Ich muss sagen, ich fühlte mich auf einmal etwas unbehaglich. Und das hatte zwei Gründe. Oder genauer gesagt hatte es einen einzigen Grund, und er steckte in dem kleinen Raum neben dem Arbeitszimmer meines Kollegen. Ich muss jetzt nur etwas weiter ausholen, damit ihr es auch versteht, wieso ich überhaupt in diesem Arbeitszimmer war und was es mit dem Raum daneben denn nun so alles auf sich hatte. Also das ist so, ich arbeite eng mit einem Kollegen zusammen, der allerdings nicht nur für uns arbeitet, sondern auch noch für eine andere Firma. Deshalb hat er es bei beiden Arbeitgebern durchgesetzt, dass er vorwiegend von zuhause ausarbeiten kann, im Home Office sozusagen.
Normalerweise klappt das auch sehr gut. Wenn etwas außerhalb des gemeinsamen Wochenmeetings zu besprechen ist, schicken wir uns Mails oder ich rufe ihn an. Manchmal allerdings gibt es Dinge, die per Mail oder Telefon einfach nicht zu regeln sind. Normalerweise bestellt unser Chef meinen Kollegen dann zu uns in die Firma. Dies vor allem dann, wenn etwas zu besprechen ist, was mehrere andere Kollegen angeht. In diesem Fall, dem ich jetzt meine, ging es allerdings allein um mich. Wir mussten gemeinsam eine Präsentation für einen Kunden vorbereiten. Das war vorwiegend meine Arbeit, aber für ein paar Dinge dabei brauchte ich unbedingt den Kollegen. Rein theoretisch hätte ich das schon so machen können, dass ich mich an meine Software setzte und das schon einmal eintippte, was ich wusste, und dann wegen der Fakten, die mir unbekannt waren – da war der unter anderem eine Bedarfsanalyse mit Statistiken einzufügen – meinen Kolleginnen per Mail oder Telefon kontaktierte. Das kam mir allerdings dann doch etwas mühsam vor, denn es waren jede menge zahlen, für die ich ihn brauchte. Ich hätte ja schließlich wegen jeder kleinen Zahl extra nachfragen müssen, oder aber bei einem Telefonat oder in eine Mail ein riesig lange Liste abarbeiten. Ich dachte mir einfach, es sei viel geschickter, wenn ich die Präsentation in seiner Gegenwart erstellte und er mir die richtigen Zahlen dann jeweils gleich passend sagen konnte.
Allerdings stellte es sich heraus, dass er an diesem Tag nicht in die Firma kommen konnte, weil er in seinem Haus Handwerker erwartete. Ich dachte noch bei mir, wie seltsam, dass er sich selbst um die Handwerker kümmern muss. Schließlich ist mein Kollege verheiratet, und seine Frau ist Hausfrau und arbeitet nicht. Der hätte ja ebenso gut seine Frau den Handwerkern die Tür aufmachen können. Nebenbei erwähnte er jedoch, dass seine Frau für drei Tage auf einem Städte Trip war. Die hat es gut, dachte ich bei mir, das weiß ich noch ganz genau. O gut hätte ich es auch gerne – einen mann an meiner Seite (ich bin Single), der das Geld verdient, und ich treibe mich in der Weltgeschichte herum! Jedenfalls erklärte ich mich unter diesen Umständen dazu bereit, ihn bei sich zuhause zu besuchen, damit wir dort die Präsentation fertig stellen konnte. Recht war mir das zwar nicht; schließlich musste ich dafür durch die halbe Stadt fahren, und man kennt das ja, den ganzen Verkehr, und dann noch mühsam einen Parkplatz suchen und so weiter. Das würde mich weit mehr Zeit kosten, als wenn er schnell in die Firma käme. Aber was tut man nicht alles für einen netten Kollegen! Ich setzte mich also ins Auto und fuhr zu ihm. Er öffnete mir die Tür und führte mich in sein Arbeitszimmer. Damit sind wir schon einmal beim ersten Grund für die Peinlichkeit angekommen, die ich vorhin erwähnt habe; meine Anwesenheit in seinem Arbeitszimmer. Er hatte aber noch nicht einmal das Programm aufgerufen, mit dem wir die Präsentation erstellen wollten, da klingelte es an der Tür. Natürlich musste er hin, denn es waren die erwarteten Handwerker. In der Zwischenzeit saß ich nun alleine in seinem Arbeitszimmer vor seinem Computer. Machen konnte ich noch nichts, denn schließlich war es ein fremder Computer. Ich kannte mich dort nicht aus und hatte auch Angst, etwas kaputt zu machen, wenn ich da einfach munter drauflos klickte. Deshalb wollte ich zunächst einmal abwarten.
