01. April 2008

Liebesspiele

”Liebe, Liebe, was ist das schon”, sagte Anne Halber zu ihrer besten Freundin Christina, kurz nachdem sie ihren Mann verlassen hatte. ”Doch nichts als eine völlig verrückte Einbildung, die dir nur Probleme macht!” ”Na, ich weiß nicht”, entgegnete Christina zögernd, ”ich glaube, ganz so einfach ist die Sache nun doch nicht. Also ich …” ”Also ich jedenfalls”, fiel Anne ihr ins Wort, ”ich werde mich in meinem ganzen Leben garantiert nie wieder verlieben!”

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”Ich muss dir dringend was erzählen, Christina”, sprudelte Anne einige Tage später am Telefon hervor. ”Du, stell dir vor, ich habe meinen Traummann gefunden! Du musst ihn einfach kennenlernen! Also, ich bin da gestern im Café gewesen, und da saß er, direkt am Nebentisch. Groß, schlank, dunkelhaarig, gut aussehend, einfach perfekt. Und sportlich ist er, und sooo intelligent, ich komme mir richtig dumm vor neben ihm. Ich habe mich erst gar nicht getraut, aber dann hat er mich so freundlich angelächelt, und dann habe ich ihn einfach angesprochen, und dann haben wir uns unterhalten, und dann habe ich ihn für heute Abend zum Essen eingeladen. Christina, sag doch was, was ist denn los, du bist ja so still!?” ”Du lässt mich ja gar nicht zu Wort kommen”, protestierte Christina, ”aber ich finde das toll für dich. Wie heißt er denn, dein Traummann?” ”Du musst gar nicht ironisch werden, er ist wirklich ein toller Typ. Also, Martin heißt er, Martin Naumann. Und er ist ja sooo süß!” ”Wo geht ihr denn hin zum Essen?”, fragte Christina. ”Na, wir bleiben natürlich bei mir. Wer weiß, was alles passiert, und da sind wir doch viel besser dran, wenn …” ”Wenn das Bett gleich nebenan steht”, lachte Christina. ”Du bist vielleicht direkt”, entgegnete Anne, ”aber gerade deshalb mag ich dich ja auch! Jetzt muss ich aber los, einkaufen und meine Bude aufräumen …” ”Und duschen und schminken und das kleine Schwarze anziehen und passende Musik suchen …” ”Genug, genug, du altes Lästermaul! Ich lass von mir hören!”

”Eh, du, mach endlich auf!” Christina klingelte Sturm an Annes Haustür. Nichts rührte sich. Christina klingelte weiter. Endlich ertönte der Summer. Christina raste hoch in den ersten Stock. Dort, in der Tür ihrer Wohnung, stand Anne, wie geistesabwesend, ein seliges Lächeln auf den Lippen. ”Sag mal, was ist denn mit dir los?”, überfiel Christina sie wütend, ”ich habe seit zwei Wochen nichts mehr von dir gehört! Ans Telefon gehst du anscheinend auch nicht mehr. Ich habe mir richtig Sorgen gemacht und gedacht, dir ist was passiert!” Sie musterte Anne von oben bis unten. ”Aber wie ich sehe”, fügte sie dann sarkastisch hinzu, ”scheint es dir ja richtig gut zu gehen!” ”Mir geht es so gut wie noch nie in meinem Leben”, flötete Anne. ”Ach ja? Er scheint also ein guter Liebhaber zu sein, dein Martin!” ”Oh ja, er ist fantastisch”, schwärmte Anne, ”wenn er mich nur ansieht, dann ist das so, als ob mich ein Windhauch von oben bis unten küsst, und sanfte Schauer laufen mir den Rücken rauf und wieder runter!” ”Na, dann pass nur auf, dass du dich nicht erkältest in diesem Windhauch”, bemerkte Christina zynisch, ”aber ich will dir deine Hochstimmung nicht verderben. Dir geht’s also wirklich gut?” ”Mehr als das, ich kann es gar nicht beschreiben, wie gut es mir geht!” ”Und ab wann kann ich damit rechnen, mal wieder was von dir zu hören – oder vielleicht sogar zu sehen?” ”Wie wär’s denn gleich mit heute Abend?” fragte Anne, und überlegte dann: ”Ach nein, das geht ja nicht, heute wollen wir ins Kino gehen. Und morgen sind wir im Theater, und am Wochenende fahren wir in den Schwarzwald, in Martins Wochenendhütte. Aber nächste Woche klappt es bestimmt!” ”Ach, lass nur”, sagte Christina, traurig und ein kleines bisschen wütend, ”melde dich einfach, wenn du mal Zeit hast.”

