Auf dem Weg zur Firma wird meine Empörung nicht geringer, sondern nimmt im Gegenteil immer größere Dimensionen an. Ich fühle mich wie ein Dampfkocher, der das in den Aggregatzustand Gas erhitzte Wasser nicht ablassen kann und deshalb den Inhalt, der davon umwirbelt wird, nur um so schneller gar kocht.
Im Flur läuft mir David über den Weg. Seine fröhliche Begrüßung bleibt ihm im Hals stecken, als er mich sieht, und besorgt fragt er mich, was los ist. Doch schon sucht mich ein Kollege wegen einer dringenden Sache, die sofort entschieden werden muß. Auf meinem Schreibtisch stapelt sich das Papier, und die Anrufe trudeln ein, daß ich den Hörer kaum aus der Hand legen kann. Von Delten läßt sich nicht blicken. Wahrscheinlich ist er nach der Besprechung bei Solvis sofort nach Hause gefahren. Kann er ja auch – schließlich hat er ja seine brave Assistentin, die seine Arbeit erledigt!
Erst um kurz vor neun kann ich Feierabend machen. Das heißt, können könnte ich eigentlich nicht, aber David spricht ein Machtwort und droht mir damit, mich notfalls mit Gewalt aus der Firma zu schleppen, wenn ich jetzt nicht Schluß mache. Er schlägt vor, Essen zu gehen. Was mich wenig begeistert, denn eigentlich bin ich völlig erledigt und will nur noch meine Ruhe. Hunger habe ich allerdings auch, und ich will David noch erzählen, was vorhin bei der Besprechung passiert ist. Also stimme ich seufzend zu.
Wir fahren in den Elfenmond, in dem wir uns – ist noch gar nicht so lange her … – das erste Mal privat getroffen haben.
Die Bedienung fällt über uns her, kaum daß wir sitzen, und sie flirtet so offensichtlich mit David, daß es mich ärgern könnte, wenn ich nicht so müde wäre. Und soll doch David meinetwegen gerne auf ihren lockeren Ton eingehen und charmant tun – schließlich bin ich diejenige, mit der er nachher zusammen im Bett liegt!
Endlich verschwindet sie wieder, nachdem ein anderer Gast schon zweimal nach ihr gerufen hat. David greift über den Tisch hinweg nach meiner Hand. „Und jetzt, bitte, erzähl mir, was heute bei der Solvis passiert ist!“
Ich hole tief Luft und sprudele dann ganz haarklein alles hervor, erzähle von dem Meeting, zu dem ich unseren Chef begleitet habe, von dem Manager der Solvis, den ich vor einiger Zeit bei Sir Elias‘ SM-Stammtisch als Sklave Bernd kennengelernt habe; ohne zu wissen, daß er mir heute auf diese Weise beruflich über den Weg laufen würde. Und der sich mir gegenüber so arrogant und unverschämt benommen hat heute, daß selbst mein Chef sich bemüßigt sah, mich in Schutz zu nehmen. Was sonst wirklich nicht seine Art ist.
„Am liebsten hätte er mich richtiggehend vor die Tür gesetzt,“ wiederhole ich am Schluß, und mein Ärger über Bernd ist inzwischen wieder so richtig hochgekocht.
„Vielleicht hatte er Angst, daß du der Gesprächsrunde von seinen devoten Neigungen berichtest,“ meint David. „Angenehm wäre das sicher nicht für ihn, wenn seine Kollegen davon wissen.“
Das ist ja wohl nicht zu fassen – jetzt nimmt David diese miese Type auch noch in Schutz! „Wenn er nicht will, daß jemand etwas davon erfährt, dann darf er sich nicht an Stammtischen sehen lassen,“ erwidere ich patzig. David hebt seine freie Hand; in der anderen hält er noch immer meine. „Halt, halt, du verstehst mich falsch. Ich bin keinesfalls der Meinung, daß diese Angst sein Verhalten entschuldigt. Es ist nur wahrscheinlich der Grund dafür gewesen, und den mußt du doch kennen, um entsprechend reagieren zu können, oder?“
Beschämt senke ich den Blick. „Bitte, entschuldige, David. Ich sollte nicht dich angreifen, wenn ich auf jemand anderen böse bin.“ „Oh, ich dachte, das gehört mit zu meinen Aufgaben als dein devoter Partner, den Blitzableiter zu spielen,“ erwidert er grinsend. Wider Willen muß ich lachen. Wir sehen uns an, und das plötzliche Bewußtsein seiner Nähe macht meine Kehle eng.
