Als reife Frau sollte man sich eigentlich beherrschen können; und als verheiratete Frau sowieso. Doch ich kann es nicht. Über 20 Jahre lang war ich meinem Mann treu, war nie auch nur in Versuchung geführt für einen Seitensprung. Obwohl wir sehr früh geheiratet haben, mit Anfang 20, und schon spätestens mit 30 wussten, das war übereilt, überhastet gewesen; wir waren nicht die richtigen Partner füreinander. Aber dann waren ja die Kinder da, da war der Haushalt, und als Hausfrau und Mutter war ich vollständig ausgelastet. Da war kein Gedanke ans Fremdgehen.
Ich hatte schon ganz stolz in die Zukunft geblickt und mir selbst dazu gratuliert, aus einer schlechten Ehe das Beste gemacht zu haben und meinem Mann treu geblieben zu sein, ohne einen einzigen Seitensprung. Ja, und dann kam die Aufführung „Kabale und Liebe“ in unserer Laienspieltruppe. Oder vielmehr, es kam das, was der Aufführung, der Premiere, vorausging. Ich war schon einige Jahre lang Mitglied bei diesen Amateur Schauspielern, die wenigstens bei uns am Ort mit ihren Theaterstücken immer einen beachtlichen Erfolg hatten. Allerdings war ich keine Schauspielerin; ich kümmerte mich um die Drehbücher und war Regieassistenz. Da unser Regisseur – der einzige unter uns, der wenigstens einen kümmerlichen Hungerlohn erhielt, statt ganz kostenlos zu arbeiten – allerdings des öfteren mal keine Lust hatte zu kommen, war ich insgeheim zum zwar nicht nominellen, aber doch faktischen Regisseur avanciert.
Auch das hatte ich die ganze Zeit gemacht, ohne den Wunsch nach Fremdgehen zu verspüren. Es war einfach kein Mann da, der mich ausreichend fasziniert hätte, meine Treue und meine Ehe dafür aufs Spiel zu setzen. Doch dann geschahen vor einigen Monaten gleich zwei Dinge. Zuerst stieß ein neuer Schauspieler zu uns, und zwar für die Rolle des Ferdinand. Das ist die männliche Hauptperson in dieser Tragödie von Schiller. Wie sich das gehört, ist der Schauspieler für den Ferdinand natürlich ein junger Mann. Ein sehr junger Mann. Er ist gerade mal Mitte 20. Also gerade mal so alt wie meine Ehe. Sein richtiger Name ist übrigens Paul. Ich habe ihn das erste Mal gesehen – und mich auf Anhieb in ihn verliebt. Er ist so attraktiv, und er strahlt ein derartiges Selbstbewusstsein aus, auch und gerade ein erotisches Selbstbewusstsein, das zog mich unwiderstehlich in seinen Bann. Obwohl genau das mich eigentlich hätte abschrecken müssen. Ein junger Mann, halb so alt wie ich, der gut aussieht, der eine gewisse Sinnlichkeit ausstrahlt, und der genau weiß, wie er damit auf Girls und Frauen wirkt – das bedeutete notgedrungen eine gewisse Arroganz. Die Paul tatsächlich an den Tag legte, die mich jedoch überhaupt nicht abschreckte. Schon vom ersten Tag an schmachtete ich diesem hübschen Jüngling hinterher.
Er ging mir nicht mehr aus dem Kopf, ich musste ständig an ihn denken. Ich träumte von ihm, in meinen echten Träumen, wachte dann zitternd, schweißgebadet und mit einem Brennen zwischen den Beinen auf, das ich nur stillen konnte, wenn ich mich selbst befriedigte. Wobei ich selbstverständlich ausschließlich an ihn dachte. Auch wenn ich wach war, träumte ich oft von ihm. Und ich hatte viel Zeit für Tagträume. Die Kinder sind aus dem Haus, als Hausfrau habe ich nicht mehr viel zu tun, meine Hobbys nehmen viel zu wenig Zeit in Anspruch, und einen Job habe ich nach so langer Zeit als Hausfrau bisher noch nicht wieder finden können. Einmal, ganz am Anfang der Proben, hatte mein Mann sogar wieder einmal Lust auf Sex, und wir vögelten. Dabei stellte ich es mir vor, es sei Pauls Schwanz, der mich aufspießte, der mich durchbohrte, und ich bewegte meine Hüften so leidenschaftlich, stöhnte so erregt, dass mein Mann ganz durcheinander war. Er wusste ja nicht, dass dieser Sex praktisch ein Fremdgehen war, ein Seitensprung. Vielmehr bezog er es auf sich, glaubte womöglich, reife Frauen ab 40 würden einfach eine Art sexueller Wiedergeburt erleben und kam in den anschließenden Wochen öfter mal damit an, dass er mich vögeln wollte. Dem habe ich jedoch schnell einen Riegel vorgeschoben.
