Ich habe Glück. Meier zieht zwar die Augenbrauen hoch, daß ich so spät aus der Pause komme, aber er sagt nichts, und dem Rest fällt es anscheinend nicht auf.
Meine Verspätung ist bald wieder ausgeglichen; ich kann konzentriert arbeiten wie selten. Als ich mir einen Tee holen will in der Küche, kommt Antje gerade von einem Auswärtsmeeting zurück ins Büro. In meiner guten Laune will ich irgend etwas fröhliches rufen, ihr ganz aufgeregt erzählen, daß ich Alexander getroffen habe, aber dann bemerke ich, wie sie aussieht. Irgend etwas muß passiert sein auf diesem blöden Meeting. Ich bin ganz erschrocken, frage besorgt, was los ist. Doch schon belegt sie jemand mit Beschlag. Sie lächelt mir nur lieb zu und verschwindet. Das beruhigt mich keineswegs; ganz im Gegenteil.
Unauffällig erscheine ich während der nächsten Stunden alle paar Minuten in ihrer Nähe. Sie ist so im Streß, daß sie es nicht einmal registriert. Da will ich sie auch nicht stören.
Es wird sechs Uhr abends, sieben Uhr, acht Uhr. Verdammt, die spinnt wohl! Bei aller Liebe, man kann es auch übertreiben! Unser Chef, der selbst schon längst im Feierabend verschwunden ist, hat es nicht verdient, daß sie sich für ihn so kaputtmacht.
Ab acht Uhr fange ich an zu drängeln, daß sie Schluß machen soll. „Ja, ich will nur noch schnell …,“ ist ihre Antwort jedesmal. Und schon steckt sie wieder bis über beide Ohren in irgendeinem Kram. Um viertel vor neun reicht es mir endgültig. Drohend baue ich mich vor ihr auf. „Wenn du jetzt nicht endlich freiwillig mitkommst und mir erzählst, was auf dem Meeting war, dann schleppe ich dich mit Gewalt hier raus!“
Es ärgert sie, daß ich so massiv werde. Sie kann es nicht leiden, wenn andere über sie bestimmen. Ja, aber wenn die Situation umgekehrt wäre und ich mich nicht vom Rechner losreißen könnte, während sie auf mich wartet, dann möchte ich sie mal hören!
Essen gehen will sie nicht. Bloß, ich habe einen mordsmäßigen Hunger und nicht die geringste Lust, noch etwas zu kochen. Sie kocht ohnehin allenfalls widerwillig. Außerdem sind wir beide nicht mehr gerade munter. Schließlich läßt sie sich überreden, und wir fahren in den Elfenmond. Blöder Name, aber ein Super-Lokal.
Es ist wieder die nette Bedienung da, mit der ich früher immer geflirtet habe; vor Antje. Es war schön, sich gegenseitig so ein bißchen mit Komplimenten und diesem ganz bestimmten Ton in der Stimme anzuheizen, mit diesem speziellen Lächeln. Laß ich das jetzt lieber? Ach, was, es wird Antje schon nicht umbringen. Schließlich hat sie mich ja nachher ganz alleine und exklusiv. Gisela würde ganz schön kucken, wenn ich auf einmal muffelig zu ihr wäre. Und sie hat’s in ihrem Job schwer genug.
Zu meiner Erleichterung nimmt Antje es tatsächlich ziemlich locker.
Kaum ist Gisela weg, nehme ich mir Antjes Hand. Sie ist total heiß. Sanft streichele ich jeden Finger einzeln, bitte sie, endlich zu berichten.
„Weißt du, ich war einige Male auf dem SM-Stammtisch, den Sir Elias hier organisiert,“ erzählt sie. Die Erwähnung von Alexander löst ein starkes Kribbeln in meinem Bauch aus. Am liebsten würde ich mit ihr jetzt sofort über das Mittagessen mit ihm sprechen, aber momentan paßt es wirklich schlecht. Und, Himmel, ich sollte jetzt nicht an Alexander denken, sondern ihr zuhören! „Dabei habe ich einen gewissen Bernd kennengelernt,“ fährt sie fort. „Er ist devot, war zu der Zeit „herrinnenlos“, wie er es nannte, und hat einige Male versucht, mit mir in ein Gespräch zu kommen. Aber irgendwie mag ich ihn einfach nicht, und dann war mir der ganze Stammtisch auch schnell zu blöde. Jedenfalls, heute war ich doch mit von Delten bei der Solvis GmbH, die dringend von uns jede Menge Software kaufen und angepaßt haben will. Und wen treffe ich da – ausgerechnet Bernd. Er scheint da eines der ganz hohen Tiere bei denen zu sein. Mich hat beinahe der Schlag getroffen. Und ihn wohl auch. Er war sowas von absolut unverschämt, wollte mich gar nicht dabeihaben, und hat mich dann immer wieder von der Seite angemacht. Es war so schlimm, daß von Delten ein paar Male auf ihn losgegangen ist. Irgendwann hatte ich dann genug und bin einfach verschwunden.“
Während Antje erzählt, regt sie sich mehr und mehr auf. Schlimm war es allerdings mit Sicherheit; bevor unser Chef einen seiner Mitarbeiter in Schutz nimmt, muß schon ein halber Mord passieren. Was kann denn diesen dämlichen Typen bloß veranlaßt haben, sich so daneben zu benehmen?
