Das Erlebnis auf dem Parkplatz läßt mich schlaff und leer zurück. Ich habe ihr alles gegeben. Jetzt ist nichts mehr da. Ich bin weg, sie hat mich in sich aufgesaugt. Bloß noch eine sprechende, sich bewegende Hülle ist übrig.
Ich denke, ich glaube, ja, ich weiß, ich liebe sie. Aber ich muß erst einmal wieder zu mir selbst finden. Muß mich wiederfinden. Momentan bin ich nur ein willenloses Schilfrohr im Wind ihrer Wünsche und Launen. Das entspricht mir nicht. Das stößt mich ab. Wenigstens ein paar Tage Ruhe brauche ich. Vor ihr, vor ihrem unerbittlichen Eindringen in mich und meine tiefsten Abgründe.
Und, ganz praktisch, ich möchte endlich wieder einmal wichsen, wann, wo und wie oft ich das mag. Völlig unkontrolliert von ihr. Nächste Woche habe ich drei Tage Urlaub. Bisher habe ich ihr das noch nicht gesagt. Irgend etwas hat mich davon abgehalten. Jetzt kenne ich den Grund. Diese Tage werde ich nutzen. Gut nutzen.
Stellt sich nur noch das Problem, wie ich ihr das beibringe. Möglichst schonend, denn Krach will ich keinen. Und die Beziehung beenden will ich auch nicht. Aber ich will in mir erst einmal wieder etwas schaffen, das eine Beziehung eingehen kann und nicht wie ein formloser schlapper Lappen an ihr hängt.
Und Antje kann währenddessen bleiben, wo der Pfeffer wächst. Sie soll es bloß nicht wagen, mir auch das wegnehmen zu wollen. Sich auch da reinzudrängen.
Das ganze Wochenende über ergibt sich keine Gelegenheit, es ihr zu sagen. Bis morgen kann ich nicht warten. Wenn sich ein Kollege verplappert und sie es von ihm erfährt, daß ich frei habe, zerreißt sie mich in der Luft.
Ganz nüchtern teile ich es ihr also mit.
Sie sieht mich an wie ein waidwundes Tier. Jetzt bloß nicht schwach werden! Ich will das haben, und ich habe ein Recht darauf!
„Du willst also, daß diese Tage auch für uns so eine Art Auszeit werden,“ entgegnet sie. Etwas erleichtert – ob sie es wirklich einfach so kühl hinnimmt? – bejahe ich.
Sie sagt nichts mehr dazu. Ist nur ganz blaß geworden. Mir ist so unbehaglich zumute wie schon lange nicht mehr. Ich fühle mich, als hätte ich ihr ein Messer in den Leib gerammt. Aber ich kann doch nicht anders! Außerdem bleibt sie erstaunlich ruhig. Vielleicht liegt ihr ja gar nicht so viel an mir, wie ich dachte?
Beim Abendessen klingelt mein Handy. Ausgerechnet!
Es ist Thomas; er will mit mir ein Bier trinken gehen. Scheiße – eigentlich hatte ich vor, Antje ein wenig über den Schock hinwegzutrösten nachher. Andererseits sieht sie nicht so aus, als ob sie Trost nötig hätte. Kalt wirkt sie, wie erstarrt. Womöglich ist es sogar besser, wenn ich sie einfach alleine lasse. Wird schon nicht so schlimm sein.
Ich lasse das Gerät sinken, berichte ihr von Thomas‘ Vorschlag. „Geh nur,“ erklärt sie gleichgültig. Ich kann es gar nicht glauben, daß sie nicht explodiert. „Macht dir das auch wirklich nichts aus?“
„Nein, natürlich nicht,“ lächelt sie. „Es ist ganz gut, daß ich ein paar Minuten für mich habe, ich habe noch einiges zu erledigen.“
Na gut – wenn ich ihr denn so wenig bedeute! Dann kann ich ja gleich noch einen Schritt weitergehen und nach dem Bier sofort in meine Wohnung, statt hierhin zurückzukommen. Endlich mal wieder ein ruhiger Abend; und nachher kann ich mir dann in der Badewanne ganz genüßlich einen runterholen …
„Ich weiß aber nicht, wie spät es wird,“ sage ich, und mein Herz klopft dabei wie wild. „Am besten störe ich dich gar nicht mehr.“
Ihre Schultern fallen nach vorne, und sie umarmt sich selbst, als ob ihr kalt wäre. Aber ihre Stimme ist ganz ruhig, als sie sagt: „Ja, mach nur. Wir sehen uns ja morgen bei der Arbeit.“
Ich muß hier weg; so schnell wie möglich. Ich halte das nicht aus. Bin sauer, daß sie mich mit ihrer großzügigen Ruhe festhält wie mit Eisenketten, könnte mich selbst ohrfeigen. Daß ich ihr das antue. Und daß ich ein schlechtes Gewissen habe deswegen. Sofort, sofort muß ich gehen, sonst kann ich es nicht mehr. Schnell sage ich Thomas Bescheid, daß ich komme, ziehe die Lederjacke an.
Sie steht auf. Ich will sie zum Abschied küssen, aber sie dreht das Gesicht weg. Na, denn eben nicht, denke ich ärgerlich. Nur, so kann ich sie doch nicht alleine lassen! Grob greife ich sie mir. „Bist du sicher, daß alles in Ordnung ist?“ frage ich. „Ich kann auch hierbleiben.“
Wenn sie mich jetzt bittet nicht zu gehen, bin ich verloren. Wenn sie es nicht tut, habe ich sie verloren. Ich weiß nicht, was mir lieber wäre.
„Nein, nein,“ wehrt sie ab. „Nun mach schon, verschwinde! Dein Freund wartet sicher schon auf dich.“
Erleichtert lasse ich sie los. Und fühle mich auf einmal doch bleischwer, möchte einfach nur zu ihren Füßen niedersinken, dableiben.
Entschlossen gehe ich einen Schritt, noch einen.
Öffne die Tür.
Und bin draußen.