Viel zu früh holt mich der Wecker aus dem Schlaf. In meiner Kehle steigt wie eine schillernde Riesenblase ein Glücksgefühl hoch. „Guten Morgen,“ begrüße ich Antje, und es wundert mich gar nicht, daß meine Stimme dabei so rauh ist. An meiner Erkältung liegt das nicht – die scheint mysteriöserweise fast verschwunden zu sein; mein Kopf ist frei, der Hals kratzt nur noch ein bißchen. Daß ich zuwenig geschlafen habe, ist auch nicht die Ursache. Wenn es solche Gründe hat …
Ich könnte Bäume ausreißen. Und die ganze Welt umarmen. In erster Linie allerdings diese phantastische Frau!
Na, besonders gut gelaunt scheint sie direkt nach dem Aufwachen nicht zu sein. Wohl ein kleiner Morgenmuffel, wie? Am besten lasse ich sie noch ein wenig schlafen, gehe erst duschen und setze Tee auf. Der wird sie sicher munter machen.
Sie kann noch kaum die Augen aufhalten – doch schon hält sie mir Vorträge, daß ich noch zu krank bin, um wieder arbeiten zu gehen. Typisch! Nee, heute hält mich nichts im Bett! Das heißt, Antje könnte es schaffen; aber sie muß ja noch früher in der Firma sein als ich. Und sicher vorher noch in ihre Wohnung, sich umziehen.
Mit ganz kleinen Augen schleppt sie sich ins Bad, als ich mich gerade rasiere, schmiegt sich an mich. Zu schade, daß wir keine Zeit haben; ich wüßte schon, was ich machen würde, wenn wir erst eine Stunde später losfahren müßten …
Etwas unsicher blickt sie sich um. Klar – sie hat ja überhaupt nichts dabei. „Antje, du kannst alles nehmen, was hier ist,“ erkläre ich ihr. „Inklusive meiner Zahnbürste.“ Dankbar lächelt sie mich an. Normalerweise kann ich das nicht haben, wenn jemand meine Sachen benutzt. Und besonders meine Zahnbürste habe ich einmal sogar gleich in den Abfall befördert, als Karin unbedingt sie statt ihrer eigenen nehmen mußte. Seither habe ich immer eine verpackte Ersatzzahnbürste im Spiegelschrank; man weiß ja nie. Aber bei Antje ist das etwas anderes.
Das Frühstück wird ein bißchen hektisch; sie hat keine Ruhe. Das macht mich nervös; ich brauche das, morgens ausgedehnt Tee trinken, ein Brot essen, noch an gar nichts denken. Na, es hilft ja nichts; seufzend stehe ich auf. Wir schaffen zusammen Ordnung, ich schmeiße mich in Büroklamotten, greife mir meine Lederjacke. Sie wundert sich, daß ich mit will. Na, hör mal, Mädel, ich laß dich doch jetzt nicht alleine losziehen!
In ihrem Schlafzimmer zieht sie sich vollständig aus, läßt alles einfach auf den Boden fallen. Ein wohliges Gefühl macht sich in meiner Hose breit. Stück für Stück versteckt sie nun wieder ihre Haut; schade! Aber schön war es, ihr so zuzusehen!
Und nun auf ins Büro. Die Kollegen werden Augen machen, daß ich heute vor ihnen da bin; passiert sonst so gut wie nie. Tja, ich bin eben einfach schneller als die anderen. Und der Chef wird sich hüten, mir etwas von festen Arbeitszeiten zu erzählen; sonst halte ich mich nämlich womöglich dran!
Das gibt’s doch nicht – Meier ist schon da! Was hat den denn aus dem Bett getrieben so früh? „Muß Liebe schön sein,“ spottet er. Bloß kein Neid, denke ich, und laut sage ich: „Sehr originell!“
Dann läuft uns Lore über den Weg. Das ist gefährlich; sie hat es mir nie verziehen, daß ich von ihrer Freundin Petra nach einer Nacht genug hatte. Was kann ich denn dafür, daß es einfach nicht paßt! Ich mag nun einmal diese Weibchen nicht, die sich bequem zurücklehnen und von mir verlangen, daß ich Action veranstalte!
Schon trifft mich ein böser Blick. „Oh, unser kleiner Schürzenjäger ist wieder auf der Pirsch,“ giftet sie. Prima, nur weiter so! Vorsichtig sehe ich zu Antje. Sie sieht so aus, als wolle sie jeden Moment anfangen zu heulen. Ich will etwas sagen, aber sie flüchtet. So ein Mist! Muß diese dämliche Ziege von Lore unbedingt die schöne Stimmung kaputtmachen?
„Du möchtest wohl auch mal?“ bemerke ich lässig zu ihr. Mit offenem Mund starrt sie mich an. Und so lasse ich sie stehen.
Kaum ist mein Rechner an, stürmt von Delten ins Zimmer, bestellt mich zu sich – „in fünf Minuten!“ – und verschwindet wieder. Welche Laus ist dem denn über die Leber gelaufen? Obwohl, eigentlich muß man das nicht fragen. In dem rennen die Läuseherden ohnehin als Nomaden ständig hin und her. Also, auf zum Chef.
Antje ist auch bei ihm. Und sie sieht ziemlich empört aus.
Von Delten bellt seine Anweisungen. Antje und ich sollen heute ein paar Manager einer Schweizer Partnerfirma unterhalten. Einschließlich Abendprogramm. Mahlzeit! Genau dafür bin ich hier angestellt! Aber es kommt noch dicker – einer der Manager ist wohl eine Frau. Und gerade um die soll ich mich ganz ausgesprochen intensiv und charmant kümmern. Bin ich hier der Callboy, oder was? Und dann erwähnt er auch noch meine angeblichen „ewigen Frauengeschichten“. Ich könnte von Delten unbesehen eine reinhauen. Muß er das ausgerechnet in Antjes Gegenwart sagen? Das sieht ja aus, als hätte ich nichts anderes zu tun, als mir die Weiber reihenweise unter den Nagel zu reißen!
Ein Blick zu ihr genügt – da erwartet mich ein ziemliches Donnerwetter!
Ist vielleicht doch ganz gut, daß wir uns den ganzen Tag mit den Schweizern herumschlagen müssen …
Ich muß mit Antje reden; dringend! Sie hat einen völlig falschen Eindruck von mir – das stimmt ja alles gar nicht! Gut, okay, ich habe nicht gerade als Mönch gelebt. Nur, erstens habe ich mich stark zurückgehalten, seit sie aufgetaucht ist. Und zweitens gibt es im Moment nur eine einzige Frau, die mir etwas bedeutet, und das ist sie!
Sie stürmt aus dem Zimmer wie eine Furie.
Was mache ich jetzt bloß???