause fuhr), kochen etwas, schauen fern, und ansonsten haben wir endlich einmal so viel Sex, wie wir wollen. In einer normalen Arbeitswoche als Student – wir studieren beide Betriebswirtschaft, mein Freund und ich – kommt man dazu ja nie, und an den Wochenenden gibt es noch so viele andere Dinge, die man unbedingt machen muss oder machen will, vom Lernen für Klausuren und Hausarbeiten einmal ganz abgesehen, da reicht es meistens auch nicht für stundenlangen hemmungslosen Sex.
Aber Bernd, mein Freund, meinte, wir könnten seinen Vater einfach nicht alleine lassen an so einem Feiertag wie Ostern. Seine Frau, Bernds Mutter, hatte ihn einige Jahre vorher wegen eines anderen Mannes verlassen. Das muss ein ganz schöner Schock für Bernds Vater gewesen sein, mit fast 50, nach über 20 Jahren Ehe, auf einmal als Single da zu stehen. Das konnte ich ja verstehen. Aber eine 19-jährige junge Studentin und ein 50-jähriger Mann – das ist nicht unbedingt die Kombination, die ich mir als wahnsinnig spritzig vorstelle. Die Belastung, der wir Studenten und Studentinnen unterworfen sind, wird ja oft unterschätzt. Wir arbeiten mindestens so viel wie ein normaler Angestellter, und außerdem haben wir eben auch keinen Feierabend, wenn wir von der Uni kommen, aus den Vorlesungen und Seminaren, denn es gibt immer noch jede Menge zu lernen und zu arbeiten. Da ist es doch kein Wunder, dass man als Studentin ab und zu einfach mal seinen Spaß haben will. Bei Bernd war das etwas anderes. Erstens gehört er sowieso zu den wenigen Studenten, die eigentlich nur das Studium und ihre Arbeit kennen – ein Wunder, dass wir beide es überhaupt bis zu einer Beziehung gebracht haben! -, die man so gemeinhin als Streber bezeichnet, und zweitens ging es ja nun um seinen Vater. Kein Wunder, dass er sich da in der Pflicht sah. Nur, was hatte ich damit zu tun, außer dass ich nun einmal seine Freundin war? Okay, aber ich wollte ihn ja nun über Ostern nicht alleine lassen, und so kam ich eben einfach mit. Etwas, wovon ich heute, nach diesem Osterwochenende, nicht so ganz weiß, ob ich es bedauern oder mich darüber freuen soll … Es ist nämlich über Ostern etwas passiert, womit ich nie gerechnet hätte, und was mein gesamtes Liebesleben ins Chaos gestürzt hat. Wollt ihr wissen, was es war? Okay, ich werde es euch einfach mal erzählen. Vielleicht lichtet sich dann auch das Chaos in meinem Kopf ein bisschen und ich weiß, was ich jetzt machen soll!
Losgefahren sind wir am Ostersonntag. Sein Vater wohnt gar nicht weit von der Uni-Stadt weg und war auch, bis seine Frau ihn verlassen hat, einer der Professoren hier (was Bernd in einigen Punkten sehr geholfen hat). Danach ist er dann aber freiwillig ausgeschieden und schreibt jetzt nur noch ab und zu Bücher und Aufsätze. Seinen Namen kannte ich sogar, und zwar sogar bevor ich von Bernd erfuhr, dass er sein Vater ist. Als wir eintrafen, war das Haus erst einmal leer. Das fand ich schon ziemlich komisch, denn er wusste doch, dass wir kamen! Irgendwie hatte ich es mir vorgestellt, da kommt so ein ergrauter, geistesabwesender Professor mit Cordhose und Tweedjacke mit Lederflicken an den Ellbogen an die Haustür, gibt uns kurz die Hand und geht dann gleich wieder an seine Bücher zurück, überlässt uns im wesentlichen uns selbst. Stattdessen standen wir jetzt hier herum wie bestellt und nicht abgeholt. Allerdings zum Glück nicht sehr lange. Bernd hatte es gerade geschafft, mir im ersten Stock sein Zimmer zu zeigen und das Gästezimmer, wo ich schlafen sollte, da hörten wir bereits die Haustür gehen, und eine sehr tiefe, sonore Männerstimme rief durchs Haus: „Ich bin zurück!“ „Wir sind hier oben!„, rief Bernd zurück, und schon hörte ich Schritte auf der Treppe und ging neugierig nach draußen. Denn diese Schritte klangen keineswegs wie die gesetzten Tritte eines reifen Professors, sondern eher wie das ungeduldige Stürmen eines jungen Mannes.
Tatsächlich nahm Bernds Vater zwei Stufen auf einmal. Das war aber nicht die einzige Überraschung, die er mir schon bei seinem ersten Anblick bot. Er sah auch überhaupt nicht aus wie ein Professor, und nicht einmal wie ein reifer Mann. Windzerzauste schwarze Haare mit nur ein klein wenig Grau umgaben ein scharf geschnittenes Gesicht mit vollen roten Lippen und blauen Augen, er war nicht sehr groß, aber schlank und eindeutig sportlich, und er trug keinen Tweed, sondern Jeans und ein Kapuzenshirt unserer Uni. Hätte ich es nicht gewusst, dass er Bernds Vater ist, ich hätte ihn für seinen wenn auch erheblich älteren Bruder gehalten. Auch sein ganzes Auftreten sprach allen Vorurteilen, die man so gemeinhin Professoren gegenüber hat, wirklich Hohn. Auf mich kam er zu, beide Arme ausgebreitet, murmelte mit einem charmanten Lächeln: „Sie müssen Mona sein„, umarmte mich und gab mir ein Küsschen links auf die Wange und eines rechts auf die Wange. Dann drückte er mir einen kleinen Strauß Frühlingsblumen in die Hand. „Den habe ich gerade noch extra für Sie besorgt!„, erklärte er mit einem Augenzwinkern. „Junge Frauen muss man verwöhnen!“
Ich war gerührt, und ich war total verlegen und durcheinander. Zum einen, weil er eben so ganz anders war, als ich ihn mir vorgestellt hatte – von einem trauernden alten Mann, der sein Single Dasein verflucht, hatte er ebenso wenig wie von einem Professor; und zum anderen, weil ich mich sofort sehr zu ihm hingezogen fühlte. Er hatte Bernds gutes Aussehen – einer der Gründe, warum ich mich in Bernd verliebt hatte, das muss ich offen zugeben, denn auch Frauen schauen halt aufs Äußere -, aber ohne seine geradezu sture Konzentration auf die Arbeit und ohne seine manchmal schon etwas abschreckende Ernsthaftigkeit. Mit anderen Worten, er war ein äußerst anziehender Mann, und dass er mehr als 30 Jahre älter war als ich mit meinen 19 Jahren, das merkte man wirklich nicht. Vor allem tat er etwas, was Bernd nicht im Traum einfallen würde – er komplimentierte mich zu meinem gelben Sommerkleid, er zeigte Aufmerksamkeit, er konzentrierte sich auf mich. Bei ihm hatte ich von Anfang an das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. So besonders, dass er seinen eigenen Sohn darüber fast ein wenig vernachlässigte … Bernd begrüßte er im Vergleich zu der Überschwänglichkeit, die er bei mir an den Tag gelegt hatte, fast ein wenig kühl. Wenig später saßen wir zum Kaffeetrinken zusammen, wobei Bernds Vater den Kaffee gekocht und den Tisch gedeckt hatte.