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18. Dezember 2009

An der richtigen Stelle steif …

Als ich noch jünger war, habe ich sehr viel Wert auf Aussehen und Körpergröße gelegt. In der Jugend ist man ja meistens etwas oberflächlicher … Oder sagen wir es einmal so, solange man selbst noch einigermaßen hübsch ist, achtet man einfach mehr darauf, dass es auch die Menschen sind, mit denen man sich umgebt. Das gilt vor allem für den Partner. Wenn man dann älter wird und die eigenen äußeren Wert mehr und mehr dahinschwinden, dann bekommt man einfach eher einen Blick für die inneren Werte. Man kann nun sagen, man wird einfach reifer und erwachsener, oder man kann das boshaft so kommentieren, dass einem ja auch gar nichts anderes übrig bleibt – es spielt keine Rolle. Es ist eben einfach so; man lernt es, äußere Gegebenheiten nicht mehr für so wichtig zu nehmen.

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Ich bin mit 1,78 nun auch noch relativ groß für eine Frau, und ich habe mich früher immer geweigert, einen Mann auch nur als möglichen Partner zu akzeptieren, wenn er nicht wenigstens meine Größe hatte, am besten sogar etliche Zentimeter größer war. Ich mag es einfach, wenn ich mich bei einem Mann anlehnen kann … Das hat sich eigentlich auch nicht geändert, seit ich eine reife Frau ab 40 bin. Nur erkenne ich jetzt immer besser, ein Mann muss nicht groß sein, er muss Größe zeigen, für dieses Anlehnen – und das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Ganz deutlich gezeigt hat mir das jetzt Joachim. Joachim ist etwas älter als ich; er ist bereits 58, ich bin „gerade erst“ 52. Und er ist mit seinen 1,67 ganze elf Zentimeter kleiner als ich. Das ist soviel kleiner, dass man es wirklich auch nicht mehr mit flachen Schuhen und einer etwas geduckten Haltung überspielen kann.

Wer uns beide nebeneinander sieht, der erkennt auf den ersten Blick den Größenunterschied, denn er ist wirklich schon auffällig. Wo ich Joachim kennengelernt habe? Jetzt lacht nicht – bei der Volkshochschule. Ja, reife Hausfrauen wie ich, die ihr Leben lang nur Hausfrau und Mutter waren und dann auf einmal in ein tiefes, schwarzes Loch fallen, wenn das Leere-Nest-Syndrome zuschlägt, die Kinder aus dem Haus sind, die sind oft in Volkshochschulkursen zu finden. Aus diversen Gründen. Es gibt kaum etwas anderes, wo reife Hausfrauen sich sonst weiterbilden und wenigstens noch etwas dazulernen können. Abendschule, ein spätes Studium – das alles ist zu anstrengend und im Zweifel auch zu kostspielig. Außerdem fühlen reife Hausfrauen sich unsicher. So viele Jahre haben wir am „richtigen“ Leben nicht mehr teilgenommen, wie sollen wir da so schnell wieder hinein zurückfinden? Vor allem, wenn es um etwas wie ein Studium an der Uni geht, wo wir im Zweifel mit lauter jungen Menschen konkurrieren müssen und selbst die Professoren jünger sind als wir. Die VHS, da kann man auch im reifen Alter noch seine ersten, vorsichtigen Schritte zurück mitten ins Leben machen, da sind im Zweifel die anderen „Studenten“ im gleichen Alter, und was dann später mal kommt, kann man immer noch sehen.

Auch diese vorsichtigen Schritte hätte ich sicherlich nicht gemacht, wenn mein Mann mich nicht verlassen hätte vor knapp zwei Jahren. Er hatte lediglich gewartet, bis die Kinder alle aus dem Haus waren, und schon hat er seine Koffer gepackt. Viele Monate lang bin ich herumgelaufen wie eine lebende Leiche, nach diesem Schlag. Dann bin ich mit Hilfe meiner Freundinnen ganz langsam wieder auf die Beine gekommen. Und jetzt wage ich mich sogar unter Leute, in Volkshochschulkurse. Unter anderem deshalb, weil auch ich den Traum habe, den viele reife Hausfrauen hegen – ich möchte vielleicht wirklich irgendwann noch einmal studieren. Derzeit reicht jedoch mein Selbstbewusstsein dafür noch nicht aus, da muss ich noch ein bisschen trainieren. Wofür solche Kurse genau das Richtige sind. Da mich Geschichte schon immer interessiert hat und ich auch überlege, mit meinem möglichen späteren Studium in diese Richtung zu gehen, habe ich mich zuallererst in einem Kurs über die Geschichte der Neuzeit eingetragen. Und diesen Kurs gab und gibt Joachim. Das heißt, natürlich habe ich ihn nicht als Joachim kennengelernt, sondern als Herrn Halter. Obwohl er nun wirklich nicht groß ist und von seiner körperlichen Statur her eindeutig nicht allzu viel her macht, schaffte er es sofort, allen Kursteilnehmern schon am ersten Abend zu vermitteln, dass die allgemeine Duzerei, die in vielen anderen VHS Kursen gang und gäbe ist, für ihn absolut nicht in Frage kam. Er wirkte sehr steif; irgendwie englisch. Vielleicht ist das ein Vorurteil, aber diese absolut gerade Haltung, das überkorrekte, beinahe penible Benehmen und die spürbare, fast kühle und auf jeden Fall emotionslose Distanz, die sehr genaue, klare Sprechweise, das assoziiere ich immer mit einem Engländer der Oberschicht. Anfangs fand ich es abschreckend. Ebenso wie die anderen im Kurs. Man konnte es richtig sehen, wie einige überlegten, den Kurs vielleicht doch lieber wieder aufzugeben. Unter denen war auch ich.

