04. November 2008

Hausfrauenfreud und -leid – Teil 1/2

Ich bin jetzt schon so lange solo, ich weiß schon gar nicht mehr, wie das geht; einfach mit einem Mann flirten. Und natürlich sollte der Flirt ja auch noch weitergehen und in einem Sexabenteuer enden, denn ich brauche unbedingt mal wieder Sex. Ja, ich weiß, das klingt jetzt wirklich ziemlich lächerlich – schließlich bin ich schon eine reife Frau. 49 Jahre werde ich in einem Monat alt, und ich lebe schon viele Jahre ohne Sex. Eigentlich seit der Trennung von meinem Mann, und die ist jetzt schon fast drei Jahre her.

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Seitdem habe ich es aber nicht gewagt, aus meinem Schneckenhaus zu kommen und private erotische Kontakte zu suchen. Ich habe es einfach verlernt. Für Teenager Girls mag es ja noch angehen. Die müssen einfach nur irgendwo auftauchen, und schon können sie gleich ein Dutzend Verehrer haben und gehen bestimmt anschließend ohne Sex nach hause. Aber für reife Frauen wie mich? Noch dazu bin ich keine erfolgreiche Geschäftsfrau. Ich habe nicht einmal einen Beruf. Ich bin einfach nur eine reife Hausfrau. Ich hatte zwar einen Beruf, als ich geheiratet habe. Aber den habe ich dann für meinen Mann und für die Kinder aufgegeben, die jetzt allerdings schon lange groß und aus dem Haus sind. Da ist man doch wirklich eine Witzfigur – als reife Hausfrau ohne Ehemann und ohne Kinder. So ein Haushalt einer Solo Dame ist auch wirklich nicht viel Arbeit. Ich mache morgens ein bisschen was, und schon ist meine Arbeit als Hausfrau erledigt. Den Rest des Tages sitze ich herum und sehne mich nach dem erotischen Prickeln, das ich schon so lange nicht erlebt habe. Und wo sollte ich es auch erleben? Reife Hausfrauen kommen ja schließlich kaum unter Leute. Höchstens zum Einkaufen; und was muss man als Single schon groß einkaufen? Natürlich habe ich ein paar Freundinnen; aber das sind eben auch alles Frauen, da ist kein einziger Mann darunter. Immerhin kann ich meine Freundinnen fragen, wie man das denn nun als reife Hausfrau anstellt, Männer kennenlernen. Endlich mal wieder Sex haben. Meine Freundinnen sind reife Hausfrauen wie ich, und mit Sex sieht es bei ihnen auch nicht viel besser aus als bei mir. Die sind zwar alle noch verheiratet, aber alleine die Tatsache, dass da ein Ehemann ist, garantiert ja noch keinen Sex. Das weiß ich aus eigener leidvoller Erfahrung, und bei meinen Freundinnen ist es nicht anders.

Melina, eine meiner Freundinnen, meinte neulich noch scherzhaft, ich sollte mir den Sex doch genau da holen, wo reife Hausfrauen ihn angeblich immer herbekommen; vom Postboten oder von einem Handwerker. Ja, vielen Dank – die einzigen Handwerker, die hier ab und zu mal in meine kleine Wohnung kommen, das sind knurrige alte Männer, von denen ich nicht einmal dann gevögelt werden wollte, wenn sie Lust auf Sex hätten, und das haben sie ganz eindeutig nicht. Und bei den verschiedenen Postboten gibt es zwar einen jungen Mann, der mir sogar richtig gut gefallen würde, und der ist auch immer sehr nett, aber der ist mindestens 20 Jahre jünger ich und kommt deshalb als Sexabenteuer für reife Hausfrauen ja wohl nicht in Betracht. Eine andere Freundin, Katrin, hat mir gesagt, ich soll doch einfach in irgendeinen Verein gehen oder einen Volkshochschulkurs besuchen. Aber wetten, bei der VHS treffe ich nur andere reife Hausfrauen und keine interessanten Männer? Denn die haben doch für Volkshochschulkurse überhaupt keine Zeit. Und Vereine mochte ich noch nie.

Außerdem wird man ja nicht für private Erotikkontakte Mitglied eines Vereins. Da müsste mich schon auch das interessieren, worum es denn in diesem verein geht. Und da fällt mir auf Anhieb nichts ein. Sportliche Betätigungen sind nichts für reife Hausfrauen, die jahrelang zwar hart körperlich gearbeitet, aber bestimmt keinen Sport getrieben haben. Und ansonsten habe ich als einziges Hobby das Lesen – und das macht man nicht in einem Verein. Obwohl es da schon eine Möglichkeit gäbe – es hat jetzt gerade, das hat mir meine erwachsene Tochter erzählt, ein neuer Literaturkreis in der Stadt aufgemacht. Angeblich treffen sich dort die Menschen, die Bücher lieben, lesen gemeinsam, diskutieren über das Gelesene, fahren gemeinsam zu Lesungen von bekannten und weniger bekannten Autoren und solche Sachen. Das klingt schon sehr faszinierend. Trotzdem – ich kann doch da als reife Hausfrau nicht einfach auftauchen; das sind doch bestimmt alles Akademiker in guten Berufen und Intellektuelle, die reife Hausfrauen wie mich einfach nur belächeln. Das klingt schon danach. Würde es Lesekreis heißen statt Literaturkreis, würde ich mir das ja überlegen. Aber so? Nein, so sehr mich meine Tochter auch drängt, doch da einfach mal hinzugehen – sie hat mir sogar die Termine, wann dieser Literaturkreis sich trifft, aus der Zeitung ausgeschnitten und in meinem Kalender mit den traurig wenigen Eintragungen vermerkt – ich glaube nicht, dass das etwas für mich ist.

