Ich weiß schon dass das, was ich erlebt habe, bevor Daniel und ich vor kurzem endlich doch zusammengefunden haben, nichts mit Kliniksex zu tun hat; auch wenn es echte Arztspiele waren … Wobei ich bis heute nicht weiß, ob er diese Arztspiele ebenfalls erotisch fand. Er hat mir zwar jetzt gesagt, dass er sich sehr früh in mich verliebt hat, seine Patientin – er, Daniel, ist nämlich ein Arzt, und zwar ein Allgemeinarzt, mein Hausarzt -, aber wahrscheinlich ist er als Arzt dann doch zu gewissenhaft, um Pulsmessen, Abhorchen, Spritzen geben und so weiter als erotische Spiele zu sehen.
Für mich hingegen waren sie es, erotische Spiele, all diese Dinge, selbst das unangenehme Blut abnehmen und schmerzhafte Spritzen; und zwar schon recht bald. Denn ich habe mich schon gleich beim ersten Besuch in Daniel verliebt. Das liegt nicht an seinem Aussehen; obwohl er insofern wirklich etwas hermacht, das merke ich schon daran, wie begehrlich ihn andere Frauen anschauen, wenn wir gemeinsam unterwegs sind. Das habe ich bei meinem ersten Besuch allerdings überhaupt nicht bemerkt, dazu ging es mir viel zu schlecht. Ich hatte eine Grippe mit hohem Fieber, und befand mich zwar eigentlich vom Fieber her wieder auf dem Weg der Besserung. Allerdings war ich so schwach, dass jedes Aufstehen eine echte Qual für mich bedeutete. Ich konnte nichts essen, ich konnte nicht einmal lesen oder im Fernsehen einen Film anschauen, denn die Kraft dazu hatte ich nicht. In dieser Situation rief ich in der Praxis meines alten Hausarztes an. Wo man mir erklärte, ein Hausbesuch komme nicht in Frage; ich müsse mich schon in die Praxis begeben.
Statt auf einem Hausbesuch zu bestehen, wie es eigentlich mein Recht gewesen wäre, heulte ich still vor mich hin und unternahm die riesengroße Anstrengung, mich fertig zu machen und tatsächlich dort aufzutauchen. Leider waren alle meine Freunde am Arbeiten; keiner konnte mich hinfahren. Deshalb musste ich mich allein auf den Weg machen. Obwohl ich einen Termin hatte, erklärte man mir, als ich schwankend und schwach vor dem Tresen der Arzthelferinnen stand, dass der Arzt mich nicht sehen könne, er hätte zu viele Patienten. Wieder begannen die Tränen zu fließen, doch dann bot man mir an, statt dessen seinen jungen Kollegen aufzusuchen, der neu als Unterstützung in die Praxis gekommen war. Mir war das eigentlich herzlich egal, wer mich untersuchte, solange der Doktor irgendwie dafür sorgte, dass es mir besser ging und meine Kräfte zurückkehrten. Ermattet wartete ich im Wartezimmer, bis ich aufgerufen wurde. Ich schaffte es kaum, durch die üblichen Höflichkeitsformen zu segeln, als es soweit war, mit Guten Tag sagen, Hand geben und so weiter. Ich fiel einfach im Besucherstuhl vor Daniel zusammen und brach in Tränen aus. Statt viel zu sagen oder zu fragen, kam er zurück an meine Seite – er hatte sich noch nicht einmal auf seinen Arztstuhl setzen können, bevor ich die Beherrschung verlor -, half mir auf, sorgte dafür, dass ich auf der Untersuchungsliege Platz nahm und hielt dann einfach nur meine Hand. Ich dachte ja erst, er wolle mir den Puls messen, und das tat er wohl anfangs auch, behielt jedoch anschließend meine Hand in der seinen.
