Seit zwei Wochen hatte sich Jana an die Kurroutine gewöhnt. Ziemlich gleichförmig liefen die Tage ab. Am Morgen der Frühsport in der Gruppe mit einem ausgedehnten Waldlauf, am Vormittag ein paar Wasser- und Sauerstoffbehandlungen, Mittagessen, der empfohlene Mittagsschlaf und am Nachmittag Spaziergänge und Besuch des kleinen Cafes.
Schon zum zweiten Mal an diesem Nachmittag ging Jana die vielleicht zwei Kilometer lange Strecke zwischen Kurhaus und dem keinen Strandcafe. Sie hätte sich natürlich nie eingestanden, dass das ein bestimmten Grund hatte. Auf halber Strecke nämlich traf sie schon zweimal den großen interessanten Mann mit den leicht angegrauten Schläfen. Zutiefst hoffte sie, dass er sein Auf und Ab am Strand entlang auch machte, um ihr zu begegnen. Angefunkelt hatten sie sich schon ein paarmal, aber niemand hatte gewagt, den anderen anzusprechen. Jana lächelte bei ihren Gedankengängen. Da war er auch schon wieder heran, der Herr mit den grauen Schläfen. Nur noch drei Schritte waren sie voneinander entfernt. Janas Herz machte ein paar Extraschläge. Sollte sie ihn vielleicht ansprechen? Sie musste es nicht entscheiden. Es gab keinen Zweifel. Er schritt auf sie zu. „Wollen wir uns bekannt machen?“ Was war das für eine Frage!? Sie kam gar nicht zu einer Antwort, das stellte er sich bereits vor: „Ditmar Herbst.“
Jana lachte hell heraus. Die Jahreszeit machte seinem Namen alle Ehre. Verschmitzt fragte sie: „Haben sie sich wegen ihres Namens den Oktober für die Kur ausgesucht?“
Sie erfuhr, dass er an der sogenannten Managerkrankheit litt und von heute auf morgen aus dem Verkehr gezogen und zu einer prophylaktischen Kur mit Reizklima geschickt werden musste.
Ganz von selbst gerieten ihre Schritte auf dem festen Sand des Strandes in Gleichschritt und dem kleinen Cafe entgegen. Nach einer halben Stunde hatten sie in etwa ihre Kurzbiographien ausgetauscht. Sie wussten auch voneinander, dass sie verheiratet waren. „Schlawiner„, dachte sie, als er beteuerte, dass er nicht auf der Suche nach einem Kurschatten war. Ganz im Widerspruch dazu standen seine schmeichelnden Komplimente.
Es ergab sich wie selbstverständlich, dass sie sich nach dem Abendessen noch zu einem kleinen Spaziergang trafen. Ein paar Strandkörbe hatte die Kurverwaltung noch für den Fall stehen lassen, dass es vielleicht noch diesen oder jenen Sonnetag gab. In einem davon landeten sie. Wie in junges Mädchen kam sich Jana vor. Während sie plauderten, hielt er ihre Hand und hauchte ihr dann und wann ein Küsschen darauf. Beim Du waren sie schon im Cafe angekommen. Nun begann er Süßholz zu raspelt. Tief schaute sie ihm zu seinen Worten in die Augen. Die Köpfe kamen sich Zentimeter um Zentimeter näher. Ihre Lippen waren wie staunend leicht geöffnet. Ganz plötzlich drückte er seine darauf und sofort angelten die Zungen nacheinander. „Du„, stöhnte er, „ich bin verrückt nach dir. Mir ist, als würden wir uns schon ewig kennen, als hätten wir aufeinander gewartet.“