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”Bitte, Christina, bitte, du musst sofort rüberkommen”, flehte Anne, ”ich weiß nicht mehr, was ich tun soll!” ”Warte, warte, bleib mal am Telefon, mein Teewasser kocht, das muss ich erst abstellen”, erklärte Christina. Über die Leitung hörte Anne ein Klirren, gefolgt von einem lauten ”Scheiße!” ”So, da bin ich wieder”, sagte Christina. ”Was ist denn passiert?”, fragte Anne. ”Ach, mir ist nur die Tasse runtergefallen, nichts Schlimmes. Also, red schon, was ist los?” ”Das kann ich dir am Telefon nicht sagen, bitte, komm rüber!” ”Eigentlich passt mir das jetzt gar nicht”, murrte Christina, ”aber gut, weil du meine beste Freundin bist – ich komme auf einen Sprung vorbei. Ich muss aber spätestens in einer Stunde wieder weg, ich hab noch einen Termin.”

Ein paar Minuten später ließ Christina sich in Annes roten Lieblingssessel fallen. ”Magst du ein Glas Wein?” fragte Anne. ”Nein, danke”, antwortete Christina, ”ich muss ja noch Auto fahren. Aber nun erzähl schon!” ”Also”, begann Anne, ”Martin ist doch verheiratet.” ”Ach”, bemerkte Christina mit hochgezogenen Augenbrauen, ”das wusste ich ja gar nicht.” ”Hab ich dir das nicht erzählt? Na, egal, jedenfalls ist er es. Er hat mir aber erklärt, dass er sich mit seiner Frau längst nicht mehr versteht, und dass er sich sowieso von ihr trennen will.” ”Ach”, sagte Christina wieder, ”die alte Geschichte also! Meine Frau versteht mich nicht, und ich werde sie auch bald verlassen, aber einstweilen gehe ich mal jeden Abend zu ihr zurück.” Plötzlich fing Anne an zu heulen. ”Ganz so ist es doch gar nicht. Er meint es ja ernst mit mir. Aber jetzt …” – das Schluchzen wurde stärker – ”jetzt bin ich schwanger!” ”Das gibt’s doch nicht”, entfuhr es Christina, ”ich dachte, du nimmst die Pille!?” ”Nein, die habe ich doch vor ein paar Monaten abgesetzt, weil ich solche Durchblutungsstörungen in den Beinen hatte. Und da ist es halt passiert.” ”Und jetzt?”, fragte Christina. ”Ich weiß ja auch nicht. Am liebsten wäre es mir, wenn …” ”… wenn Martin sich scheiden lässt und zu dir zieht”, unterbrach Christina sie. ”Ja”, gab Anne kleinlaut zu. ”Dann frag ihn doch einfach, ob er dazu bereit ist!” ”Meinst du wirklich?” Annes Miene hellte sich sichtlich auf. ”Ja, klar, ruf ihn an, lade ihn ein, und frag ihn dann.” Anne sprang auf und umarmte ihre Freundin stürmisch. ”Ach, Christina, du hast mir ja sooo geholfen! Vielen Dank!” Christina wehrte Annes Überschwang verlegen ab. ”Ach was, ich habe doch gar nichts gemacht! Aber jetzt muss ich los!”

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”Stell dir vor, Christina”, erklärte Anne am nächsten Tag überglücklich, mit einem strahlenden Lächeln, das aus jedem Wort herauszuhören war, ”er ist einverstanden! Noch diese Woche wird er es seiner Frau sagen, und nächste Woche zieht er dann bei mir ein!” ”Na, das ist ja mal eine tolle Nachricht, meinen Glückwunsch, ich freu mich für dich! Aber nun werde ich dich wohl kaum noch zu sehen kriegen!?” ”Ach, Blödsinn, Christina, du bist und bleibst doch das Wichtigste in meinem Leben!” ”Ja, ja”, lachte Christina, ”das Wichtigste direkt nach Martin und eurem Sprössling!”

”Sag mal, Anne”, rief Christina aus, ”wie gut, dass ich dich zufällig treffe! Ich habe dich ja schon ewig nicht mehr gesehen, wir telefonieren immer bloß miteinander. Wie läuft es denn so mit Martin? Und wie geht’s dir und deinem Sprössling?” ”Ach, es geht so”, antwortete Anne ausweichend. ”Was ist denn los, gibt es Probleme?” ”Nein, nein, es ist alles in Ordnung.” ”Aber weißt du”, fuhr Anne dann zögernd fort, ”es ist schon etwas ganz anderes, ob du jemanden nur ab und zu siehst, oder Tag und Nacht, ob er nur auf einen Sprung vorbeikommt, oder ob er dir morgens seine schmutzigen Unterhosen hinschmeißt und seine Haare im Bad hinterlässt und nachts schnarcht und die Butter immer von allen Seiten gleichzeitig aufbraucht und deine Lieblingsmusik nicht mag und statt dessen immer Techno laufen lässt und das Einkaufen vergisst und dir dann das letzte Stück Brot wegfrisst und Nudeln nicht mag und und und!” Anne war ganz atemlos. ”Du liebe Güte, ist es so schlimm?” ”Ziemlich. Aber, Christina, es tut mir leid, ich muss rennen. Heute Abend kommen ein paar von Martins Kollegen vorbei, und ich muss noch alles mögliche besorgen. Komm doch mal wieder vorbei!”