Es tat gut, seine ruhige Hand zu spüren, zumal er nichts sagte, sondern mir Zeit ließ, mich ein wenig zu erholen, und ab und zu auch sanft meinen Handrücken und meinen Unterarm streichelte. Das kam mir vor wie meine letzte Verbindung zur Welt der normalen Menschen, die aufstehen und herumlaufen können, ohne zusammenzubrechen. Es gab mir Wärme, es gab mir Kraft. Als ich meine Fassung etwas wiedergewonnen hatte, wobei er mich überhaupt nicht drängte, sondern anscheinend alle Zeit der Welt hatte, musste ich mich aufsetzen. Er stützte mich dabei und begann, als ich einigermaßen sicher saß, mit dem Abhorchen, fragte dabei ständig besorgt, ob es noch ginge oder ob ich mich kurz zwischendurch noch einmal hinlegen wolle. Nein, ich überstand das Abhorchen sehr gut; zumal seine warmen Hände auf meinem Rücken und auf meinem Brustkorb mir sehr angenehm vorkamen, zärtlich und liebkosend. Das nahm ich wahr, obwohl es mir so schlecht ging. Anschließend schrieb er mir etwas auf ein Rezept, nahm aber aus dem Probenschrank eine Probepackung und bestand darauf, dass ich noch in der Praxis zwei Tabletten nahm, damit ich für die erste Dosis nicht gleich in die Apotheke musste. Wie ich das hätte schaffen sollen, hätte ich ohnehin nicht gewusst. Anschließend ging er kurz nach draußen und bat eine Arzthelferin, mir ein Taxi zu rufen. Gekommen war ich mit dem Bus. Als ich schwach protestieren wollte, schüttelte er nur den Kopf und steckte mir einen zusammengefalteten Geldschein in die Tasche meines Rocks, half mir dabei, den Mantel anzuziehen und begleitete mich sogar nach unten. Ohne seinen stützenden Arm hätte ich die Stufen wahrscheinlich auch nicht bewältigen können. Ich bedankte mich so überschwänglich, wie mir das in meiner Schwäche möglich war, und sank dankbar in die Sitze des Taxis zurück.
Eine Woche später, als ich tatsächlich schon beinahe wieder obenauf war, wie er mir das versprochen hatte, kam ich zum Kontrollbesuch, wie er es mir dringend angeraten hatte. Ich war reichlich verlegen, wenn ich daran dachte, wie intim genaugenommen unser erstes Treffen gewesen war. Das hatte ich noch nie erlebt, einen Arzt, der sich nicht scheut, seiner Patientin auch körperlich Beistand zu leisten. Etwas, die reine Güte dieser Gesten, das wahrscheinlich noch mehr als die Medikamente dafür gesorgt hatte, dass ich wieder auf die Beine gekommen war. Trotzdem, das war ja nun nicht gerade das, was normal zwischen Arzt und Patientin abging, und ich fürchtete, es werde Daniel jetzt peinlich sein. Einmal ganz davon abgesehen von der Sache mit dem geliehenen Geld; das ich in einem Umschlag an eine kleine Topfpflanze zurückgeben wollte, die sich bei ihm auf dem Fensterbrett bestimmt gut ausmachte. Stattdessen war er absolut ruhig, überhaupt nicht verlegen, und als wir uns bei der Begrüßung die Hand gaben, fasste er dabei kurz aufmunternd nach meiner Schulter, bevor er sein Geschenk entgegennahm, die Blume. So sehr diese Berührung als bloße Anteilnahme gemeint war, so sehr wühlte sie mich doch auf. Noch lange, nachdem er mir gegenüber saß, ohne jeden Körperkontakt, glaubte ich seine Hand dort zu spüren, wo sie, leider nur so kurz, gelegen hatte. Immerhin konnte ich ihn nun das erste Mal wirklich betrachten. Er wirkte im gleichen Alter wie ich, Anfang 30, zeigte aber, obwohl er noch ein junger Arzt war, bereits die ersten grauen Haare in seinem dunklen Schopf. Etwas zu lang waren seine Haare; sie berührten seinen Kragen. Er hatte einen Friseurbesuch dringend nötig. Gekleidet war er, wie sich das für einen Arzt gehört, ganz in weiß, wobei die enge weiße Kleidung es sehr gut erkennen ließ, wie schlank er war. Von der Größe her überragte er mich nur wenig, allerdings bin ich mit 1,75 auch für eine Frau recht groß.