Philip ist ein sehr guter Freund von mir. Eigentlich ist er sogar mein bester Freund, obwohl er ein Mann ist und es immer heißt, zwischen Mann und Frau gibt es keine Freundschaft, sondern nur Sex oder gar nicht. Sex mit Philip kam für mich von Anfang an nicht in Frage, denn als ich vor etwas über einem neuen Jahr in die Firma gekommen bin, in der er schon viele Jahre war, war es mit das erste, was ich an Klatsch zu hören bekam: Philip ist das, was man auf Englisch einen „Womanizer“ nennt.
Ein Schürzenjäger, ein Mann, der keinem Flirt und keinem Sexabenteuer aus dem Weg gehen kann. Der erste, der mir das berichtete, war sein Freund und Kollege Ronny; und zwar in seiner Gegenwart.
Philip hatte immerhin den Anstand, bei diesen Worten verlegen zu werden. Ich fand das absolut unfair von Ronny, so etwas zu sagen, und Philip tat mir beinahe leid in diesem Augenblick. So lächelte ich, gab ihm die Hand und sagte: „Freut mich, dich kennenzulernen, Philip. Und dass jemand, der so gut aussieht wie du, bei den Frauen beliebt ist, kann ich mir gut vorstellen.“
Überrascht sah er mich an. Ich hatte die peinliche Situation gerettet – und die hämische Bemerkung von Ronny sehr geschickt in ein Kompliment für ihn verwandelt. Wahrscheinlich war es das, was für ihn die Basis unserer Freundschaft bildete. Für mich war es die Tatsache, dass er mich bei unserem Chef, einem Mann, für den das Wort „streng“ eine massive Untertreibung wäre, mehrfach in Schutz nahm, wenn der mich wieder einmal durchweg zu Unrecht zur Schnecke machte; und zwar auch öffentlich auf unseren Meetings.
Freundschaft hin oder her – mehr kam für mich nie in Frage, so gut Philip auch tatsächlich aussieht. Und so charmant er auch sein kann. Ich werde nie einen Mann lieben können, den ich mit anderen Frauen teilen muss. Und wenn es um puren Sex gegangen wäre – dafür war mir die sich so rasch entwickelnde sehr gute Freundschaft zwischen uns dann doch zu schade, sie für ein reines Sexabenteuer aufs Spiel zu setzen.
Philip akzeptierte dies, ohne dass wir je darüber geredet hätten; er spürte es einfach von selbst. Und nie versuchte er, mich irgendwie zu umgarnen, mich zu verführen oder so. Bei mir verzichtete er sogar auf die zweideutigen Komplimente, die alle anderen Frauen von ihm zu hören bekamen. In gewisser Weise war ich stolz auf diese Sonderbehandlung. Sie zeigte mir, dass ich für Philip eine Ausnahme war. Und da für ihn, wenn man es einmal so will, alle Frauen außer mir mehr oder weniger erotisches Freiwild sind beziehungsweise waren, ist das ein echtes und sehr tiefes Kompliment.
Trotz meines eindeutigen Nein zu jeder Form sexueller Annäherung trafen wir uns aber oft auch privat; so wie Freunde sich halt treffen, mal nach Feierabend oder mal an einem Wochenende. Wir gingen miteinander essen, wir gingen miteinander ins Kino, wir trafen uns mit seinen Motorradfreunden, mit unseren Arbeitskollegen, mit meinen Freundinnen (die er alle im Sturm eroberte; allerdings besaß er den Anstand, sich keiner wirklich zu nähern) oder unternahmen andere Dinge.