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Aber dann kam Joachims erster Vortrag. Und da war er dann ganz in seinem Element. Er schaffte es, die Geschichte wirklich lebendig werden zu lassen. Ich saß da wie angewurzelt auf meinem unbequemen Holzstuhl, und dass ich nicht vor Staunen den Mund aufsperrte, das war wirklich alles. Es gab keinen Gedanken mehr daran, dass ich den Kurs wieder aufgeben würde. Genau das war es, weshalb ich auch hier saß; nicht wegen trockener Jahreszahlen und historischer Fakten, sondern wegen lebendiger Geschichte. Joachims Talent, die trockenen Informationen mit Leben zu versehen, wirkte sogar in unsere Hausaufgaben hinein; jedenfalls für mich. Ich tat weit mehr, als er verlangt hatte. Er bemerkte es. Und ich bemerkte, dass mein Eifer während der Kurse und bei den Aufgaben zu Hause – jedenfalls hielt ich diese beiden Dinge damals noch für den Grund – mich langsam, aber sicher in die Position seiner Lieblingsschülerin hinein katapultierten. Jedenfalls ließ sich das alles noch weit besser an, als ich es gedacht hatte. Es machte mir Freude, an diesen Abenden unterwegs zu sein, und diese Freude machte es mir auch leicht, auf die anderen im Kurs zuzugehen. Obwohl reife Hausfrauen, die nach vielen Jahren endlich einmal wieder aus ihrem Schneckenhaus herauskommen, da durchaus normalerweise so ihre Startschwierigkeiten haben, und genauso hatte ich das auch für mich befürchtet. Aber es gibt eben nichts, was besser ist für die Offenheit anderen Menschen gegenüber, als dass man Spaß an etwas hat. Sehr schnell hatte ich sogar die ersten Freunde unter den Kursteilnehmern, und wir trafen uns auch privat. Der einzige, mit dem ich noch nie ein privates Wort gewechselt hatte, das war Joachim. Nicht dass ich das nicht gerne gemacht hätte; aber ich traute mich einfach nicht. Viel zu schnell neigte der Kurs sich dann auch seinem Ende zu, und zwar wehmütig, aber akzeptierend gewöhnte ich mich an den Gedanken, ihn bald zum letzten Mal zu sehen; so faszinierend ich ihn inzwischen nicht nur als Lehrer, sondern auch als Mensch fand. Ich hätte ihn gerne zum Freund gehabt. Wenigstens glaubte es, dass es das war, was ich wollte.

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11. Dezember 2009

Wichsen zu dritt – Versaute Hobbyhuren

Es war ein Abend wie jeder andere gewesen. Ich war in die Bar gegangen, mit deren Inhaber ich mich wirklich gut verstehe; einerseits, um mich aufzuwärmen, denn auf der Straße war es doch schon ziemlich kalt. Und da man als „Bordsteinschwalbe“ immer sexy angezogen sein muss, was naturgemäß bedeutet, man muss sehr viel nackte oder doch wenigstens kaum verhüllte Haut zeigen, war ich ziemlich durchgefroren. Zum anderen hatte ich die Hoffnung, hier im Lokal vielleicht eher einen Mann zu finden, der ein wenig weibliche Gesellschaft und Sex suchte.

