Alexander reagiert sehr verständnisvoll, als ich ihm am Telefon mein Problem mit Bernd schildere. Daraus kann ich zwar nicht entnehmen, ob er meinen Ärger für gerechtfertigt hält oder nicht; Alexander wäre auch dann noch absolut höflich, wenn er mich in dieser Sache für eine überspannte hysterische Gans halten würde. Er ist nun einmal einfach ein mitfühlender Mensch. (Schade, daß man das bei einem Dom so selten trifft …)
Er erklärt sich sofort bereit, direkt zwischen Bernd und mir zu vermitteln. Ich überlege – wahrscheinlich ist dies ein vernünftigerer Weg, als eine Diskussion mit Bernd während einer Sitzung des SM-Stammtischs. Ich kann nicht damit rechnen, daß das dringend nötige Gespräch ruhig und harmlos verläuft und würde damit wahrscheinlich allen anderen die Stimmung mit verderben. Nur bin ich nicht sicher, ob ich Alexander einen solchen Aufstand zumuten kann. Letztendlich kennen wir uns ja kaum und wissen privat fast nichts voneinander. Es gibt nur ein feines, undefinierbares, nicht allein auf dem Zauber der Sinnlichen Magie beruhendes Band zwischen uns.
„Du kannst das Angebot ruhig annehmen,“ sagt er, leise lachend. „Wenn mir das zuviel wäre, hätte ich es nicht gemacht.“ Noch immer zögernd, stimme ich schließlich doch zu. Wenn die Diskussion aus dem Ruder läuft, kann ich sie ja noch immer abbrechen und Alexander das weitere ersparen. „Übrigens habe ich bereits eine Vermutung, womit Bernds Verhalten zusammenhängt,“ erklärt Alexander jetzt. „Damit bin ich auf jeden Fall der geeignete Schlichter.“
Wir verabreden, daß er zunächst einmal mit Bernd spricht, um ein Treffen zu organisieren. Das ist mir mehr als recht. Ein Anruf von mir würde Bernd möglicherweise noch mehr in Harnisch bringen.
Als ich mich bedanken will, fällt Alexander mir ins Wort. „Bedank dich nicht zu früh; ich bestehe auf einer kleinen Gegenleistung.“
Nun, worin die bestehen soll, das ist nicht schwer zu erraten; Alexanders Interesse an David war unübersehbar. „Du möchtest, daß ich dich zum Kaffee einlade, wenn David da ist,“ sage ich ihm auf den Kopf zu. Ich kann seine Verlegenheit sehr deutlich spüren, nachdem ich seinen Wunsch so klar ausgesprochen habe. „Es muß natürlich nicht sein,“ murmelt er. „Keine Angst vor der eigenen Courage, Alexander,“ ermahne ich ihn. „David wird sich sehr freuen. Eine Frage allerdings noch – soll ich mich dabei taktvoll verziehen?“ „So weit kommt’s noch,“ empört er sich, „daß ich dich aus deiner eigenen Wohnung vertreibe! Außerdem habe ich nichts anderes vor, als mich mit David zu unterhalten. Nein, ich möchte, daß du dabei bist und dabei bleibst.“
Ein amüsiertes Lächeln kräuselt meine Lippen, als ich aufgelegt habe. Ich gehe in die Küche zu David, der dabei ist, uns ein Abendessen zu zaubern. Nicht zum ersten Mal; wir haben beide beschlossen, daß meine Kochkünste zu denen gehören, die allenfalls in der Nachwelt berühmt werden können. Und so kennt er sich in meiner Küche mittlerweile fast besser aus als ich.
