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30. Oktober 2008

Fremde Welten – Teil 2/3 Science Fiction

Meine verschiebbare Wohnkapsel war für den Abend wieder einmal umgeparkt worden. Nur die ganz Reichen können es sich heutzutage noch leisten, eine feste Adresse zu haben. Obwohl es Planeten geben soll, die noch nicht so überbevölkert sind wie die Erde. Wir könnten ja auch einfach auswandern. Das sagt man uns jedenfalls immer, wenn wir uns förmlich über ein solches Umparken beschweren. Aber das mit der Umsiedelung auf einen anderen Planeten ist nicht einfach; der Bürokratie-Aufwand dafür verschlingt Monate. Und dann muss man ja auch erst einmal einen Job dort finden, denn ohne gesicherten Lebensunterhalt erlaubt kein Planet die Zuwanderung.

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Obwohl ich also morgens nie weiß, wo ich mich abends ins Bett lege, ist es natürlich kein Problem, eine Wohnkapsel zu finden. Ein eingebauter Chip und unser Sozial-Navi-System auf dem Cepi führen uns überall hin. Eine Wohnkapsel ohne oder gegen den Willen des Eigentümers öffnen können allerdings nur wenige; unsere Earth Security oder ES, die Kontrolleure, die es inzwischen von jeder bekannten und auch etlichen unbekannten Organisationen gibt und noch ein paar Leute. Okay, ich gebe zu, so ganz sicher fühlt man sich unter diesen Umständen nicht mehr im eigenen Heim, aber doch relativ geschützt. Wenigstens solange man nicht groß auffällt, hat man zu Hause seine Ruhe. Die Kontrollen in Zusammenhang mit meinem geplanten Jobwechsel hatte ich alle schon hinter mir. Umso erstaunter war ich, als mein E-Pad mir an diesem Abend eine neuerliche Kontrolle meldete. Die Kontrolle abzuweisen, kam nicht in Frage. Es war schon kritisch, per E-Pad nach dem Grund für die Kontrolle und der ID des Kontrolleurs zu fragen. Seufzend öffnete ich mit einem Klick die Kapselpforte, verärgert, genervt, aber eigentlich noch recht gelassen. Bei mir konnten sie nichts finden außer meinen wenigen verbleibenden Zigaretten. Und die waren gut versteckt. Wegen solcher Kleinigkeiten machte man sich aber auch nur selten den Aufwand einer Durchsuchung; da ging es schon meist um andere Dinge – und insofern hatte ich nichts zu befürchten.

Meine Gelassenheit verschwand schlagartig, als ich Jonit hereinkommen sah. Ich war nicht einmal vollständig angezogen; trotz routinemäßiger stichprobenartiger Überwachung der Wohnkapseln haben wir uns inzwischen alle daran gewöhnt, auch einmal wie ich gerade im bequemen Kimono herumzulaufen – schließlich wollte ich gerade unter die Vitaldusche gehen – oder sogar ganz nackt. Pornos für die Überwacher, nennt meine Freundin Kim das. Wenn es einen Menschen gab, vor dem ich mich jedoch auf keinen Fall nackt und nur mit einem dünnen seidigen Stoff mangelhaft umhüllt zeigen wollte, dann war das Jonit. Andererseits war ich bei einem Ageloru wiederum völlig sicher vor irgendwelchen anzüglichen Hintergedanken. Auf Agelor kennt man keine Erotik. Die Fortpflanzung verläuft streng geplant, und die dafür nötigen Körperfunktionen werden durch elektrische Impulse ausgelöst. Trotzdem – gerade weil ihm Nacktheit so völlig fremd sein musste, schämte ich mich, dass der Kimono meine nackten beine zeigte, sogar bis hoch in meinen Schoß, denn bei dem glatten Material hält der Gürtel nicht sehr gut und der Stoff fällt immer vorne auseinander. Hastig griff ich nach den Händen und hielt sie mit der Hand zusammen. Ich hätte erwartet, dass er gar nicht hinsah; aber ich spürten seine Blicke so real wie heiße Berührungen, auf meinen Schenkeln, auf meinen Armen, und es kam mir so vor, als könne Jonit sogar den dünnen Stoff des Kimono durchdringen. So unbehaglich hatte ich mich noch nicht oft in meinem Leben gefühlt. Was wollte er hier?