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Trotzdem ertappe ich mich an dem Mittwoch Morgen, bevor sich abends der Literaturkreis wieder treffen soll, dabei, dass ich es zumindest als Gedankenspiel in Betracht ziehe, dort einfach auch aufzutauchen. Immerhin befasst man sich dort ja mit einem Thema, das mich interessiert. Auch wenn ich private erotische Kontakte dort sicherlich nicht finden kann. Andererseits – warum nicht? Und einen Vorteil hätte die Sache; wenn ich dort einen charmanten Mann in meinem Alter kennenlernen kann, dann weiß ich immerhin, wir teilen schon einmal wenigstens ein leidenschaftliches Interesse, nämlich das für Lesen und Bücher. Das hat mir bei meinem Mann immer gefehlt, der höchstens mal Fachzeitschriften liest oder die Tageszeitung. Ich schwanke hin und her, ich kann mich einfach nicht entscheiden. Gehe ich hin? Gehe ich nicht hin? Ich sollte vielleicht mal das alte Spielchen spielen, die Blütenblätter von einer Blume zupfen, so wie früher. Er liebt mich, er liebt mich nicht … Na, das hat mir viel gebracht! Bei meinem Mann hat die Blume steif und fest behauptet, er liebt mich. Vielleicht tat er das sogar. Aber man sieht ja, was es mir eingebracht hat – als reife Frau von (fast) 50 stehe ich nun alleine da. Nein, ich werde lieber nicht das Blumen Orakel befragen. Irgendwann am frühen Nachmittag kommt mir die Erleuchtung. Der Literaturkreis trifft sich in einer Schule, in der Schule, die meine Kinder früher besucht haben. Und ganz in der Nähe ist ein richtig gemütliches Café, in das ich oft mit meinen Freundinnen gehe. Männer trifft man dort zwar nur selten; obwohl es kein reines Frauen Café ist, scheint es doch reife Hausfrauen wie mich magisch anzuziehen. Aber dort könnte ich in Ruhe etwas trinken und es mir dann überlegen, ob ich anschließend in den Literaturkreis gehe oder doch lieber wieder nach Hause, in meine kleine, leere, trübsinnige Wohnung.

Dieser Plan gefällt mir. Vor allem weil Melina, als ich ihr davon erzähle, mir vorschlägt, sie könnte ja einfach kurz nach Beginn des Literaturkreises mal vorbeischauen; dann habe ich wenigstens Gesellschaft, wenn ich mich gegen den Kreis entscheide und muss nicht gleich wieder zu meiner einsamen Wohnung zurückkehren. Ich mache mich sehr sorgfältig zurecht. Reife Frauen können nicht mehr einfach „irgendwas“ anziehen; wir müssen genau darauf achten, dass unsere Kleidung die ersten Folgen des Alters verdeckt und überspielt. Und auch mit dem Make-up muss ich mir jetzt als reife Frau wesentlich mehr Mühe geben als früher als Teenager Girl. Als ich, kurz bevor ich um fünf Uhr aufbreche, in den Spiegel schaue, bin ich mit mir zufrieden. Sicher, man sieht, ich bin nicht mehr ganz taufrisch, sondern schon eine reife Frau. Aber ich sehe noch echt gut aus. Obwohl ich keinen Sport treibe, bin ich schlank, meine Beine sind noch immer endlos lange, so wie sie es früher immer waren, und wenn meine Fesseln auch etwas dicker sind als in meiner Jugendzeit, so fällt das doch irgendwie kaum auf in den Nylons und mit den eleganten hochhackigen Pumps. Am Ende kommt mir der Gedanke, dass ich für einen Lesekreis wohl doch etwas „overdressed“ bin, auch wenn er sich Literaturkreis schimpft, aber das ist mir dann auch schon egal. Sicher werde ich da ja ohnehin nicht hingehen, sondern bloß ein, zwei Espresso trinken, auf Melina warten und mit ihr noch ein bisschen quatschen. Oder vielleicht habe ich ja doch später noch den Mut, mich der Herausforderung neuer Menschen zu stellen?

