Ich kann Steuerberater nicht ausstehen. Wer kann das schon? Obwohl man sie ja eigentlich lieben müsste, diese Menschen, die uns den Umgang mit dem Finanzamt vereinfachen und uns Steuern sparen; dafür aber natürlich gleich auch wieder ordentlich abkassieren. Manchmal allerdings hat man mit einem Steuerberater nicht nur wegen des lästigen Finanzamts-Bürokratiekrams zu tun, und dann kann es, wie ich gemerkt habe, sogar überaus angenehm werden. Auch wenn es anfangs überhaupt nicht danach aussieht … Nicht dass ich selbst jetzt unbedingt einen Steuerberater bräuchte; meine Steuererklärung kriege ich gerade noch alleine hin, mit Hilfe einer entsprechenden Software für die Steuererklärung.
Aber mein Chef hat nun einmal eine GmbH, und eine GmbH braucht unbedingt einen Steuerberater. Bloß ist mein Chef natürlich viel zu bequem, um das mit dem Steuerberater alles selbst zu regeln, und da ich in der Firma ohnehin die Buchhaltung mache – wobei das zum Glück nicht mein Hauptaufgabenbereich ist; das erledige ich nur so nebenher mit – bin ich diejenige, die ständig zum Steuerberater rennen muss. Das habe ich auch immer brav gemacht, und eigentlich habe ich mich mit unserem alten Steuerberater recht gut verstanden. Doch dann hörte der plötzlich auf, hat seine Kanzlei verkauft und die Mandanten vor die Wahl gestellt, entweder bei seinem Nachfolger zu bleiben oder sich einen neuen Steuerberater zu suchen. Schon aus reiner Bequemlichkeit ist mein Chef in der Kanzlei beim Nachfolger geblieben, und ich war eigentlich ganz froh darüber, denn wenn man einen neuen Steuerberater hätte suchen müssen wäre die Arbeit ja natürlich an mir hängen geblieben. Ich sagte eigentlich; und meine Freude verflüchtigte sich auch sehr schnell, als ich das erste Mal mit dem „Neuen“ zu tun hatte. Wobei sie dann ebenso schnell zurückkehrte, aber auf eine ganz andere Art. Und das kam so:
Mein Chef hatte eine steuerrechtliche Frage in Zusammenhang mit einem Geschäft, das er gerade dabei war abzuschließen. Wie gehabt, gab er mir den Auftrag, die Sache mit dem neuen Steuerberater abzuklären und versprach, mir die nötigen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Obwohl er die Sache genauso gut per Mail, Fax und Telefon hätte selbst klären können. Aber gegen die Anweisungen seines Chefs wehrt man sich, man stellt sie auch nicht in Frage, sondern man führt sie aus. Weil es sehr eilig war, drängte ich in der Kanzlei auf einen baldigen Termin. Die Sekretärin oder Steuerfachgehilfin oder was weiß ich was das für eine Jobbezeichnung sein muss, die sie sich anhängt – es war noch die alte Angestellte, mit der ich ein paar Male aneinandergeraten war – stellte sich wie üblich quer. Bisher hatte ich mir das meistens gefallen lassen, aber mein Chef hatte alles wirklich sehr dringend gemacht. Obwohl mir das gar nicht entspricht, denn normalerweise bin ich wirklich extrem umgänglich und nachgiebig, habe ich dann aber doch sozusagen auf den Tisch gehauen und den Termin mit der Drohung verlangt, dass wir uns sonst eine neue Steuerkanzlei suchen.
Okay, ich gebe zu, das war eine astreine Erpressung – aber etwas anderes hätte bei der hartleibigen Lady auch nicht geholfen. So jedoch bekam ich dann doch meinen Termin nur zwei Tage später. Ich hatte meinen Teil also erst mal erledigt – aber mein Chef, schlampig wie immer, ließ mich natürlich prompt im Stich. Als ich Freitag morgens um halb zehn für den Termin mit dem Steuerberater aufbrechen musste, hatte ich noch immer nicht die Unterlagen in der Hand und auch sonst nicht die geringste Ahnung, worum es nun eigentlich ging, was ich den Steuerberater also fragen sollte. Kurz überlegte ich, es mir einfach zu machen und den Termin telefonisch wieder abzusagen. Aber diese Blöße wollte ich mir vor dem Steuer-Drachen dann doch nicht geben. Außerdem wäre das ja genaugenommen noch unhöflicher gewesen als den Termin wahrzunehmen und dann zu gestehen, dass er eigentlich überflüssig war. Da konnte man dann wenigstens sehen, dass ich auch eine gewisse Mühe auf mich nahm. Vielleicht stimmte das den Steuerberater gnädig. Also setzte ich mich ins Auto und fuhr hin. Mit jedem Meter, den meine abgefahrenen Winterreifen hinter sich brachten, wurden mein Herz schwerer und meine Laune schlechter. Außerdem schien sich irgendwo in meinem Magen ein ekliger Bleiklumpen anzusiedeln. Ich wäre lieber für eine Wurzelbehandlung zum Zahnarzt gefahren, und das will wirklich schon was heißen.
Zum Glück bekam ich die Sekretärin nicht zu Gesicht, denn die war wohl nicht da, und der neue Steuerberater war dann eigentlich doch ganz nett – bis ich ihm gegenüber saß und mit knallrotem Gesicht gestehen musste, dass ich ihn umsonst behelligte, weil ich die Unterlagen nicht dabei hatte. Am liebsten hätte ich mich gleich damit verteidigt, dass mein Chef an allem schuld war, aber als Angestellte darf man den eigenen Chef natürlich nicht verpetzen. Da hält man schön brav den Mund. Deshalb sah das auch noch so aus, als sei die Schlamperei vollends auf meinem eigenen Mist gewachsen. Der „Neue“ sah mich streng an – und mir wurde unter seinem Blick ganz anders. Obwohl er wirklich nur ein paar Jahre älter ist als ich kam ich mir vor wie ein Schulmädchen, das vom Lehrer gerügt wird. Ich hätte im Erdboden versinken mögen, nur leider tat sich kein Mauseloch auf, in dem ich hätte verschwinden können. Wie ein gerösteter Wurm wand ich mich unter seinem Blick, der nicht enden wollte. Fast wäre es mir lieber gewesen, er hätte einen Brüller vom Stapel gelassen. Damit hätte ich umgehen können; mit den stummen Vorwürfen konnte ich es nicht.