Als ob er meine nur gedachte Frage gehört hätte, sagte Jonit leise: „Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen.“ Verwundert sah ich ihn an. Was sollte das jetzt? „Setzen Sie sich„, sagte er; so bestimmt, dass ich nicht zu protestieren wagte. Verkrampft nahm ich auf einem Sessel Platz. Er setzte sich nicht; er lief unruhig im Zimmer umher; so, als hätte er Angst vor etwas. Vor der Geschichte, die er mir erzählen wollte? Vor meiner Reaktion darauf? Und können Ageloru überhaupt Angst haben? Ein paar Minuten vergingen. Sie zogen sich endlos in die Länge, die Stille summte in meiner kleinen Wohnkapsel. Und dann, ganz unvermittelt, begann Jonit zu erzählen. „Vor langer Zeit, als es noch keine Raumschiffe gab und wir Ageloru unter uns blieben, gab es auf diesem Planeten einmal zwei Menschen, die sich liebten. Ich muss Ihnen sicherlich nicht sagen, wie ungewöhnlicher dieser merkwürdige Zustand von Körper und Geist auf einen Ageloru wirkt, denn man auf der Erde und anderswo Liebe nennt. Sie wissen, wie auf Agelor der nachwuchs entsteht. All das, dass sich zwei Ageloru zusammentun, dass sie Kinder bekommen, das ist für uns eine reine Notwendigkeit, damit wir nicht untergehen. Wir erfüllen es wie jede unserer anderen Pflichten. Aber bei diesen beiden war es anders. Für sie gab es nichts Wichtigeres als einander. Die anderen Ageloru verstanden das natürlich nicht, und sie billigten es erst recht nicht. Anfangs störten sie sich nicht sehr an dem Anderssein der beiden Liebenden. Aber mit der Zeit fiel ihnen auf, daß dieses Anderssein den reibungslosen Ablauf der Dinge auf Agelor störte. Die beiden Liebenden trennten sich nur ungern voneinander, und für sie kam statt der Gesamtheit der Ageloru immer als erstes der andere, und das brachte eine ziemliche Unruhe mit sich. Und eines Tages beschloss der Rat von Agelor, dass es so nicht weitergehen konnte; es musste etwas geschehen. Sorgfältig wog man die Möglichkeiten ab, die man hatte. Es waren eigentlich nur zwei: Man konnte einmal die Liebenden zwingen, sich den anderen anzupassen. Oder man musste sie aus der Gemeinschaft ausschließen. Man überlegte hin und her und kam zu dem Schluss, dass man es zunächst einmal mit der ersten Möglichkeit versuchen würde. Man verlangte also von den Liebenden, dass sie sich so oft trennten, wie es nötig war, und man verlangte von ihnen, die Interessen aller über die Interessen des geliebten Menschen zu stellen.

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Die beiden taten ihr Möglichstes. Sie konnten es aber nicht verhindern, dass diese Anpassung sie sehr viel Mühe kostete, und dass vor allem die häufigen Trennungen sie in der Seele so verletzten, dass die beiden krank wurden und ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen konnten.. Nach einer Weile musste der Rat feststellen, dass es so nicht ging, und dass sie nun also doch zur letzten Konsequenz greifen mussten. So wurden die beiden Liebenden aus der Gemeinschaft der anderen Ageloru ausgeschlossen. Sie wurden von ihren bisherigen Aufgaben entbunden und in eine Behausung weit weg von den anderen verbannt. Es fiel ihnen allerdings nicht schwer, sich damit abzufinden, denn sie hatten ja einander. Und so lebten sie eine Zeit lang glücklich und zufrieden.“ Jonit holte tief Luft. „Dies ist der Teil de Geschichte, der historisch belegt ist„, erklärte er. „Für den Rest gibt es keine Belege. Außerdem ist er durch das viele Weitererzählen vor allem auf anderen Planeten, die natürlich ihre Freude daran hatten, uns Ageloru ebenso irrwitzige, fantastische Dinge anzuhängen, wie sie sie für ihre eigene Vergangenheit erfunden hatten, massiv verändert worden. Die letzte, heute bekannte Fassung, ist so aberwitzig, dass ich sie bisher nie ernst genommen habe. Doch Sie haben mich zum Nachdenken gebracht. Ich werde Ihnen den weiteren Verlauf der Geschichte so erzählen, wie er auf Ihrem Planeten überliefert worden ist; als ein Märchen, das in einem Ageloru nichts als Erstaunen weckt. Sie werden sich in unsere Denkweise aber nicht ausreichend hineinversetzen können, um es zu verstehen, wenn ich es so erzähle, wie wir auf Agelor die Geschichte erzählen.