„Vielleicht hatte er Angst, daß du der Gesprächsrunde von seinen devoten Neigungen berichtest,“ überlege ich. „Angenehm wäre das sicher nicht für ihn, wenn seine Kollegen davon wissen.“
„Wenn er nicht will, daß jemand etwas davon erfährt, dann darf er sich nicht an Stammtischen sehen lassen,“ erwidert Antje trotzig. Oh je, das hat sie völlig in den falschen Hals gekriegt! Vorsichtig erkläre ich ihr, daß ich diesen Bernd keineswegs in Schutz nehmen, sondern nur herausfinden will, warum er sich so verhalten hat, damit sie besser reagieren kann.
„Bitte, entschuldige, David,“ sagt sie ganz kleinlaut. Hey, hey, daß sie ein schlechtes Gewissen hat, ist nun auch nicht nötig! „Oh, ich dachte, das gehört mit zu meinen Aufgaben als dein devoter Partner, den Blitzableiter zu spielen,“ versuche ich sie aufzumuntern. Tatsächlich muß sie lachen, und dann kommt einer dieser Blicke von ihr, die mir das Blut an gewisse Stellen treiben.
Plötzlich spüre ich eine leichte Berührung an den Waden. Antjes Fuß streicht daran entlang, wandert höher, bis in die Kniekehle. Obwohl sie ja an einer ganz anderen Stelle aktiv ist, sammeln sich in meinen Schulterblättern kleine Schauer und laufen mir über den Rücken. Ich lehne mich zurück, genieße es.
Aber halt, nein, das geht nicht. Erst einmal müssen wir das Thema Bernd fertig abhandeln. „Was wirst du jetzt tun?“ frage ich sie. „Wenn alles so läuft, wie von Delten sich das vorstellt, hast du in Zukunft sehr häufig mit der Solvis GmbH zu tun. Die Sache muß also irgendwie geklärt werden.“
„Das muß sie in der Tat,“ entgegnet sie. „Nur habe ich nicht die geringste Ahnung, wie ich das erreichen soll. Ich kann mir in etwa vorstellen, wie Bernd reagieren wird, wenn ich ihn anrufe und sage, daß ich dringend mit ihm sprechen muß.“
Da hat sie wahrscheinlich recht. Vielleicht kann sie noch einmal zu einem Stammtisch gehen und ihn dort zur Rede stellen? „Das habe ich mir auch schon überlegt,“ nickt sie. „Allerdings habe ich in der ersten Wut nur daran gedacht, wie sehr es ihn ärgern wird, wenn ich dort plötzlich wieder auftauche. Aber ich weiß ja gar nicht, ob er dorthin überhaupt noch geht.“
„Das wird dir doch sicher Sir Elias sagen können,“ erwidere ich eifrig und merke, wie ich knallrot werde.
Meine Strafe folgt auf dem Fuße. Nein, mit dem Fuße. Sie hangelt sich an meinem Oberschenkel entlang. Sie muß ziemlich lange Beine haben, daß sie dafür nicht einmal einen Zentimenter tiefer rutschen muß auf ihrem Stuhl. Ich ahne, was kommt, möchte vorbeugend die Schenkel zusammenpressen. Zu spät. Die Oberseite ihres Fußes drückt sich gegen meinen Schwanz, die Spitzen ihrer Zehen wühlen in meinen prallen Eiern. Mühsam unterdrücke ich ein Stöhnen.
„Bin ich daran schuld, oder ist es der Gedanke an Sir Elias?“ zieht sie mich auf. Oh Gott, Himmel, was soll ich darauf nur antworten? Die Wahrheit kann ich ihr unmöglich sagen; dann erschlägt sie mich! Ich winde mich, innerlich und äußerlich.
