09. Juli 2008

Fetisch Roman – Kapitel 29 – Offenheit – Sichtweise Antje

Also wieder einmal nach Feierabend in Sir Elias‘ SM-Laden. Ich bin wirklich gespannt, wieviel Besprechungen dort noch stattfinden werden wegen der Sache mit Bernd. So, wie Alexander am Telefon geklungen hat, als er mich zu sich bestellt hat, kann es allerdings auch genauso gut sein, daß es die letzte ist.

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Die nette Verkäuferin ordnet den Stapel der Magazine, den die Kunden regelmäßig durcheinanderbringen. Obwohl wir uns sonst immer sehr herzlich begrüßen, würdigt sie mich diesmal keines Blickes. Das Barometer hier steht also eindeutig auf Sturm.

Eine Kundin ist auch noch da, und Alexander ist sehr vertieft in das Gespräch mit ihr; ungewöhnlich vertieft, was mich ein wenig stutzen läßt. Aber egal, es ist noch jemand da. Also schön brav „Sir Elias“ sagen und ganz unverbindlich tun. Und ein wenig dumm in der Gegend herumstehen, bis er Zeit für mich hat. Mein Laune, ohnehin schon allenfalls im Basis-Camp, steigt weiter hinab. Bloß daß unten keine bunte Menschenmenge wartet, die den erfolgreichen Abstieg bejubelt.

Jetzt sieht Alexander hoch. Er kommt herüber zu mir, streicht mir mit den Fingerspitzen ganz sanft über die Wange und fragt leise: „Es tut mir leid, es kann noch ein paar Minuten dauern. Darf ich dich nach hinten führen?“ Ich bin etwas perplex über seine Reaktion. Tut es ihm etwa leid, mir gleich die Meinung sagen zu müssen?

Im Hinterzimmer mache ich es mir auf dem Sofa bequem. Alexander zögert. „Nun mach schon – deine Kundin wartet,“ dränge ich. „So eilig habe ich es nicht, daß du mir den Kopf wäschst!

Es dauert fast eine Viertelstunde, bis er zurückkommt. Auf einem kleinen Kocher macht er Wasser heiß, brüht uns eine große Kanne Tee auf. Aha, es wird also ein längeres Gespräch.

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Dann sitzen wir uns gegenüber, und keiner wagt es, als erster den Mund aufzumachen. Schließlich gebe ich mir entschlossen einen Ruck. „Alexander, bringen wir es hinter uns. Es ist richtig, ich habe als – seit einiger Zeit nur passives, aber doch – Mitglied deines SM-Stammtischs Bernd, einem anderen Mitglied, damit gedroht, seinen Arbeitgeber und seine Kollegen über seine bizarren Neigungen zu informieren. Ich weiß, daß das ein Ausschlußgrund ist, und ich werde den Ausschluß selbstverständlich akzeptieren. Nur, bitte, verlang nicht von mir, daß ich mich bei Bernd dafür entschuldige; ich hatte meine Gründe dafür, zu solch einer unfairen Methode zu greifen. Und ich habe eine noch viel größere Bitte: Wenn du es über dich bringst, brich den Kontakt zu mir nicht ab. Mir liegt sehr viel an dir. Und es würde mir ganz ausgesprochen leid tun, wenn dieser Mistkerl es hinkriegt, daß wir nichts mehr miteinander zu tun haben.

Alexander schweigt lange, und nur das Brodeln des Wassers und das Klirren der Tassen sind zu hören. Dann schwingt er seine ellenlangen Beine in der schwarzen Lederhose (seltsam – erst dabei fällt mir auf, daß ich ihn nie vorher in Leder gesehen habe – zwar meistens in schwarz, aber noch nie in Leder) in den Sessel neben mir. „Ich möchte dir etwas erzählen, Antje,“ beginnt er.

Es kostet ihn ersichtlich Mühe zu sprechen, denn zunächst einmal schweigt er lange. Bis er endlich tief Luft holt und beginnt:

Den Laden hier und den Stammtisch, das alles mache ich erst seit knapp zwei Jahren. Und damit habe ich praktisch aus der Not eine Tugend gemacht. Vorher war ich Arzt. In einem Krankenhaus. Es war nicht das Krankenhaus hier – ich habe vorher in einer anderen Stadt gelebt. Meine damalige Lebensgefährtin hat mich vor etwa acht Jahren das erste Mal mit SM in Berührung gebracht. Sie war allerdings dominant und hat versucht, mich für die devote Rolle zu erziehen. Das hat überhaupt nicht funktioniert, und wir haben uns danach auch sehr bald getrennt. Allerdings hat die Faszination dieser Spiele ihre Widerhaken in mir hinterlassen; ich bin davon nicht mehr losgekommen. Dann habe ich erst sehr viel gelesen; alles, was ich zum Thema SM in die Finger bekommen konnte. Über eine Anzeige habe ich schließlich eine devote Frau kennengelernt. Wir waren über fünf Jahre zusammen und haben so ziemlich alles ausprobiert, was uns in den Sinn kam. Es war nicht ganz 24/7, aber doch nahe daran. Irgendwann habe ich jedoch gemerkt, daß mich das auffrißt – immer die Initiative und die Verantwortung tragen, immer wieder neue Ideen für Sessions entwickeln, sie ständig auffangen und stützen. Ich kam mir irgendwie – einsam vor. Und so, als ob jemand ständig das beste von mir nimmt und nimmt, und nichts zurückgibt. Außer sexueller Lust. Aber das alleine reicht ja nicht. Sie hat dann auch ihre Arbeit aufgegeben mit der Begründung, ich verdiene ja genug für uns beide. Damit hatte sie außer mir gar nichts mehr in ihrem Leben, und sie klammerte mehr und mehr. Manchmal hat sie mich während der Arbeit jede halbe Stunde ans Telefon holen lassen, und nach Schichtende stand sie immer schon da, damit ich auch ja keine Überstunden mache. Das hat mir die Luft zum Atmen genommen. Ganz vorsichtig habe ich dann versucht, ihr klarzumachen, daß es so nicht geht. Zuerst hat sie – angeblich – überhaupt nicht verstanden, was ich wollte. Als ich dann notgedrungen deutlicher geworden bin, ist sie völlig ausgeflippt. Die Einzelheiten will ich dir ersparen – mir geht es hier nur um eine einzige der ganzen Sachen, die sie daraufhin angestellt hat. Sie hat sich beim Krankenhausleiter einen Termin geben lassen und ihm ganz haarklein erzählt, was ich in meiner Freizeit so alles treibe. Dasselbe hat sie bei einigen meiner Kollegen getan, die sie der Reihe nach angerufen hat. Es hat nicht lange gedauert, bis es herum war; auch bei den Patienten. Ich wurde behandelt wie ein Aussätziger, und nach kurzer Zeit hat man mir dringend nahegelegt, mir ein anderes „Tätigkeitsfeld“ zu suchen. Die Zeit danach war furchtbar; ich habe meine Arbeit im Krankenhaus leidenschaftlich gerne gemacht. Aber irgendwann habe ich beschlossen, aus diesem Stolperstein SM meinen neuen Beruf zu machen. Ein guter Freund hat mir mit ein paar Kontakten geholfen, und so bin ich hier gelandet, habe den Laden aufgemacht und den Stammtisch organisiert. Damals dachte ich, daß die Welt untergeht; und daß ich vor allem nie wieder einer Frau wirklich vertrauen kann. Aber du siehst, die Zeit schleift solche Gefühle rund wie Kieselsteine im Bachbett.

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Eine Weile starrt Alexander vor sich hin. Ich rühre mich nicht, gebe keinen Mucks von mir, um ihm Gelegenheit zu geben, in die Gegenwart zurückzukehren.

Endlich sieht er auf. „Du siehst also, welche Folgen es haben kann, wenn Dinge bekannt werden, von denen man nicht möchte, daß andere es erfahren. Und von denen man auch das Recht hat zu verlangen, daß sie nicht überall herumerzählt werden.

Bereust du deine Entscheidung, den Arztberuf aufzugeben?“ frage ich. Alexander zuckt die Achseln. „Ich weiß es nicht. Manchmal ja, manchmal nein. Ich genieße es, mich nicht mehr verstecken zu müssen. Aber mir ist sehr wohl klar, daß ich eigentlich abgeschoben in einer Nische lebe. Aber das …“ „Aber das ist hier nicht der entscheidende Punkt,“ falle ich ihm ins Wort. „Das weiß ich. Es gibt einen ganz anderen entscheidenden Punkt. Der allerdings für unser Gespräch jetzt ebenfalls nicht die geringste Rolle spielt. Trotzdem möchte ich ihn erwähnen. Du hast jetzt endlich eine Partnerin gefunden, bei der du es wagst, wieder zu vertrauen. Auch wenn du damit noch hin und wieder Schwierigkeiten hast. Die wirklich eine Partnerin für dich ist und kein anstrengender Klotz am Bein. Die du so sehr liebst, daß du notfalls für sie auf die gesamte sinnliche Magie verzichten würdest. Die aber dich wiederum so sehr liebt, daß sie dir Kontakte und Aktivitäten in dieser Richtung gestattet. Damit du du selbst sein kannst, und zwar ganz und nicht halb.

Der Blick, der mich trifft, ist undurchdringlich. „Du fragst dich, woher ich das weiß?“ bemerke ich sanft. „Ich habe mehr oder weniger geraten. Trotzdem war ich mir ziemlich sicher, daß ich mit meiner Vermutung richtig liege. Die Frau vorhin – das war keine Kundin, sondern deine Freundin, nicht wahr?“ Er nickt; und das Strahlen in seinen Augen dabei verrät mir viel mehr über die Tiefe dieser Liebe, als es noch so viele Worte könnten.