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28. Oktober 2008

Fremde Welten – Teil 1/3 Science Fiction

Natürlich brachte ich morgens keinen Bissen herunter. Meine widerspenstigen Haare erlebten mehrfach das Ereignis Schaumfestiger-Fönen-Zupfen-und wieder nass machen; mein Make-up, ohnehin nicht meine starke Seite, brachte mich diesmal vollends zur Verzweiflung, und erst die fünfte Auswahl an Klamotten blieb auf mir drauf. Allerdings nicht etwa, weil mir das Abbild besonders gefallen hätte, das mir dabei aus dem Spiegel linkisch entgegengrinste, sondern weil keine Zeit mehr war für ein erneutes Umziehen. Schließlich hatte ich meinen Cityglider auf acht Uhr bestellt. Er kam dann auch, relativ pünktlich, um zehn Minuten nach. Das entlockte mir ein zufriedenes Lächeln, als ich eingestiegen war. Ich hatte nämlich mit der üblichen Verspätung von etwa 20 Minuten gerechnet und das Ding deshalb eine halbe Stunde früher als nötig angefordert.

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Da konnte ich wieder einmal richtig stolz auf mich sein, dass ich so vorausschauend geplant hatte. Allerdings führte das natürlich auch dazu, dass ich fast eine halbe Stunde zu früh am Ziel war. Jetzt eine Zigarette, dachte ich. Aber das ließ ich doch lieber sein. Erstens war es sowieso verboten, und wenn man mich erwischt hätte, hätte ich mir den neuen Job gleich abschminken können. Außerdem war ich nicht sicher, ob mein Vanille-Parfüm und ein Pfefferminzbonbon gegen den Geruch ankommen würden. Und schließlich und endlich besaß ich bloß noch drei Zehner-Packungen, und die Aussichten auf Nachschub waren mau. Meinen Dealer hatten sie vorige Woche doch erwischt. Zum Glück gehört er noch zu den altmodischen Leuten, die ihre Kunden- und Lieferanten-Listen im Kopf haben statt im CPMWI, dem Cepi. Nicht ganz so vielseitig, das Gehirn, aber dafür immer noch etwas sicherer vor fremden Eingriffen. Es kommen zwar immer wieder Gerüchte auf, dass die Regierung mit neuen Wahrheitsdrogen experimentiert, aber irgendwie glaube ich nicht, dass sie das auch bei so kleinen Fischen tun. Hoffentlich habe ich recht damit!

Apropos Cepi, meine Mailbox hatte ich natürlich heute morgen vor lauter Aufregung auch noch nicht kontrolliert, obwohl mich der Incoming Mail Alert beim Weckruf darüber informiert hatte, dass neue Mails eingegangen waren. Ein langes Mail von meiner Freundin Sylvia – das musste leider warten bis nachher. Dann die Bestätigung des Termins für das Vorstellungsgespräch. Na, besser spät als nie. Zum Glück war es keine kurzfristige Absage. Langsam wurde es Zeit hineinzugehen. Angesichts der 60 Stockwerke musste ich damit rechnen, längere Zeit zu brauchen bis zur Ankunft bei meinen Gesprächspartnern. Es heißt zwar immer, dass es reicht, wenn man sich pünktlich beim Empfang meldet. Aber irgendwie glaube ich das nicht. Die Gesprächspartner in ihren Zimmern warten doch nicht geduldig die Minuten, die man danach noch braucht, und bleiben trotzdem gut gelaunt. Es klappte alles wie am Schnürchen, zwei Minuten vor der vereinbarten Zeit saß ich in einem kleinen Besprechungsraum in der vorletzten Etage, von der Sekretärin bereits mit Kräutertee und Vitola versorgt. Auf die Sekunde pünktlich – ich war gerade dabei, meinen Date Remind Alert auszustellen – erschien dann Uloglu, seines Zeichens Personalchef von Universal Computers (UC), zusammen mit Brandmeier, einem der zahlreichen Geschäftsführer, und kurz darauf erschien auch Haydon, der Ausbildungsleiter für das Projekt, für das ich mich beworben hatte. Ich war nicht gerade begeistert davon, erst einmal ein halbes Jahr Ausbildung hinter mich zu bringen, bevor es endlich richtig losging. Aber falls sie mich als völligen Neuling auf dem Gebiet der Raumfahrt überhaupt akzeptierten und mich auf ein Schiff ließen, musste ich froh sein. Die sechs Monate Vorbereitung waren dann ein kleiner Preis für die Erfüllung eines meiner größten Träume.