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”Pass mal auf, Anne”, erklärte Christina, die es sich auf Annes hellem Leinensofa bequem gemacht hatte, mit einem Glas trockenen Weißwein in der Hand, ”ich finde, du übertreibst etwas. Du verlangst zu viel. Es dauert immer eine Weile, bis sich zwei Menschen aneinander gewöhnt haben. Das geht nicht von heute auf morgen. Warte doch einfach noch mal ein paar Wochen ab, bestimmt klappt dann alles schon viel besser.” ”Du machst es dir ja einfach”, schimpfte Anne, ”du sitzt da, locker zurückgelehnt, als völlig Unbeteiligte, und erteilst von oben herab gute Ratschläge!” Christina stellte das Glas mit einem Knall auf den Tisch und sagte scharf: ”Ich dachte eigentlich, du hättest mich auch um einen Rat gebeten. Aber anscheinend war das ein Irrtum. Nur, eines interessiert mich: Wenn du nicht hören willst, was ich dazu zu sagen habe, warum erzählst du mir das alles dann?” Als Anne stumm blieb, fügte Christina leise hinzu: ”Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe.” ”Geh doch, geh doch, lass mich ruhig allein mit meinen Problemen”, schrie Anne und stürmte ins Bad. Einen Moment lang blieb Christina sitzen, dann holte sie ruhig Mantel, Schal und Handtasche und verließ Annes Wohnung.

”Ich habe es nicht so gemeint, Christina, bitte bleib da”, flehte Anne, als sie ein paar Minuten später aus dem Bad herauskam. Aber das Sofa war leer.

Ein paar Monate waren vergangen. Die Freundschaft zwischen Anne und Christina hatte einen Knacks bekommen. Die beiden telefonierten zwar noch ab und zu miteinander, aber die alte Herzlichkeit wollte sich nicht wieder einstellen. Anne wurde langsam runder; immerhin war sie nun schon im fünften Monat schwanger. ”Was wird es denn”, fragte Christina bei einem Telefonat neugierig. ”Ein Junge”, erklärte Anne. ”Und wie soll er heißen? Martin junior?” ”Ach, Quatsch”, antwortete Anne empört, ”das würde mir gerade noch fehlen! Ein Martin reicht mir voll und ganz. Nein, ich dachte an Andreas.” ”Andreas”, sagte Christina verträumt, ”so hieß meine erste große Liebe!” ”Was, deine auch? Meine hieß nämlich ebenfalls Andreas”, rief Anne aus. Beide brachen in Lachen aus. ”Ich weiß gar nicht, was aus ihm geworden ist”, überlegte Anne dann. ”Wahrscheinlich ist er heute fett und rotgesichtig, hat eine Glatze und lässt die Strümpfe an, wenn er einmal im Jahr mit dir schläft”, fiel Christina ihr ins Wort und ergänzte dann: ”Aber ich muss los, Abendessen mit einem Kunden. Bis bald!”

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”Lang, lang ist’s her”, sagte Anne verlegen und hielt Christina einen riesigen bunten Blumenstrauß und eine Schachtel Pralinen entgegen. ”Meine Lieblingssorte, toll, dass du dich noch erinnerst”, freute sich Christina, ”und die Blumen sind herrlich! Aber steh doch nicht so verloren auf dem Flur rum, komm endlich rein!” Als beide Freundinnen saßen, fragte Christina neugierig: ”Und?” Anne sah sie unsicher an. ”Ich habe ihn rausgeworfen”, platzte sie dann heraus und fing an zu heulen. ”Und, tut es dir jetzt leid?” ”Aber nein, gar nicht, ganz im Gegenteil, mir geht es plötzlich so gut, ich bin ganz glücklich”, rief Anne. ”Und das Kind?” ”Nun, ich dachte, schließlich bin ich ja auch noch da, und außerdem wird er hoffentlich eine ganz tolle Patin haben und damit praktisch zwei Mütter.” ”Du meinst …”, fragte Christina atemlos. ”Na klar will ich dich als Patin! Ich meine, wenn du auch willst natürlich nur”, erwiderte Anne. Christina nahm sie wortlos in die Arme, und die beiden saßen an diesem Abend noch lange zusammen.

Eine Woche später saßen die zwei Freundinnen wieder zusammen „Liebe, Liebe, was ist das schon”, lamentierte Anne einige Wochen später. ”Ja, ich weiß”, lachte Christina, ”nichts als eine völlig verrückte Einbildung, die dir nur Probleme macht!” Die beiden Freundinnen, nun wieder ein Herz und eine Seele, saßen in Annes Wohnung, die eine auf einen Sessel, die andere auf das Sofa gekuschelt. Fünf Kerzen spendeten ein warmes, unaufdringliches Licht, das sich in den beiden Gläsern mit schwerem, dunklen Rotwein spiegelte, und im Hintergrund war leise Musik von Elton John zu hören. ”Also ich”, sagten die beiden dann wie aus einem Munde, ”ich werde mich in meinem ganzen Leben garantiert nie wieder verlieben!”

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