Übrigens, so sehr ich auch in Paul verliebt war, so sehr es mich auch umtrieb und quälte, dieses ungestillte und unstillbare Verlangen nach mir, dass mir eine ständig nasse Muschi bescherte und einen Geisteszustand wie im konstanten Fieber, bei den Proben merkte das ganz gewiss niemand. Da war ich zu Paul ebenso sachlich, kühl und professionell, wie ich es zu allen anderen war. Genau das schien ihn aber herauszufordern, mich erobern zu wollen. In jeder freien Minute saß er neben mir, er schmeichelte mir, er machte mir Komplimente und versuchte auf alle erdenkliche Weise, meine erotische Aufmerksamkeit zu erwecken. Die er ja, ohne es zu wissen, längst besaß … Der zynische Verstand reifer Frauen sagte mir, dass Paul an mir nur eine einzige Sache faszinierte – die Tatsache, dass ich anders als alle anderen Frauen in der Truppe nicht ganz offensichtlich in ihn verliebt war. Gerade meine Zurückhaltung reizte ihn, und er wollte mich erobern. Ich war mir ziemlich sicher, sobald ich erkennen ließ, wie scharf ich längst auf ihn war, würde jegliche Faszination auf Anhieb verschwinden. Dann war ich für ihn nur noch eine reife Dame, viel zu alt für ihn, und völlig uninteressant.
War es also eine Leistung meines Verstandes, die mich meine scheinbare Kälte beibehalten ließ, damit er das Interesse an mir nicht verlor? Oder waren es die letzten, verzweifelten Reste meiner Selbstbeherrschung, damit ich mich ihm nicht einfach zu Füßen warf und ihn anflehte, mich endlich zu vögeln wie die ganzen jungen Dinger in der Gruppe, die er alle schon zu einem Sexabenteuer verführt hatte, wie sie mir alle nacheinander heimlich gestanden? Ich weiß es nicht. Wie gesagt, ich fühlte mich die ganze Zeit wie im Fieber; ich war nicht mehr ich selbst. Und ich hoffte nur eines, dass die Proben zum Stück bald vorbei waren, ebenso wie die geplanten fünf Aufführungen in unserer Stadt plus die drei in der Nachbarstadt. Dann würde Paul mitsamt der erotischen Versuchung seiner Jugend hoffentlich wieder aus meinem Leben verschwinden. Und wenn nicht, musste ich eben meinen Platz bei den Laienschauspielern aufgeben. Ich war krank, liebeskrank; und wusste, weitere Monate von diesem ebenso unerträglichen wie unerträglich süßen Zustand würde ich bestimmt nicht aushalten. Hätte ich gewusst, wie sehr der erste Funke an Begehren, der mich bereits ganz zu Anfang erfasst hatte, als ich Paul das erste Mal sah, sich zu einem Steppenbrand auswachsen würde, ich hätte die Truppe schon damals verlassen.
Insofern hoffte ich auf die Premiere, nach der die acht Aufführungen zügig folgen würden. Gleichzeitig fürchtete ich sie aber auch, denn die Premiere bedeutete ja auch das Ende meiner Zusammenarbeit mit Paul. Es bedeutete das Ende der Zeit, in der ich ihn am Ende beinahe täglich sehen und betrachten und bewundern, mich in seiner ehrerbietigen Aufmerksamkeit sonnen konnte. Allein das sorgte schon dafür, dass mir übel wurde und ich Depression wie eine schwarze Welle heranrollen sah. Ich war todunglücklich; doch gleichzeitig hätte ich den Zustand, in dem ich mich befand, gegen nichts in der Welt eintauschen mögen. Es war wie die Sucht nach etwas, von dem man weiß, dass es einem schadet, dass es einen kaputt machen wird und von dem man doch nicht loskommt. Ich war völlig durcheinander, auch wenn ich nach außen hin noch immer erstaunlich gut funktionieren konnte. Niemand merkte es mir an, dass er keine vernünftige, abgeklärte, erfahrene reife Frau vor sich hatte, sondern einen bis aufs Mark verliebten Backfisch, der keine Nacht mehr schlafen konnte, dem ständig die Ameisen über den gesamten Körper liefen, und der nur noch an eines denken konnte – an Sex mit dem Gegenstand dieser grenzenlosen Begierde. Ja, ich wollte Sex mit und von Paul. Ich wollte keine Freundschaft mit ihm, ich wollte nicht seine Ersatzmutter und mütterliche Freundin sein, ich wollte seine Geliebte werden. Immerhin war mein Denken noch klar genug mir zu sagen, dass ich das nie sein würde. Und dadurch auch zu verhindern, dass ich irgendeine Dummheit machte, die für reife Frauen noch peinlicher wäre als für junge Girls. Ihm um den Hals fallen, ihn anbetteln, mir eine heiße Nacht zu schenken oder so etwas.
