Leute, mit denen man nicht direkt selbst über Blutsbande verwandt ist, sondern zu denen lediglich über den eigenen Ehepartner eine Verbindung besteht, mit denen ist man verschwägert. Und in dem Sonderfall, dass die Verbindung gleich um zwei Ecken herum geht, also über den eigenen Ehepartner und die Personen geht, mit denen er selbst nicht verwandt, sondern verschwägert ist, dann haben wir es mit der sogenannten Schwippschwägerschaft zu tun. Für alle diejenigen, die diese Erklärung jetzt zu kompliziert fanden – und dazu gehöre auch ich, denn ich habe beim Schreiben jetzt sogar beinahe selbst den Faden verloren -, will ich es an einem einfachen Beispiel erklären. Der Bruder meines Mannes ist mein Schwager, ebenso wie die Frau meines Bruders meine Schwägerin ist. Die Schwester meines Schwagers aber ist nur meine Schwippschwägerin, ebenso wie die Schwester meiner Schwägerin. In all dem verwandtschaftlichen Kuddelmuddel darf man natürlich nicht vergessen, dass man dabei nicht nur von der älteren Generation umgeben ist, oder genauer gesagt von der eigenen Generation, sondern auch von der jüngeren; Neffen und Nichten. Mein Mann und ich, wir selbst haben keine Kinder. Ich habe nie welche gewollt, und jetzt, wo ich schon eine reife Frau von 43 Jahren bin, also längst über 40, da ist es auch ein bisschen zu spät, noch an eigenen Nachwuchs zu denken. Zwar können Frauen über 40 noch schwanger werden, und es gibt ja auch etliche zum Teil sogar sehr prominente Beispiele, wo reife Frauen über 40 noch Kinder bekommen haben, aber für mich kommt das nicht in Frage. Mein Mann hätte gerne eigene Kinder gehabt, Nun ist das für Männer aber ja auch immer was anderes; die müssen die Kinder weder kriegen, noch sind sie hauptsächlich, zum Teil sogar ausschließlich wie wir Frauen dafür zuständig, die groß zu ziehen. Da lässt es sich gut Kinder wünschen, wenn man die Arbeit nicht hat, die damit verbunden ist! Mir haben die Kinder in der Verwandtschaft und Schwägerschaft immer gereicht. Die haben nämlich einen großen Vorteil – nach einer gewissen Zeit ist man sie automatisch wieder los, weil man sie einfach den Eltern zurückgeben kann. Für kurze Zeit habe ich es sogar gerne gemacht, mich um die Kinder der anderen zu kümmern, mit ihnen Geburtstag zu feiern, in den Zoo zu gehen und so weiter. So war ich immer die unumstrittene Lieblingstante für jede Menge Nichten und Neffen, die ich alle habe aufwachsen sehen. Bei diesen Nichten und Neffen, die ich habe groß werden sehen, fühlte ich natürlich nichts als mütterliche Gefühle. Aber dann kam auf einmal ein neuer „Schwippneffe“ hinzu, und alles änderte sich; wenn auch nicht schlagartig, sondern ganz langsam.
Mein Bruder trennte sich von seiner Frau, meiner Schwägerin, und weit davon entfernt, sich nun eine Jüngere zu suchen, schien er eher auf reife Frauen zu stehen und suchte sich eine Frau, die noch älter war als er, und sogar noch älter als ich, die ich die ältere Schwester meines Bruders bin. Seine neue Freundin – geheiratet haben die beiden bis heute nicht, obwohl inzwischen die Scheidung längst durch ist – ist sogar schon über 50. Und während man sich für reife Frauen ab 40 ja nun noch streiten kann, ob sie wirklich schon alt sind, reife Frauen ab 50 sind auf jeden Fall alt. Diese neue Freundin meines Bruders nun hat einen Sohn, Rudolf, der letztes Jahr 32 geworden ist. Sie hat mit dem Kinderkriegen recht früh angefangen. Wer es so macht, hat den Vorteil, später als reife Frau die Kinder schon aus dem Haus zu haben und sich noch einmal ganz intensiv darauf stürzen zu können, das Leben ohne Kinder zu genießen, denn dieser Sohn war natürlich schon lange selbstständig und stand auf eigenen Füßen. Deshalb dauerte es auch eine ganze Weile, bis ich den endlich kennenlernen durfte. Weil mein Bruder und seine Mutter nicht miteinander verheiratet waren, bestand zwischen uns, wenn man es einmal ganz genau nimmt, überhaupt keine Verbindung; er war nicht mein Neffe, denn er war kein Sohn meines Bruders, und eigentlich war er so noch nicht einmal mein Schwippneffe, solange seine Mutter und mein Bruder die Eheschließung scheuten. Worüber ich auch sehr froh war, denn kaum hatte ich Rudolf kennengelernt, kam es mir so vor, als sei ich auf einer riesigen Rutschbahn unterwegs, die mich unaufhaltsam nach unten trieb, einem unbekannten Ende zu, weit in der Zukunft, ohne dass ich noch irgendetwas tun konnte, um das aufzuhalten. Rudolf ist jetzt nicht unbedingt im eigentlichen Sinne schön; aber er besitzt diese jungenhafte Ausstrahlung, auf die wir Frauen so sehr abfahren, vor allem wir reife Frauen. Es war zum Teil auch seine Jugend – wobei es ja nur im Vergleich zwischen ihm und reifen Damen war, dass er jung wirkte, denn mit über 30 hatte er ansonsten das mittlere Alter schon längst erreicht -, die dafür sorgte, dass er jungenhaft unsicher wirkte, dass er lebendiger und gieriger aufs Leben zu blicken schien als die Männer über 40, die ich kannte. Wenn Rudolfs Blicke auf einem ruhten, dann sah er einen wirklich an, es tat sich etwas in seinen warmen braunen Augen. Bei ihm war es noch wahr, was auf viele schon längst nicht mehr zutrifft, nämlich dass die Augen der Spiegel der Seele sind. Das ließ mich zuerst auf ihn aufmerksam werden. Wir verstanden uns sehr gut, es machte mir Spaß, mit ihm zu reden.