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Ich hatte eine Absprache mit dem Besitzer der Bar. Wenn ich hier jemanden fand, der mit mir aufs Zimmer ging, dann zahlte ich ihm eine kleine Kommission. Manchmal führte er mir sogar Männer zu, von denen er glaubte, sie hätten Interesse an meinen Diensten; und er irrte sich dabei selten. Heute allerdings ist hier so wenig los, dass ich kaum Hoffnung haben kann, einen Mann zu finden, der Interesse an mir hat. Die wenigen Männer, die da sind, sind mit sich selbst oder mit den Freunden beschäftigt, mit denen sie unterwegs waren. Für mich hat da keiner auch nur ein Auge. Dabei sehe ich ausgerechnet an diesem Abend wirklich klasse aus; ein Blick in den Spiegel hatte es mir bestätigt. Ich trage schwarze Netzstrümpfe, hohe Stiefel, einen knappen Minirock aus Kunstleder, und darüber habe ich eine eigentlich lange Seidenbluse in einem schimmernden türkisfarbenen Stoff so um den Bauch gebunden und oben so weit offen stehen lassen, dass man sowohl meinen schwarzen Spitzen BH darunter, als auch das Piercing in meinem Bauchnabel sehen kann. Deshalb war mir ja so entsetzlich kalt gewesen auf der Straße.

Ich hatte auch schon recht gut verdient an diesem Abend; beinahe mehr als die anderen Huren in meinem Bereich des Straßenstrichs. Alleine deshalb war es schon höchste Zeit, mal eine Weile zu verschwinden, sonst wurden die am Ende noch eifersüchtig auf mich. Aber ich kann noch nicht nach Hause gehen. Erstens ist es erst elf Uhr, also für eine Hure noch ausgesprochen früh am Abend. Außerdem reichen mir meine Einnahmen noch nicht. Das Wetter wurde kalt; ich habe keine Ahnung, wie lange wir Huren vom Straßenstrich überhaupt noch auf Freier hoffen können. Der Winter steht bevor. Und für den Winter brauchen wir Huren ein kleines finanzielles Polster. Zumindest die Huren brauchen es, die draußen auf der Straße unterwegs sind, nicht die in einem Bordell oder Laufhaus. Und die Callgirls, die Edelhuren, die müssen sich ja bei keinem Wetter Sorgen um Freier machen. Aber in diese Kategorie gehöre ich nun einmal nicht; ich bin nur eine ganz gewöhnliche Straßenhure.

Unaufgefordert stellt der Barkeeper mir einen heißen Kaffee hin. Wir kennen uns sehr gut. Wir mögen uns zwar nicht, aber der Besitzer der Bar hatte die Anweisung ausgegeben, dass ich hier meine Getränke immer umsonst bekomme, sofern ich es nicht übertreibe. Alkohol ist sowieso nie dabei; wenn ich als Hure unterwegs bin, trinke ich höchstens mal ein Glas Sekt, aber nie mehr. Ich möchte nicht betrunken oder auch nur beschwipst sein, denn dann kann ich vielleicht nicht mehr gut genug auf die Bedürfnisse der Männer reagieren. Der Kaffee tut gut. Er wärmt mir meine Kehle und meinen Bauch, und wenn ich meine Hände um die heiße Tasse herumlege, wärmt er mir sogar die. Ich versinke in angenehmen Gedanken. Vielleicht sollte ich doch nach Hause gehen, ein heißes Bad nehmen, etwas essen und ein bisschen fernsehen? Das ist doch schließlich der Vorteil, wenn man selbstständig ist; und sei es auch als Hure; man kann über seine Zeit selbst bestimmen. Und wenn man den Verdienstausfall in Kauf nimmt, dann kann man sich auch einmal frei nehmen, wenn man eigentlich arbeiten sollte. Ich bin schon fast soweit, mein Kaffee ist getrunken und ich will gerade aufstehen, da spricht mich jemand an. „Schöne Frau, hätten Sie einen Augenblick Zeit für mich und meinen Freund?

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Ich schaue mich um. Es ist selten, als Hobbyhure so romantisch angesprochen zu werden. Meistens geht das mit dem Ansprechen etwas plumper. Die Männer wollen halt direkt zur Sache kommen und keine Zeit verlieren. Und warum auch nicht? Trotzdem ist es natürlich schön, einmal so begrüßt zu werden. Die beiden Männer, die hinter mir stehen, sehen – nun ja, eigentlich ganz normal aus, in keinster Weise besonders. Sie sehen jetzt nicht unbedingt umwerfend gut aus, sind aber auch nicht hässlich. Ich schätze sie beide auf Ende 30 oder Anfang 40. Der eine, der mich angesprochen hat, ist kleiner, hat eine beginnende Glatze und ist schon ein wenig füllig um die Mitte herum. Der andere ist sehr groß und nicht schlank, sondern hager. Seine Haare sind sehr dicht, aber sie beginnen schon grau zu werden.

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