Nach vielen Wochen unerträglicher, feuchter Schwüle in meinen Gedanken und zwischen meinen Beinen geschah dann noch etwas anderes, das mich noch mehr in einen erotischen Strudel – oder einen Abgrund aus Sex? – riss. Unser Regisseur stieg endgültig aus, mitten während der Vorbereitungen auf die Premiere, wo er kaum zu ersetzen gewesen wäre, hätte nicht ohnehin vorwiegend ich mich um alles gekümmert. Alle dachten, dass ich nun endlich auch formell als Regisseur anerkannt werden würde. Um das Geld, das ich damit verdienen könnte, ging es mir nicht. Das war ohnehin nur ein Taschengeld. Aber ich wollte zu guter Letzt die Anerkennung für die Leistung, die ich schon längst fast voll erbrachte. Stattdessen wurde mir von dem Komitee, das für die Finanzierung der Laienspieltruppe verantwortlich war, ein Fremder vor die Nase gesetzt, der nicht einmal aus unserer Stadt stammte, den also niemand von uns kannte und der niemanden von uns kannte, sondern der gerade neu zugezogen war. Ich war so sauer, ich hätte platzen können. Als er – er heißt übrigens Felix – das erste Mal bei uns auftauchte, hatte ich meine liebe Not, die brennende Wut zu unterdrücken, die in mir kochte. Es gelang mir nur, weil ich mir sagte, dass er ja schließlich nichts dafür konnte.
Er kam, stellte sich allen gesammelt vor – wir standen dabei im Kreis um ihn herum -, und dann kam er zu mir, legte mir vertraulich einen Arm um die Schultern. Am liebsten hätte ich ihn zornig abgeschüttelt, doch ich beherrschte mit. Dabei sagte er, er hätte bereits gehört, dass ich ohnehin schon in allem außer im Namen der Regisseur sei. Er schlug vor, dass ich für diese erste Aufführung ihn als Regieassistenz betrachten solle, und dass wir künftige Aufführungen gemeinsam als Partner angehen sollte. Sogar sein karges Gehalt wollte er mir abtreten. Nun, so kostspielig, wie er gekleidet war, zwar lässig, aber auf eine teure Art lässig, konnte er sich diese großzügige Geste durchaus leisten, die ich ohnehin ebenso großzügig ablehnte. Immerhin hatte er mich dadurch im Sturm erobert. Er hatte sich weit fairer verhalten als die Leute, die ihn eingesetzt hatten. Ich spürte ein warmes Gefühl im Bauch. Das wurde noch stärker, als unsere Zusammenarbeit im Laufe der nächsten Wochen immer enger wurde, und immer angenehmer. Felix, schon fast in meinem Alter, oder genauer gesagt „nur“ ein paar Jahre jünger mit seinen Ende 30, wurde auf Anhieb zu einem guten Freund, mit dem es Spaß machte, zusammen zu sein. In dessen Gegenwart ich mich wohlfühlte. Er bildete den beruhigen Gegenpol zu meiner fieberhaften Raserei in Bezug auf Paul, die auch tatsächlich durch Felix‘ Einfluss ein wenig abnahm. Mit einem Nachteil – nun beherrschte nicht nur ein Mann meine Gedanken, sondern jetzt waren es zwei Männer, um die sich bei mir alles drehte.
