So wunderbar hat dieser Tag angefangen – mit dem ersten gemeinsamen Morgen. Hat erstaunlich gut geklappt. Normalerweise versuche ich immer, die Frauen noch in der Nacht wieder loszuwerden oder selbst zu gehen, wenn ich bei ihnen bin. Wann immer das nicht ging, hab ich’s nachher bereut. Einfach ist Antje ja nun nicht gerade; schön war’s trotzdem, auch das mit ihr zu teilen.
Und dann fallen sie alle gleich reihenweise über mich her, bloß weil ich vielleicht ein paar Frauen mehr als üblich angemacht habe. Was heißt hier überhaupt üblich – wenn ich den Kollegen Meier mir gegenüber so ansehe, der kann zwar bei mir die Klappe aufreißen, aber wenn es um geile Frauen geht, versinkt er beinahe vor Scham, stottert bloß rum und bringt nichts zustande. Selbst bei den häßlichen. Bei den schönen könnte ich’s ja noch verstehen … Jedenfalls, wenn der an den Fingern die Frauen zusammenzählt, mit denen er in seinem Leben geschlafen hat, muß er auch froh sein, wenn er mehr als eine Hand dazu benutzen muß. Klar – dagegen wirke ich natürlich wie Casanova persönlich! Oder wie Narziß. Wobei Meier wirklich einen denkbar schlechten Goldmund abgibt.
Na und? Wenn mich nun einmal keine genügend reizt? Mich muß man halt mit Gewalt festbinden, damit ich bleibe. Apropos … Jetzt bloß nicht rot werden, sonst merkt der Meier was. Da bin ich ja bei Antje an die richtige geraten! Ein seltsames Gefühl, so gefesselt zu sein. Sich nicht bewegen zu können und ihr völlig ausgeliefert dazuliegen. Hätte nie gedacht, daß es real noch so viel intensiver ist als in meinen Phantasien. Ob sie das wohl wiederholt?
Nee, nun bestimmt nicht mehr; nachdem Lore und unser Chef so freundlich waren, sie auf meinen bisherigen exorbitanten Frauenkonsum aufmerksam zu machen. Wenn ich bloß mit ihr reden könnte, das alles richtigstellen. Aber sie sah vorhin nicht so aus, als ob sie bereit wäre, mir mehr als mörderische Blicke zuzuwerfen.
Oh, Scheiße – den Stimmen nach sind die Schweizer schon da. Was bildet sich dieses Arschloch von Chef eigentlich ein, mich für die als Alleinunterhalter einzusetzen? Na, allein wäre ich zum Glück ja nicht, Antje muß auch ran. Das ist allerdings kein großer Trost, so geladen, wie sie ist.
Aha, Großauftritt der hohen Tiere. Smile, smile, shake hands. Und das ist also die Tussi, um die ich mich laut Anweisung ganz besonders zu kümmern habe.
Oh je, eine Edelzicke!
Von den Klamotten, die sie trägt, kann man sich fast ein Auto kaufen. Papi hat wohl Geld; von dem, was sie verdient, kann sie das nicht bezahlen. Es sei denn, sie arbeitet nebenher als Nutte. Kann aber nicht sein; die gibt nichts von sich her. Und das schon gar nicht. Eine Tiefkühltruhe ist warm dagegen. Sehen soll man ihre dicke Titten ja durch die dünne Bluse. Bloß, wenn man sie dann anfaßt, gibt’s was auf die Finger. Und dieser grellrot geschminkte Mund ist bestimmt auch dann noch verächtlich gekräuselt, wenn es ihr kommt.
Keiser heißt die Puppe; ist IT-Manager oder so etwas. Das darf ja wohl nicht wahr sein! Wenn die Ahnung davon hat, dann will ich Egon heißen! Aber die Wahrscheinlichkeit ist nicht sehr groß, daß ich mich umtaufen lassen muß; das, was sie mir auf meine zwei hinterlistigen Fragen antwortet, würde bei uns nicht einmal der Azubi von sich geben!
Und die soll ich also mit meinem Charme becircen? Dann kann ich’s ja gleich bei unserem Chef persönlich versuchen! Vielleicht ist er nur so grantig, weil er auf Jungs steht und ihn schon lange keiner mehr in den Arsch gevögelt hat. Ich werde den Zustand bestimmt auch nicht ändern!
Nachdem die Schweizer allen vorgestellt worden sind, geht’s zum Mittagessen. Und nicht eine Sekunde kann ich mit Antje alleine sprechen. Meinen Blicken weicht sie aus; also bemühe ich mich, sie nicht mehr anzusehen. Sie ist schon verkrampft genug, auch ohne daß ich sie bedränge.
Besonders toll fühle ich mich auch nicht. Mein Kopf kommt mir vor, als sei er doppelt so breit und schwer wie sonst. Richtig katermäßig. Ja, betrinken, das wäre jetzt etwas. Den ganzen komplizierten Scheiß mit den Frauen vergessen!
Statt dessen muß ich hier Männchen machen und Geschichten erzählen.