Und ich kann gerade das sehr gut nachvollziehen,“ fahre ich fort, „wie man auf der einen Seite jemanden so sehr lieben kann. Und dennoch Zuneigung empfinden zu anderen Menschen. Mit denen man möglicherweise auch erotische Erlebnisse teilt. Die die Liebe zu diesem anderen Menschen sogar noch bereichern und verstärken, nicht schmälern.

Alexander ist ganz in Gedanken versunken.

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Langsam wird es Zeit, zum eigentlichen Thema dieses Abends zurückzukehren; schließlich hat Alexander eine Aufgabe, die er erledigen muß. „Ich würde sehr gerne mit dir noch weiter darüber reden,“ schließe ich deshalb. „Aber momentan liegt erst einmal etwas anderes an. Also, ich akzeptiere den Ausschluß und werde beim Stammtisch nicht mehr erscheinen. Bei Bernd entschuldigen werde ich mich jedoch nicht.

Was war denn eigentlich mit Bernd?“ will Alexander nun wissen. „So gut kenne ich dich schon, denke ich, daß du eine solche Drohung nicht grundlos aussprichst. Möchtest du mir erzählen, was passiert ist?

Nun kann ich mir ein leicht amüsiertes Lächeln nicht verkneifen. „Ich dachte schon, du fragst nie!“ „Ja, ich weiß, eigentlich hätte das am Anfang stehen müssen,“ entgegnet Alexander grinsend.

So sachlich, wie es mir möglich ist angesichts der ungeheuren Wut, die mich bei der Erinnerung daran aufwühlt, berichte ich von Bernds zahlreichen Anrufen zu den unverschämtesten Zeiten; von seinem hartnäckigen Drängen, mich mit ihm privat zu treffen, obwohl ich nach vorsichtig-zögernder Höflichkeit und vertröstenden Worten irgendwann sogar den Mut hatte, ihm ganz offen zu sagen, daß ich nichts mit ihm zu tun haben will. „Ich wußte einfach nicht mehr, was ich tun sollte,“ beende ich den Bericht. „Ich wollte ihn bloß noch endgültig loswerden. Deshalb habe ich zu diesem Mittel der Drohung gegriffen. Was ich zugegebenermaßen nicht hätte tun dürfen.

Hast du etwas dagegen, wenn ich diese Angelegenheit beim nächsten Stammtisch zur Abstimmung stelle?“ erkundigt sich Alexander. „Wenn man schon einmal den höflichen und angemessenen Umgang untereinander in Statuten regelt, dann stellt eine solch massive Belästigung in meinen Augen einen mindestens ebenso großen Verstoß dar. Man muß also entweder euch beide ausschließen, oder gar keinen. Was mir persönlich am liebsten wäre. Unter den Tisch kehren kann ich die Sache aber nicht, nachdem Bernd sie sozusagen offiziell gemacht hat.

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Das sollst du auch gar nicht,“ beeile ich mich, ihm zu versichern. „Weißt du, so viel liegt mir an dem Stammtisch gar nicht. Ich hatte nur erst befürchtet, daß du total sauer auf mich bist und mit mir nichts mehr zu tun haben willst. Das hätte mir sehr, sehr leid getan.

Und ein wenig böse warst du auch auf mich, wie ich dazu komme, Bernd so einfach zu glauben, ohne dich auch nur anzuhören,“ erklärt Alexander augenzwinkernd. Lachend muß ich ihm Recht geben. „Und was denkst du, sollen wir alles einfach beim nächsten Stammtisch besprechen?“ fragt er dann.

Ich bin kurz davor abzulehnen. Lieber akzeptiere ich den Ausschluß, als daß ich dabei sitze und zuhöre, wie der ganze Mist vor lauter fremden Ohren verhackstückt wird. Aber Alexander scheint etwas daran zu liegen. Und was kostet es mich schon, außer ein paar höchst unangenehmen Augenblicken? Vielleicht besteht genau dadurch sogar die Chance, daß die unvermeidliche berufliche Zusammenarbeit zwischen Bernd und mir auch weiterhin möglich ist.

Noch immer wenig begeistert, aber sehr bestimmt akzeptiere ich den Vorschlag.

Und stehe auf. Es war eine anstrengende Stunde, die ich jetzt hier verbracht habe. Wenn zwei Menschen sich einander ein wenig öffnen, kostet das immer Kraft. Ich bin aber sehr froh, daß es geschehen ist; glücklich vor allem, daß Alexander, der sonst immer so verschlossen ist, was private Dinge betrifft, diesmal auch sehr weit aus sich herausgegangen ist. Und stelle fest, daß ich ihn nun noch viel mehr mag als zu Beginn des Gesprächs.

Doch es wird Zeit aufzubrechen. Er wird sich nach seiner Freundin ebenso sehr sehnen wie ich mich nach David.

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Zum Abschied umarmen wir uns lange, und das Band unserer sich vertiefenden Freundschaft begleitet uns beide, als wir dem Zug des Bandes der Liebe folgen.

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