Unter dem Tisch schlüpfe ich aus meinen Pumps und suche mit einem nylonbestrumpften Fuß nach Davids Beinen. Sanft fahre ich mit dem Rist seinen Unterschenkel entlang, verweile in der Kniekehle. David schließt die Augen.
Dann gibt er sich einen Ruck. „Ich glaube, wir sind mit dem Thema Bernd noch nicht am Ende, oder? Was wirst du jetzt tun? Wenn alles so läuft, wie von Delten sich das vorstellt, hast du in Zukunft sehr häufig mit der Solvis GmbH zu tun. Die Sache muß also irgendwie geklärt werden.“
„Das muß sie in der Tat,“ bestätige ich. „Nur habe ich nicht die geringste Ahnung, wie ich das erreichen soll. Ich kann mir in etwa vorstellen, wie Bernd reagieren wird, wenn ich ihn anrufe und sage, daß ich dringend mit ihm sprechen muß.“ „Nein, das ist sicher nicht die Lösung,“ stimmt mir David zu. „Wahrscheinlich hält er deinen Vorstoß sogar noch für einen Erpressungsversuch.“
Einen Augenblick überlegt er. „Und wenn du ihn im Rahmen des Stammtischs ansprichst? Vielleicht ist er da etwas offener für eine Unterhaltung.“ „Das habe ich mir auch schon überlegt,“ erkläre ich. „Allerdings habe ich in der ersten Wut nur daran gedacht, wie sehr es ihn ärgern wird, wenn ich dort plötzlich wieder auftauche. Aber ich weiß ja gar nicht, ob er dorthin überhaupt noch geht.“
„Das wird dir doch sicher Sir Elias sagen können,“ bemerkt David, und die leichte Röte, die bei der Erwähnung dieses Namens sein Gesicht überzieht, straft seinen beiläufigen Tonfall Lügen. Sieh an, sieh an; hat Sir Elias ihn bei der Begegnung am Samstag also doch mächtig beeindruckt! Unauffällig überprüfe ich die Länge des Tischtuchs. Es ist lang genug, daß niemand an den anderen Tischen sehen kann, was unter unserem stattfindet. Langsam arbeitet sich mein Fuß weiter hoch. Unruhig rutscht David auf seinem Stuhl hin und her, und die feine Röte hält an. Schließlich bin ich am Ziel meiner Wünsche angekommen und presse in seinem Schritt meinen Fuß gegen seinen steifen Schwanz. Nun, daß David erregt ist, wundert mich nicht … „Bin ich daran schuld, oder ist es der Gedanke an Sir Elias?“ kann ich mir aber nicht verkneifen, provozierend zu fragen.
Ich besehe mir Davids Verlegenheit und ergänze dann mit einem warmen Lachen: „Du mußt nicht antworten, David. Es ist beides, ich weiß.“ Seine Verlegenheit wird dadurch nicht geringer. „Das ist mir erheblich lieber, als wenn du den üblichen Traum hättest, es mit mehreren Frauen auf einmal zu tun zu haben,“ erkläre ich leise. „Außerdem ist es nur zu verständlich; Alexander hat eine Ausstrahlung, die auch auf mich nicht ganz ohne Wirkung bleibt.“
David wirkt, als wolle er sich am liebsten in einem Mauseloch verkriechen. Schließlich habe ich Mitleid mit ihm. „David, Träumen ist erlaubt. Und ich finde es sehr schön, daß wir auch diese Träume miteinander teilen können, die höchstwahrscheinlich nie verwirklicht werden. Und trotzdem wunderbar sind.“
„Vielleicht auch gerade deswegen,“ murmelt David. „Die Realität wäre sicher manchmal weit weniger wunderbar.“
Unser Essen kommt. Es tut mir leid, daß diese so ungeheuer wichtige Diskussion dadurch unterbrochen wird. Aber wir werden auf diese Sache sicher noch oft zurückkommen.
Schnell schließen wir das Thema Bernd ab. Ich werde also zuerst abklären, ob Bernd sich bei den SM-lern noch sehen läßt; und wenn ja, werde ich dort das Problem mit ihm angehen.
Dann widmen wir uns den Gaben des außerordentlich guten Kochs hier. David allerdings hat einige Mühe, sich darauf zu konzentrieren; mein Fuß bringt ihn arg durcheinander. Was von meiner Seite aus natürlich völlig unbeabsichtigt ist …
Wir können es beide kaum erwarten, nach Hause zu kommen.
Die Bedienung wundert sich über Davids noch halb vollen Teller, als wir bezahlen. „Es gibt Frauen, die zeigen einem sehr deutlich, daß es wichtigere Dinge gibt als Essen,“ erklärt er, bereits im Stehen.
Ich genieße ihr entgeistertes Gesicht und hake mich bei ihm unter.