Antjes Lachen lenkt meine Aufmerksamkeit zu ihrem Ende des Tischs. Was ist denn da los? Der Typ links von ihr sieht sie aus völlig verliebten Hundeaugen an, und der rechts von ihr legt ihr sogar vertraulich die Hand auf den Arm. „Finger weg!“ möchte ich am liebsten brüllen. Und sie, sie strahlt dabei noch, als ob es ihr gefallen würde. Pah! Soll sie doch! Sie wird schon sehen, was sie davon hat!
Immer wieder muß ich hinsehen. Es gibt einen Stich, wie sie da so ganz intim ihren Kopf zu dem einen herüberneigt.
Die beiden Tischnachbarn weichen auch nach dem Essen nicht mehr von ihrer Seite. Die Zeit schleicht dahin. Dann ist es wieder Zeit für Essen. Und es steht uns noch der ganze Abend bevor! Wenn man sich so anhört, wo die Herren am liebsten hingehen würden, steckt man sie am besten gleich in eine Peep-Show und läßt sie da.
Antje schlägt vor, eine Disco aufzusuchen. Das klingt schon besser. Es ist eine ziemlich neue, und ständig brechend voll, aber die Musik ist super.
Die Keiser will nicht so recht; ist ihr wohl nicht kulturell genug. Ja, gute Frau, Theater oder Oper können wir so kurzfristig nicht bieten! Vielleicht sollten wir sie ins Hip-high schleppen; wird sicher interessant zu sehen, wie sie auf die halbnackten Mädels dort reagiert. Aber wollen doch mal sehen, was passiert, wenn ich einmal kurz meinen angeblichen Charme einschalte.
Es funktioniert; auf einmal ist sie ganz wild aufs Tanzen.
Wir finden keinen Tisch, an dem wir alle Platz hätten. Mit einem Lächeln wie Messerklingen verkündet die Keiser, daß sie sich mit dem Katzentisch zufrieden gibt und zieht mich weg von den anderen. Weg von Antje.
Tanzen will sie natürlich nicht, lieber sich mit mir unterhalten, wie sie sagt. Nee, kommt gar nicht in die Tüte – wenn ich schon hier bin, will ich auch etwas davon haben!
Schon bald weiß ich, warum sie nicht tanzen wollte. Sie stolpert irgendwie herum. Grauenhaft! Führen läßt sie sich auch nicht. Schnell reicht es mir mit dem Paartanz; ich lasse sie los und schiebe meinen eigenen Stiefel. Wohl oder übel muß sie mithalten. Aber bloß nicht hinsehen, das macht den ganzen Spaß an der Musik kaputt.
Da ist Antje. Ja, wenn ich mit ihr tanzen könnte, würde ich bestimmt nicht auf Distanz gehen! Aber sie ignoriert mich vollständig.
Beim nächsten Song wirft die Keiser sich in meine Arme. Ausgerechnet; es ist mein Lieblingsstück von Meat Loaf, aber damit ist es mir versaut. Zähneknirschend fasse ich ihre Hand, berühre mit zwei Fingern ihre Taille. Und nun hilft es ihr nichts, jetzt übernehme ich die Führung. Und ab geht es in Richtung des Tischs der anderen.
Ich habe Glück – Antje schaut hoch, und unsere Blicke treffen sich. Es ist wie ein elektrischer Schlag.
Auf einmal ist mir alles egal. Ich lasse die Keiser stehen und gehe geradewegs zu ihr, bitte sie um diesen Tanz, ganz wohlerzogen, wie in der Tanzstunde.
Sie sagt nichts, sieht mich nur an und steht auf. Meine Knie sind so wackelig, daß ich fast fürchte, keinen Schritt machen zu können. Aber dann ist es doch ganz einfach. Bloß der Hemdkragen wird mir zu eng; ich kriege kaum noch Luft. Oh Mann, wenn wir jetzt woanders wären …
Das Lied wird leiser. Das nächste ist „Bright Eyes“. Antje legt mir die Arme um den Hals, ganz fest, und ich schließe meine um ihre Taille, ziehe sie so eng an mich, daß kein Millimeter Raum mehr zwischen uns ist, und noch immer ist es mir nicht genug.
„Oh, Scheiße, David,“ sagt sie, „ich glaube, ich liebe dich!“
Mir bleibt beinahe das Herz stehen. Genau das wollte ich auch gerade sagen. Habe mich bloß nicht getraut. So etwas sagt man nicht, habe ich mir selbst vor Jahren eingehämmert. Nicht einmal jetzt, wo sie es mir leicht gemacht hat, bringe ich es über die Lippen. Aber das kann ich nicht machen, einfach stumm bleiben wie ein Fisch. Sie soll wissen, was ich fühle, auch wenn ich es noch nicht aussprechen kann.
Der Song vorher war „You Took The Words Right Out Of My Mouth“. Und so flüstere ich einfach: „Meat Loaf“. Ich muß es einmal wiederholen, aber dann versteht sie. Und strahlt, als hätte einer in ihren Augen eine Kerze angezündet.
Ich könnte mich selbst in den Hintern treten. Warum, zum Teufel, habe ich ihr nicht einfach gesagt, daß ich sie liebe???