Nach ein bisschen Höflichkeitsgeplänkel ging es voll zur Sache. Es war ein absolut typisches Vorstellungsgespräch. Zuerst verlor man auf der Seite der anderen ein paar Worte zur Firma (als ob ich das nicht alles schon wüsste, und es wurde natürlich auch erwartet, dass ich mich entsprechend vorbereitet hatte, so dass das alles eigentlich überflüssig war; aber wahrscheinlich ist es immer wieder schön, die klangvolle Zusammenfassung der History und der Erfolge von sich zu geben). Dann zu meinen Qualifikationen, meiner Berufserfahrung. Und natürlich fehlten auch nicht die Fragen „Wie stellen Sie sich denn so die Position vor, für die Sie sich beworben haben“, und „Was hat Sie denn bewogen, sich gerade für die Raumfahrt zu entscheiden“, und so weiter. Haydon schrieb meine Antworten eifrig mit und las auch immer wieder in meinem CV und den anderen Bewerbungsunterlagen nach, ob ich entweder die Wahrheit sagte, oder aber meine Lügen wenigstens gut genug beherrschte, um mir nicht zu widersprechen. Es lief eigentlich alles ganz gut, die Atmosphäre wurde immer entspannter, man lächelte und machte kleine Scherze, und alles sah schon nach einer Verabschiedung mit dem üblichen „Wir werden uns bei Ihnen melden“ aus. Aber plötzlich schien Haydon etwas einzufallen, und nach einem kurzen Getuschel zwischen den Herren griff er zu seinem CPMWI und telefonierte. Dann erklärte er mir mit einem strahlenden Gesicht, „Wir wollen Ihnen gerne noch Jonit vorstellen, den ersten Offizier auf dem Raumschiff, mit dem Sie dann mitfliegen werden, falls wir uns für Sie entscheiden sollten!“ So, wie er das sagte, hatte ich den Eindruck, sie hätten sich bereits für mich entschieden. Warum sonst hätten sie mich auch noch dem ersten Offizier vorführen sollen? Und das trotz der Masse anderer Bewerber. Aber noch ist nicht aller Tage Abend, sagte ich mir, und ich behielt recht damit. Plauder, plauder. Man unterhielt sich über belangloses Zeug, und ich machte mit, um zu zeigen, wie entspannt ich war. Jonit ließ sich Zeit. Aber plötzlich war er da und saß schneller neben Haydon, als ich den Kopf heben konnte. Seine Begrüßung bestand lediglich aus einem kurzen Kopfnicken.

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Ich war begeistert. War dieser Mann schön! Jonit war ein Ageloru; groß, schlank, aber muskulös, blauschwarzes Haar, intensiv-dunkle Augen, wahrhaft aristokratische Gesichtsform. Kurz: Zum Verlieben – wie fast alle Ageloru. Irgendwie scheinen sie auf diesem Planeten die Schönheit gepachtet zu haben. Und den Verstand noch dazu. Lauter Spitzenleute. Bloß mit den Gefühlen hapert es ein bisschen – in ihrer eigenen Sprache gibt es nicht einmal ein richtiges Wort dafür. Und in ihrem Gehirn keinen Platz – das Gefühlszentrum fehlt ihnen fast völlig. Alles reine Logiker, aber das in Reinkultur. Naja, man kann nicht alle haben. Sonst wäre es ja auch zu ungerecht den Bewohnern anderer Planeten gegenüber. Wann immer von einem Ageloru die Rede war, sprach man auch heute immer noch von einer Geschichte, die vor Jahrhunderten auf der Erde verbreitet worden war, damals noch über altmodische Geräte zur reinen einseitigen, non-interaktiven Bildbetrachtung, sogenannte Fernseher, die Geschichte des Raumschiffs Enterprise, Startrek, mit ihrem Mr. Spock, einem Vulkanier. Die Erfinder dieser Geschichte hätten es sich sicherlich nicht träumen lassen, dass es solche Menschen tatsächlich gibt, allerdings nicht auf dem Planeten Vulkan – ein solcher Planet existiert gar nicht-, sondern auf Agelor. Jonit warf einen schnellen Blick auf Haydons Unterlagen, musterte mich kurz und stellte dann die Frage, vor der ich mich die ganze Zeit gefürchtet hatte. „In Ihrer Referenzarbeit bei Abschluß des Studiums äußern Sie sich sehr kritisch zum Thema Raumfahrt. Heute streben Sie eine Stelle in genau diesem Bereich an. Woher der plötzliche Sinneswandel?“ Die anderen drei waren wie erschlagen. Ich hatte fest darauf vertraut, dass sie sich die Mühe nicht machen würden, meine Referenzarbeit zu lesen. Damit hatte ich ja auch richtig gelegen. Ohne Jonit hätten sie diesen Widerspruch nie bemerkt.

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