Neugier steigt um ihn herum auf wie Nebel. Und die Neugier bezieht sich keinesfalls nur darauf, wie möglicherweise mein leidiger Konflikt mit Bernd gelöst werden kann. Davids Interesse an Alexander ist nicht geringer, als es umgekehrt der Fall ist. „Alexander wird versuchen, Bernd und mich an einen Tisch zu bringen, um die Sache zu regeln,“ erkläre ich und ergänze dann, völlig beiläufig: „Du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich ihn für seine Mühe später irgendwann einmal zu uns einlade, oder?“
Er wirft mir einen unsicheren Blick zu. „Dagegen habe ich sicherlich nichts. Ob ich mich dabei ganz wohl fühle, weiß ich allerdings nicht.“ „Tröste dich,“ beruhige ich ihn, „Alexander wird es auch nicht viel anders gehen.“ Erstaunt läßt David das Messer sinken, mit dem er gerade Zwiebeln schneidet.
„Du glaubst wohl auch, nur weil jemand dominant ist, weiß er alles, kann alles und ist immer die überzeugte Unfehlbarkeit in Person,“ mockiere ich mich. „Wer so wirkt, dem solltest du dich gar nicht erst überlassen. Wir sind hier bei SM und nicht in der Bundeswehr. Wer dir aufgrund beiderseitiger Wünsche im erotischen Spiel übergeordnet ist, hat nicht automatisch immer recht. Es kostet allerdings einiges, eine solche Unsicherheit zuzugeben. Alexander kann das. Er zieht sein Selbstbewußtsein nicht aus Peitsche und Lederhose, sondern aus sich selbst. Er ist schon ganz Sir Elias, wenn es um eine Session geht, und er führt. Trotzdem ist derjenige, der sich ihm ausliefert, immer auch sein Partner, seine Partnerin. Kein Spielzeug. Er nimmt nicht nur, er gibt auch, und er weiß genau, was er tut, weil er auch in der Lage ist, sich selbst in Frage zu stellen. Wäre ich devot – ihm würde ich mich ohne Bedenken in die Hände geben.“
„Früher dachte ich immer, Dominanz sei genau das Gegenteil,“ sagt David nachdenklich. „Kasernenhofton, Rücksichtslosigkeit und der trampelige Durchmarsch über die Gefühle des anderen hinweg, oder was?“ erwidere ich schneidend. „Das soll so machen, wer will; und wenn es beiden gefällt, ist es ja noch etwas ganz anderes. Es kann durchaus auch darin ein ungeheurer Reiz liegen. Allerdings nicht für mich. Und ich habe auch Schwierigkeiten mit Leuten, die die Dinge so sehen.“
„Ein wenig toleranter könntest du aber schon sein,“ weist David mich zurecht. Beleidigt zucke ich die Achseln. Er kommt zu mir herüber, umfaßt meine Schultern. „Antje, ich will es so nicht; und ich bin sehr froh, daß auch du es so nicht willst. Aber ich denke, wir sollten es nicht bewerten, wenn jemand das anders sieht.“ Unwillig gebe ich ihm recht. „Und daß Sir Elias großartig ist,“ fügt David lachend hinzu, „davon mußt du mich nicht erst mühsam überzeugen – das weiß ich schon!“
Während des Essens klingelt das Telefon. Alexander hat Bernd bereits erreicht und konnte ihn überzeugen, daß wir uns morgen abend zu dritt treffen, in Alexanders Geschäft, nach Ladenschluß. Obwohl ich vor dem Gespräch einen ganz schönen Bammel habe, bin ich doch froh, daß es so schnell und leicht möglich geworden ist.
Und fange bereits jetzt an, nervös zu sein.
David spürt es, und sorgt mit einer wunderbaren Massage dafür, daß die Anspannung etwas verringert wird. Dann räumt er die Küche auf, spült das Geschirr und verbietet mir, auch nur einen Finger krumm zu machen, um zu helfen.
Ich kuschele mich in die Eckbank und sehe ihn unverweilt an, während die Zärtlichkeit in mir mehr und mehr ansteigt und sich langsam mit Lust mischt.
Zum ersten Mal ruft die Vorstellung, Alexander und David könnten sich vielleicht mehr als nur sympathisch finden, einen kleinen Stich der Eifersucht in mir hervor. Auf einmal bin ich mir gar nicht mehr so sicher, daß ich bereit bin, auch nur ein kleines Stück von David zu teilen. Nicht einmal mit Alexander.
Oder vielleicht doch?