Dabei wurde es mir aber natürlich sehr schnell langweilig. Ich sah mich ein wenig im Zimmer um und entdeckte dabei eine halb offen stehende Tür, die nicht die Tür zum Flur war, durch die ich vorhin hereingekommen war. Diese Tür weckte natürlich meine totale Neugier. Zuerst konnte ich mich noch beherrschen; schließlich gehört es sich ja nun nicht, dass man in fremden Wohnungen einfach so herum läuft und auf Entdeckungsreise geht. Die Besprechung mit den Handwerkern dauerte jedoch so lange, dass meine Selbstbeherrschung mich am Ende nicht mehr zurückhalten konnte. Ich stand auf und begab mich, ganz leise auf Zehenspitzen, zu dieser Tür. Neugierig blickte ich hinein. Mein Pech war nur, dass in diesem Raum neben dem Arbeitszimmer überhaupt nichts zu sehen war. Das Zimmer war nämlich komplett dunkel. Offensichtlich gab es dort kein Fenster. Wenn ich also wissen wollte, was sich in diesem Zimmer befand, wusste ich wohl oder übel einen Lichtschalter suchen. Noch einmal horchte ich nach draußen, konnte aber immer noch meinen Kollegen mit den Handwerkern sprechen hören. Nur mal schnell gucken, sagte ich mir selbst und tastete mit der Hand an der Wand neben der Tür nach dem Lichtschalter. Den ich dort auch tatsächlich sofort fand. Ich knipste das Licht an, blickte mich um – und erstarrte. Der Raum war tatsächlich fensterlos. Viel befand sich nicht darin; aber das, was ich dort zu sehen bekam, das fand ich ja nun wirklich höchst interessant! An der einen Wand rechts von mir stand eine Liege. Das war nun aber keine Liege, wie man sie erwarten würde in einem Gästezimmer oder im Nebenzimmer eines Büros für einen kurzen Mittagsschlaf oder so etwas; es war kein Bett, sondern es war eine Untersuchungsliege, wie ich sie aus dem Krankenhaus kannte. Daneben standen ein paar Schränke, die mich ebenfalls ein Arzt und Krankenhaus erinnerten; spiegelnd glattes Chrom und weiße Milchglasscheiben. Sofort fragte ich mich, was wohl in diesen Schränken drin wäre.
Und dann fiel mein Blick auf das Gerät in der linken Ecke. Und da sperrte ich nun doch vor Staunen meinen Mund weit auf. Das war nämlich ein echter Gynäkologen Stuhl, wie auch mein Frauenarzt ihn in seiner Praxis hat. Bloß, was bitte macht ein Gynäkologen Stuhl in oder meinetwegen auch neben einem Büro? Unsere Firma vertreibt nicht etwa Bedarf für Frauenärzte und Gynäkologen; dann wäre das Ganze ja noch erklärbar gewesen. Nein, wir hatten mit solch medizinischen Geräten überhaupt nichts zu tun. Meines Wissens war mein Kollege auch kein Frauenarzt; er hatte mir einmal erzählt, dass er nach seinem Informatikstudium sofort bei uns in der Firma angefangen hatte. Angesichts seines Alters – er ist gerade mal erst 30 – schien es mir kaum vorstellbar, dass er vorher Medizin studiert haben sollte. Außerdem, warum sollte ein ausgebildeter Frauenarzt in einer Computerfirma arbeiten? Im Zweifel kann er als Gynäkologe doch sehr viel mehr Geld verdienen. Das passte also alles hinten und vorne nicht zusammen. Ich grübelte darüber nach, was ich denn jetzt aus dieser Einrichtung wie im Behandlungszimmer eines Frauenarztes machen sollte. Da hörte ich draußen im Flur vor dem Arbeitszimmer Schritte. Schnell gelang es mir, das Licht wieder auszuknipsen, und ich huschte in Windeseile wieder zurück an den Schreibtisch. Mann, war mir das vielleicht peinlich! Ich war total verlegen. Dabei war es ebenso peinlich, heimlich irgendwo herumgeschnüffelt zu haben, wo ich ganz gewiss nichts zu suchen hatte, wie erfahren zu haben, dass mein Kollege solche seltsamen Dinge in seinem Haus hatte.