Dann kam die Premiere. Sie war ein so voller Erfolg, wie wir es gehofft hatten. Es gab „standing ovations„, die „Bravo!“-Rufe wollten gar nicht aufhören, und der Leiter des Komitees holte ganz stolz zuerst die Schauspieler, dann Felix auf die Bühne. Der darauf bestand, dass ich mitkam. Er hatte sogar dafür gesorgt, dass unter „Regie“ auf den Programmheften mein Name mit aufgeführt wurde. Wenn auch hinter seinem; da war das Komitee eisern gewesen. Kaum kamen wir beide von der Bühne wieder herunter, umarmte mich Felix leidenschaftlich. Er presste mich so eng an sich, dass es mir vorkam, als würden unsere beiden Körper miteinander verschmelzen. Wobei es nicht ausblieb, dass ich auf seiner Seite an einer gewissen Stelle zumindest einen sehr deutlichen Verschmelzungswillen bemerkte. Diese Umarmung, das war auch keine Theater-Umarmung, absolut leidenschaftlich und absolut schnell wieder vergessen, sondern sie hielt lange, lange an, und als Felix sich endlich doch von mir löste, weil jemand etwas von mir wollte, flüsterte er mir vorher noch zu: „Komm nachher noch ins Büro, bitte!“ Das „Büro“ ist ein kleines Kabuff neben der großen Plattform in der Stadthalle, in der unsere Aufführungen stattfanden. Eigentlich war es sein Büro, aber auch da hatte er darauf bestanden, dass ich es mit benutzte, um meine Stellung als Partner deutlich zu machen. So, wie seine Stimme geklungen hatte, als er das sagte, verheißungsvoll, heiser, flehend, drängend, bittend, war mir klar, das würde keine nüchterne Abschlussbesprechung sein, was dann in diesem Büro stattfinden würde.
Dabei hatten wir doch Premierenfeier; in einer Stunde war ein großer Tisch gebucht, im besten Restaurant der Stadt. Was auch immer es war, das Felix von mir wollte – wir würden keine Zeit dafür haben. Trotzdem machte ich mich, in verwirrenden Gedanken verloren, auf den Weg ins Büro, nachdem ich noch ein paar Glückwünsche entgegen genommen hatte. Hatte ich bei Felix wirklich eine Erektion gespürt, oder täuschte ich mich da? Und wenn ja – wer oder was hatte sie hervorgerufen? Der Erfolg der Premiere? Luise, die weibliche Protagonistin in dem Stück, die von einem wirklich hübschen jungen Mädchen gespielt wurde, oder gar tatsächlich ich, eine reife Frau, eine verheiratete Frau, immer kühl und beherrscht, wenigstens scheinbar? Aber selbst wenn meine Vermutung zutraf, wenn Felix mich begehrte – war es dann nur der Rausch einer erfolgreichen Premierennacht, der ihn in meine Arme getrieben hatte? Oder begehrte er mich wirklich, auch unabhängig davon? Und falls es tatsächlich so war – was sollte daraus werden? Außerdem, ich war doch in Paul verliebt! Vor dessen Garderobentür ich nun stand, wie unter Zwang stehen geblieben war. (Wobei die „Garderoben“ der Schauspieler ebensolche Kabuffs sind wie Felix‘ und mein „Büro“.) Eigentlich wäre es völlig unauffällig gewesen, wenn ich, zumindest anerkanntermaßen einer der beiden Regisseure, jetzt an die Tür geklopft und ihm gratuliert hätte. Er hatte wirklich gut gespielt. Andererseits, wer weiß, was dann passieren würde!
Trotzdem, ich tat es. Ich klopfte, ging hinein. Paul war noch vollständig im Kostüm, nur bereits abgeschminkt. Als er mich sah, ließ er mich gar nicht zu Wort kommen, sondern er tat genau das, wovor ich mich selbst so lange so mühsam bewahrt hatte. Er ging tatsächlich vor mir auf die Knie, nahm meine Hände, sah mich flehentlich an – und bat mich darum, nach der Premierenfeier mitzukommen zu ihm. Er sei schon ewig in mich verliebt, und er halte es nicht mehr aus, erklärte er, und seine Stimme zitterte bei diesen Worten. Ich kam mir vor wie in einem Traum. So viele Jahre lang war ich eine treue, brave Ehefrau gewesen, ohne auch nur einen Gedanken an Seitensprung. Nun war es passierte, ich hatte fremdgehen wollen, mich aber unter Aufbietung aller Kräfte davon abgehalten, es wirklich zu tun. Nicht zuletzt, weil ich gedachte hatte, als reife Frau sei ich für junge Männer ohnehin uninteressant. Und jetzt hatten mir gleich zwei junge Männer sehr eindeutig erotische Anträge gemacht. Was sollte ich denn daraus machen? Wie sollte ich mich verhalten? Mir schwirrte der Kopf. Hastig murmelte ich eine Antwort, die weder Zustimmung noch Ablehnung war, und stürzte aus dem Zimmer. Ich brauchte jetzt ein paar Minuten für mich, ein paar Minuten Ruhe, um mich zu entscheiden. Für Paul, für Felix, für den Seitensprung – oder gegen beide und für meine Ehe.
Fortsetzung folgt …