Als ich in das Café komme, stelle ich zu meinem großen Entsetzen fest, dass es dort ganz ungewöhnlich voll ist. Es ist kein einziger Tisch mehr frei; überall sitzt schon jemand. Meistens sind es Paare oder ganze Gruppen, die sich einen Tisch teilen, aber es gibt auch Einzelpersonen. Unsicher stehe ich in dem Raum und schaue mich um. Am liebsten würde ich ja gleich wieder flüchten. Aber dann muss ich nur nach Hause zurück und später wieder hierher, denn schließlich bin ich ja sozusagen mit Melina verabredet. Wäre es jetzt schon so weit für das Treffen des Literaturkreises, ich würde aus purer Verzweiflung hingehen, aber das dauert leider noch fast eine Stunde, bis ich dorthin aufbrechen könnte. Wenn ich das denn wirklich tue. Und was mache ich so lange? Draußen spazieren gehen? Sicher nicht, bei dem Nieselregen. Ob ich mich zu jemandem einfach dazu setze? Auf einmal steht an einem der Tische rechts neben mir jemand auf. Es ist ein Mann, etwa in meinem Alter, er hat grau melierte Schläfen – ich bin ja ganz stolz darauf, dass ich als reife Frau von 50 noch nicht allzu viele graue Haare habe, aber bei Männern ist das nun einmal anders -, trägt Anzug, ist also ähnlich „overdressed“ für dieses Café wie ich, und eigentlich sieht er ganz nett aus. Das nehme ich allerdings nur flüchtig wahr, denn in erster Linie freue ich mich, dass nun doch ein Tisch frei geworden ist, auf den ich gleich einen Schritt zu mache. Aber da habe ich wohl etwas missverstanden – nein, der Herr möchte noch nicht gehen. „Darf ich Sie einladen, an meinem Tisch Platz zu nehmen?„, fragt er mich. Er ist so förmlich und steif, das reizt mich beinahe zum Lachen. Doch dann sehe ich, wie seine Hand zittert, als er mir einen Stuhl vor zieht. Nein, dieser Mensch ist nicht steif oder gar eingebildet – der ist einfach nur unsicher. Damit kann ich nicht nur umgehen, das weckt sofort mütterliche Gefühle in mir, obwohl er sicherlich nicht jünger ist als ich. So sind reife Hausfrauen eben – sie hatten ihr Leben lang nichts anderes zu tun als zu helfen, zu trösten und zu unterstützen.

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Ich setze mich, und kaum hat auch er wieder Platz genommen, lächele ich ihn freundlich an. „Sind Sie das erste Mal hier?„, erkundige ich mich. Irgendwie müssen wir ja jetzt ein wenig Konversation machen, und so unsicher, wie er wirkt – jetzt, wo ich ihm gegenüber sitze, kann ich es sehr deutlich sehen – fällt es ihm bestimmt schwer, dabei den Anfang zu machen. Dabei kann ich ihn ja dann unterstützen. „Ja, ich bin das erste Mal hier„, erklärt er. „Eigentlich wollte ich auch gar nicht hierher; ich bin nur sehr viel zu früh für einen anderen Termin und wollte dann hier, wo es nicht regnet, schnell noch einen Kaffee trinken.“ Aha – er scheint ein wichtiger Geschäftsmann zu sein, dass er so spät am Nachmittag noch Termine hat. Es ist doch bestimmt ein geschäftlicher Termin, auf den er anspielt. Ich könnte ihn ja danach befragen, aber das interessiert mich ja nun überhaupt nicht, was er beruflich macht und zu welcher Besprechung, zu welchem Meeting er um diese Zeit noch muss. Deshalb führe ich das Pingpong-Spiel der Konversation nicht so weiter, wie man dies erwarten sollte, ich komme nicht auf den Termin zu sprechen, sondern ich fange einfach an zu plaudern und erzähle ihm, dass ich hier oft bin, das Café aber noch nie so voll gesehen habe wie heute.

Mögen Sie Menschenmassen nicht?„, fragt er mich auf einmal ganz unvermittelt. Da hat er mich schnell durchschaut; er scheint ein ziemlicher Menschenkenner zu sein. „Nein„, gebe ich zu. „Ich auch nicht„, bemerkt er lächelnd. „Deshalb habe ich auch ein wenig Angst vor dem Termin gleich.“ Nun horche ich doch auf. Ein erfolgreicher Manager, der ein Meeting fürchtet? Das kommt mir nun doch sehr unwahrscheinlich vor. Er hat meine Neugier geweckt. „Müssen Sie denn zu diesem Termin gehen?„, will ich wissen. Ich will ihn nicht so ganz direkt fragen, um welchen Termin es geht; das wäre jetzt, nachdem ich das vorhin versäumt habe, ein wenig unhöflich. „Nein„, erwidert er. „Aber ich will hingehen. Ich kann nur hoffen, es wird nicht zu schlimm.“ Nun platze ich doch mit der Frage heraus, wo er denn hingehen will. „Auf das Treffen des Literaturkreises„, antwortet er. Und ich beschließe in diesem Moment – das werden wir gemeinsam besuchen.

Wie es dann weiterging, vor allem danach, nach dem Literaturkreis, das erzähle ich euch morgen!

+++ Fortsetzung folgt +++

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