Forschend mustert sie mich. Dann lacht sie, und es ist ein ganz liebevolles Lachen. „Du mußt nicht antworten, David,“ sagt sie. „Es ist beides, ich weiß.“
Woher zum Teufel weiß sie das? Und wieso flippt sie jetzt nicht aus? Ungläubig starre ich sie an.
Was ist denn heute mit ihr los? Sie hat einen Schweineärger gehabt, und trotzdem wird sie weder sauer, wenn ich mit Gisela flirte, noch wenn sie weiß, daß mein Steifer nicht ihr alleine gilt. Da kenne sich einer aus mit den Frauen; ich hätte meinen Arsch verwettet, daß sie mir die Augen auskratzt deshalb!
„Das ist mir erheblich lieber, als wenn du den üblichen Traum hättest, es mit mehreren Frauen auf einmal zu tun zu haben,“ ergänzt sie. „Außerdem ist es nur zu verständlich; Alexander hat eine Ausstrahlung, die auch auf mich nicht ganz ohne Wirkung bleibt.“
Ich schwanke zwischen weglaufen wollen und ihr jubelnd um den Hals fallen. Und jetzt, genau jetzt, muß ich ihr erzählen, daß ich Alexander getroffen habe. Der mir die Augen dafür geöffnet hat, daß es vielleicht sogar möglich sein wird, dieser dreiseitigen Anziehung nachzugeben, sich einfach hineinfallen zu lassen. Nur sehr vorsichtig muß ich dabei sein, daß sie sich nicht hintergangen fühlt.
Noch immer bin ich dabei, nach den passenden Worten zu suchen, als sie bemerkt: „David, Träumen ist erlaubt. Und ich finde es sehr schön, daß wir auch diese Träume miteinander teilen können, die höchstwahrscheinlich nie verwirklicht werden. Und trotzdem wunderbar sind.“
Na, Mahlzeit! Es ist wie ein Guß kaltes Wasser. Also phantasieren darf man, aber nicht daran denken, die Phantasien auch umzusetzen. Feuchte Träume ja, aber die feuchte Realität nackter Haut, das ist nicht drin. Meine Begeisterung, die in Alexanders Gegenwart angefangen und bis eben angehalten hat, fällt in sich zusammen wie ein durchlöchertes Schlauchboot. Unter diesen Umständen muß ich auf jeden Fall den Mund halten, was das Mittagessen mit Alexander angeht. Nur, irgend etwas muß ich jetzt sagen. „Vielleicht auch gerade deswegen,“ murmele ich. „Die Realität wäre sicher manchmal weit weniger wunderbar.“
Oh, Alexander, es tut mir leid! Es ist ein kleiner Verrat an ihm, diese zwei Sätze. Ich fühle mich wie ein Tier in der Falle. Handlungsunfähig. Was auch immer ich von mir gebe, es trifft einen von beiden – Antje oder Alexander. Dann lieber Alexander.
Das Essen kommt. Inzwischen habe ich keinen Appetit mehr. Immerhin sorgt die Unterbrechung dafür, daß wir das peinliche Thema von eben verlassen und zu Bernd zurückkehren. Nicht, daß es viel angenehmer wäre, darüber zu reden.
Antje läßt nicht ab, mich mit ihrem Fuß zu bearbeiten. Obwohl ich eigentlich gar nicht mehr in Stimmung bin, reagiert mein bestes Stück ganz von selbst.
Ich will bloß noch nach Hause. Sehr bald lege ich das Besteck beiseite, rufe Gisela zum Bezahlen. Sie erkundigt sich besorgt, ob etwas mit dem Essen nicht in Ordnung war, weil mein Teller noch mehr als halb voll ist. „Es gibt Frauen, die zeigen einem sehr deutlich, daß es wichtigere Dinge gibt als Essen,“ entgegne ich und zwinkere ihr dabei zu.
Antje hakt sich bei mir ein, drückt sich an mich. Und wie, bitte, erkläre ich ihr jetzt, daß sie mich total mißverstanden hat und ich in nicht halb so erotischer Stimmung bin, wie sie denkt?
Verzweifelt flehe ich irgendein möglicherweise vorhandenes höheres Wesen um eine Eingebung an.
Und verfluche meinen Schwanz, der manchmal ein richtiges Eigenleben zu führen scheint.
Wie war das – er und ich …